Ein Stationsleiter des Bietigheimer Krankenhauses hat seine Position wegen Arbeitsüberlastung nach 15 Jahren gekündigt. Seine Mitarbeiter stehen hinter ihm: In einem offenen Brief prangern sie nun massive Missstände an.

Bietigheim-Bissingen - Es klingt nach Verzweiflung: In einem offenen Brief spricht die Belegschaft der kardiologischen Station 1B im Bietigheimer Krankenhaus von unzumutbaren Zuständen in ihrem Arbeitsalltag, von einem schändlichen Umgang der Klinikleitung mit Mitarbeitern und Patienten und von dramatischen Personalengpässen. Anlass für den Aufschrei war der Schritt des Pflegeleiters der Station, der jüngst seine Leitungsposition kündigte, die er 15 Jahre inne gehabt hatte. Er habe erklärt, die herrschenden Verhältnisse dem Personal und den Patienten gegenüber ethisch nicht mehr vertreten zu können, heißt es.

 

Die Klinikleitung kann die Aufregung jedoch nicht verstehen. „Ich bin überrascht über das Schreiben“, sagt Jörg Martin, Chef der Regionalen Klinikenholding (RKH), zu der auch das Bietigheimer Krankenhaus gehört. Denn man sei schon seit Monaten mit der Station im Gespräch und habe bereits Maßnahmen ergriffen, um die Belastung der Pflegekräfte zu reduzieren. So habe man ein externes Beratungsunternehmen ins Haus geholt, das zusammen mit den Mitarbeitern Lösungen suche. Es habe Coachings gegeben, Workshops und eine Reduzierung der Betten. „Ich hatte das Gefühl, wir sind bei der Station 1B auf einem guten Weg“, sagt der Klinikenchef.

So liest sich das Schreiben des Teams nicht, das nicht nur an die Geschäftsführung, den Betriebs- und den Aufsichtsrat ging, sondern auch an Kollegen in Bietigheim und Ludwigsburg, an den Förderverein des Krankenhauses und an die Gewerkschaft Verdi. „Wir sind geschockt, aufgewühlt und sehr traurig, aber auch sehr wütend gegenüber der gesamten Führungsebene, aber auch gegenüber den Politikern“, heißt es darin. Denn es werde „extrem rücksichtslos“ mit der Gesundheit der Menschen umgegangen, die Pflegekräfte würden „benutzt wie Material“ und „ohne Rücksicht auf Verluste bis aufs Letzte ausgelaugt“. Wegen der angespannten Personalsituation und einem seit Langem hohen Krankenstand komme es immer wieder zu Versorgungsengpässen bei den Patienten, zudem steige die Gefahr, dass Fehler passierten. Den Schritt des scheidenden Stationsleiters, der sich dazu nicht öffentlich äußern will, erkenne das Team daher „mit großer Hochachtung“ an.

Ein strukturelles Problem gibt es laut Jörg Martin allerdings nicht: „Ich sehe nicht, dass die Station chronisch unterbesetzt ist“, sagt er – die externe Beratungsfirma stimme ihm da zu. Engpässe oder Probleme könne es immer mal geben, aber er versuche stets, rechtzeitig gegenzusteuern. Auch der Landrat Rainer Haas, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Klinikenholding, sieht keinen Handlungsbedarf: „Ich habe keinen Anlass, an den Informationen der Geschäftsführung zu zweifeln“, sagt er.

Marc Kappler, Gewerkschaftssekretär im Fachbereich Gesundheit bei Verdi, wurde bereits vor Monaten vom Team der Station 1B zu Hilfe gerufen. Tatsächlich habe es zwischendurch Verbesserungen gegeben, bestätigt er: So sei die Zahl der Betten von 36 auf 30 reduziert worden und die Beratungsfirma habe versucht, Abläufe zu optimieren. Doch weil das Team, das aus 15 Vollzeitstellen besteht, bereits seit Jahren zusammen arbeite und sehr eingespielt sei, habe es wenig Verbesserungspotenzial gegeben. Zudem sei die Zahl der belegten Betten inzwischen wieder gestiegen.

Für Kappler liegt das Problem in diesem Fall vor allem in der harten Linie der Geschäftsführung. Er habe selten erlebt, dass eine Klinikleitung so auf ihrem Kurs – in diesem Fall dem Personalschlüssel – beharre, anstatt eine gute Lösung anzustreben. Aus seiner Sicht würde es bereits helfen, in dieser Notsituation nur für eine gewisse Zeit mehr Kräfte auf der Station einzusetzen, damit das Personal sich erholen und wieder gesund werden könne – dann könne man schauen, ob die aktuelle Besetzung ausreiche oder nicht. Doch die Chefetage habe bislang auf stur geschaltet.

Ähnlich sehe es auf der Station 2M im Ludwigsburger Klinikum aus, in der es im Sommer wegen Überlastung zur Eskalation gekommen war. Kurzfristig habe sich die Lage entspannt, doch nun habe sie sich wieder zugespitzt, sagt Kappel. Matthias Ziegler, Regionaldirektor bei der Klinikenholding, sieht das jedoch anders: Man sei im intensiven Gespräch mit der Station und habe schon Lösungen für viele Probleme gefunden. „Wir sind auf dem Weg zur Normalität“, ist Ziegler überzeugt.