Auf einer Informations-veranstaltung der Stadt wird viel geredet, aber die Kritiker des geplanten Neubaus der syrisch-orthodoxen Kirche sehen sich mit ihren Einwänden von der Verwaltung nicht ernst genommen- und die Kirchenvertreter wirken wie Bittsteller.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Bietigheim-Bissingen - Es war nicht zu erwarten, dass wir es allen recht machen können“, sagt Gadir Günes von der syrisch-orthodoxen Kirche Bietigheim Bissingen. „Vieles verstehe ich ja auch. Ich hätte vielleicht auch die Befürchtung, dass zuviel Verkehr fließt“, sagt Günes. Die Rede ist von dem Bauvorhaben seiner Gemeinde und dessen Auswirkungen auf die Anwohner. Die syrisch-orthodoxen Christen haben im Gewerbegebiet Hopfengärten nach mehr als zehn Jahren Suche von er Stadt ein Grundstück gekauft und möchten dort nun eine Kirche, einen Festsaal und ein Gemeindehaus bauen. Dagegen laufen die Anwohner Sturm. Sie befürchten Lärm bei den Feiern im Festsaal, ein Verkehrsaufkommen, das die Straßen nicht fassen können, und ein Parkplatzchaos im Viertel.

 

Freibier als Affront

Am Montagabend ist die Kontroverse in die nächste Runde gegangen. Die Stadt hat die Bürger über die schon einmal modifizierten Pläne informiert. „Wir reden über ein Planungsverfahren“, sagte der Oberbürgermeister Jürgen Kessing. Die Grundlagen für ein Genehmigungsverfahren müssten erst noch geschaffen werden, erklärte der OB. Überzeugt scheint die Informationsveranstaltung die gut 100 erschienenen Anwohner aber offensichtlich nicht zu haben. „Auf das Gefühl der Ohnmacht folgt nun das Gefühl der Resignation“, sagt Axel Lochbrunner, einer der Sprecher der Initiative, nach der Veranstaltung. Das Versprechen Kessings, für das erste gemeinsame Gemeindefest Freibier zu zahlen, wertet Lochbrunner als Missachtung der Sorgen. „Wir fühlen uns nicht ernst genommen“, sagt er. Sein Vorwurf geht an die Stadt, die die Bürger nicht rechtzeitig in das Verfahren eingebunden habe. „Es ist doch auch für die orthodoxe Gemeinde eine unangenehme Situation“, sagt er.

Denn am Ende der gut zweistündigen Veranstaltung fühlte sich Numan Acar, der erste Vorsitzende der syrisch-orthodoxen Kirche, zu einer Erklärung veranlasst, die fast wie eine Bewerbung klingt. Seit 40 Jahren sei die Kirche in Bietigheim-Bissingen und im Landkreis ansässig. 89 Prozent der Gemeindemitglieder hätten die deutsche Staatsbürgerschaft, viele von ihnen seien Akademiker, ihre Arbeitslosenquote liege unter dem Durchschnittswert.

Des ungeachtet zweifeln die Anwohner weiter die Alltagstauglichkeit der von der Stadt in Auftrag gegebenen Lärm- und Verkehrsgutachten an. Die 130 gesetzlich geforderten Stellplätze reichten nicht aus für einen Festsaal mit 600 Sitzplätzen.

Land und Kreis lehnen Zufahrt zur Landesstraße ab

Durch Dämmung und bauliche Maßnahmen bliebe der Lärm, der aus Kirche und Festsaal dringen könne, unter den Grenzwerten, erklärte der schalltechnische Gutachter Manfred Spinner. Diskoähnliche Veranstaltungen seien verboten, betonte Andrea Schwarz, die Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Anwohner befürchten Lärm, wenn Festgesellschaften im Freien feiern. Und dass die Straße Wengerter, die für 800 Autos pro Stunde ausgelegt sei, den zusätzlichen Verkehr aufnehmen könne, ist für die Kritiker ebenfalls unsicher. „Welches Autos ist heute nur zwei Meter breit?“, fragten sie, denn für diese Breite ist die Straße ausgelegt. Die Anfrage, den Verkehr durch einen Anschluss an die angrenzende Landesstraße abfließen zu lassen, wurde von Landratsamt und Land abschlägig beantwortet, gab Kessing am Montag bekannt. „Die Stadt hat keinen Krisenplan,“ sagt Lochbrunner.

Pro: Legitimer Luxus

Zugegeben: es geht hier um Luxusprobleme. Weder Parkplatznot noch verstopfte Straßen rühren an den Kern des menschlichen Daseins. Doch genau deshalb ist es erfreulich, dass in Bietigheim-Bissingen so ausführlich über diese vermeintlichen Problemchen diskutiert wird. Der Austausch über mögliche negative Auswirkungen einer neuen syrisch-orthodoxen Kirche in Bissingen ist letztlich nur ein Spiegel unseres Rechtsstaats.

Nun steht bei Bürgerinitiativen dieser Machart stets der Verdacht im Raum, dass in Wahrheit latenter Fremdenhass dahinter steckt. Dieser Verdacht hat sich in Bissingen bislang nicht erhärtet. Mitglieder der Kirche sahen sich genötigt, öffentlich zu erklären, dass viele Gemeindemitglieder einen deutschen Pass haben. Das ist bedauerlich. Es ist aber auch bedauerlich, dass Stadträte, die gegen den Bebauungsplan zum Kirchenbau stimmen, sich in der Sitzung genötigt sahen zu betonen, dass sie die Neubaupläne durchaus befürworten. Noch bedauerlicher ist, dass die Stadtverwaltung bislang keine allzu gute Figur macht. Es genügt nicht, sich hinter Vorschriften zur Mindestzahl der Parkplätze und Höchstzahl der Autos auf Straßen zu verschanzen. Es ist dem Rathausteam offenbar nicht gelungen, zu moderieren und den Anwohnern zu zeigen, dass ihre (Luxus-)Probleme ernst genommen werden. Wenn ein Gutachten besagt, dass 600 Besucher nach einer Veranstaltung maximal 65 zusätzliche Fahrzeuge bringen, dann ist das zumindest erklärungsbedürftig. Hier sind zu viele Fragen offen geblieben. Das hat Vertrauen beschädigt. Schade, dass das ausgerechnet bei einem Kirchenbau so lief.

von Markus Klohr

Kontra: Unwürdiges Schauspiel

Es gibt Situationen, in denen darf man auch mal einen Schritt zurücktreten und ganz naiv fragen: Was passiert hier gerade und worüber wird hier eigentlich diskutiert? Kontroversen um die Breite von Autos und die Parkgewohnheiten syrisch-orthodoxer Christen gehören in diesen Tagen zu diesen Themen. Nun ist schon klar, dass viele Dinge ganz konkret vor Ort entschieden werden müssen. Das ist die hohe Kunst und auch Herausforderung der Kommunalpolitik – einen Ausgleich der Interessen zu finden. Aber manchmal bekommen Diskussionen eben doch eine ganz befremdliche Anmutung.

Da sitzen die Vertreter der syrisch-orthodoxen Kirche in einer Bürgerinformationsveranstaltung, weil sie eine Kirche, einen Festsaal und ein Gemeindezentrum bauen wollen. Endlich stehen sie nach mehr als einem Jahrzehnt der Suche davor, sich den Wunsch nach einem festen Gotteshaus zu erfüllen. Aus eigener Tasche. Seit Jahrzehnten leben sie hier. Ihre familiären Wurzeln liegen in Ländern wie Syrien, dem Irak und der Türkei. Dort sind tausende Menschen an Leib und Leben bedroht. Das kann einem schon mal in den Sinn kommen, wenn man die Diskussion hört. Wohlgemerkt, keiner der Syrisch-Orthodoxen macht das zum Thema. Vielmehr verhalten sie sich fast demütig, sichtlich bemüht, jede Eskalation zu vermeiden, ziehen sich in die Ecke des Bittstellers zurück, der sich noch verpflichtet fühlt, den deutschen Pass vorzulegen. So nehmen sie offenbar die Stimmung dieses Abends wahr. Dazu hat sich bisher noch kein Bauherr veranlasst gefühlt. Das macht die Diskussion zu einem streckenweise unwürdigen Schauspiel.

von Hilke Lorenz