Die Pläne der syrisch-orthodoxen Kirche, in den Hopfengärten zu bauen, beunruhigen die Anwohner. Ein Besuch bei der Gemeinde, die seit Langem als Gast der katholischen Kirche ihre Gottesdienste feiert – unweit des geplanten Neubaus.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Bietigheim-Bissingen - Guten Tag“, sagt Gadir Günes. „Guten Tag“ kommt es zurück. Der 40-jährige Bissinger schüttelt Hände. Er steht mit seiner Frau und den beiden fünf und sieben Jahre alten Söhnen vor der katholischen Kirche Zum guten Hirten in Bissingen. Er begrüßt Freunde und Bekannte aus der syrisch-orthodoxen Gemeinde. Manche von ihnen haben einen weiteren Weg hinter sich. Sie kommen aus Herrenberg, Sindelfingen, Vaihingen/Enz oder Lauffen, viele aber auch aus Bietigheim-Bissingen. Manchmal ist neben dem deutschen „Guten Tag“ auch der aramäische Willkommensgruß „Schlomo“ zu hören. Das heißt Frieden. Aber ansonsten hört man auf dem Kirchplatz vor allem Deutsch. „Wir reden sogar im Kirchenrat Deutsch“, sagt Günes. „Das ist neben Aramäisch unsere gemeinsame Sprache.“

 

um 11.30 Uhr ist Schichtwechsel in der Kirche

Um 11.30 Uhr ist an diesem Sonntagmorgen Schichtwechsel in der Kirche. Die Katholiken gehen, die syrisch-orthodoxen Christen kommen. Eine halbe Stunde bleibt den Helfern Zeit, das Haus auf den Gottesdienst nach orthodoxer Liturgie vorzubereiten. Ein eingespieltes Ritual – wie hier im Übrigen alles sehr diszipliniert abläuft. Heute ist es nicht sehr aufwendig, weil kein Feiertag ist. Die auf Aramäisch verfasste Bibel bringt der Dekan Abdulahad Kis Afrim aus Ludwigsburg selbst mit.

Seit Jahrzehnten sind die syrisch-orthodoxen Christen Gäste der Seelsorgeeinheit Bietigheim-Bissingen – mal in Bietigheim-Buch und mal in Bissingen. Ein drittes Ausweichdomizil ist Ditzingen. „Noch nie hat es Streit gegeben“, sagt der katholische Pfarrer Roland Deckwart aus Bietigheim-Bissingen. „Das sind liebe, verständnisvolle Leute.“ Christina Böttinger, die stellvertretende Kirchengemeinderatsvorsitzende sieht es ähnlich. „Es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten“, sagt sie. Auch Beschwerden der Nachbarn gebe es keine.

Das neue Gemeindezentrum als Streitpunkt

Die kommen nun, bevor überhaupt etwas geschehen ist. Seit gut zehn Jahren wünschen sich die syrisch-orthodoxen Christen eine eigene Kirche in Bietigheim-Bissingen. „Unter der Woche gehen wir und unsere Kinder in die gleichen Vereine wie die anderen Menschen hier. Wir gehören dazu, wollen nicht mehr weg. Aber am Wochenende wollen wir unsere Liturgie feiern“, sagt der Vorsitzende der Gemeinde, Numan Acar. Jetzt hat die Kirche im Gewerbegebiet Hopfengärten ein Gelände von der Stadt gekauft. Dort würden sie gerne ein Kirchengebäude, ein Gemeindezentrum und einen Festsaal bauen.

Und schon regt sich Protest. Die Anwohner der Straße Neuwengert, durch die der Weg zur neuen Kirche führen würde, befürchten Parkplatznot und Verkehrslärm. Aber der Weg Zum guten Hirten führt für viele bereits durch die gleiche Straße. Ohne Proteste. Die etwa 20 Kirchenparkplätze sind belegt. Auch entlang der Wohnstraßen im Viertel stehen Autos. Mehr als 130 sind es nicht. So viele Stellplätze wird das geplante Gemeindezentrum bieten.

Die Kinder kommen, um beim letzten Lied mitzusingen

Während sich die erste Schicht der Kirchgänger allmählich auf den Weg zum Mittagessen macht, sammeln sich die Mitglieder der syrisch-orthodoxen Gemeinde. Sonntäglich gekleidete Herren und Frauen mittleren Alters treffen auf junge Familien mit Kindern, ein paar Jugendliche kommen dazu. Etwa 300 Besucher werden es am Ende sein. Es ist auffällig ruhig vor der Kirche, obwohl so viele Menschen zusammenstehen. Auch während des Gottesdienstes stehen immer mal wieder Gesprächsgrüppchen vor der Kirche.

Die Frauen und jungen Mädchen bedecken ihr Haar mit einem Spitzenkopftuch, bevor sie eintreten. Sie sitzen in der linken Hälfte der Kirche, die Männer rechts. „Aber das ist nicht Vorschrift“, sagt der Vorsitzende der Gemeinde, Numan Acar. Zweieinhalb Stunden lang geht der Gottesdienst – eine Liturgie, die aus einem Dialog zwischen Priester und Gemeinde besteht.

Die Kinder bringen die Disziplin für diesen langen Gottesdienst noch nicht auf. Frauen aus der Gemeinde, allen voran Lea Dag, beschäftigen sie mit Geschichtenvorlesen, Malen, Singen und Spielen im angrenzenden Gemeindehaus. 26 Kinder sind es. „Die Kinder und Jugendlichen sind die Zukunft unserer Gemeinde“, sagt Acar. Auch deshalb sei ein neues und eigenes Gemeindezentrum wichtig. Gegen Ende des Gottesdienst laufen die Kleinen artig Hand in Hand in die Kirche. Beim letzten Lied sind auch sie dabei und singen mit.

Eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt

Geschichte
Etwa 100 000 der weltweit 3,5 Millionen Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien leben in Deutschland. Sie sind nach der Urgemeinde Jerusalems die älteste christliche Kirche der Welt. Ihre Sprache ist das Aramäische, dessen frühere Form Jesus und seine Jünger sprachen. Sie waren immer wieder Opfer von Verfolgung. Als Kernland der syrisch-orthodoxen Kirche gilt das Tur Abdin Sandsteingebirge in der Türkei und die Mosul-Ebene im Irak sowie Teile von Syrien.

Gegenwart
Die Gemeinde, die sich in Bietigheim-Bissingen trifft, hat ungefähr 1200 Mitglieder. Ein Großteil von ihnen ist in den 1970er Jahren vor den Verfolgungen aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Die meisten haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Gemeinde in Göppingen hat gerade eine evangelische Kirche gekauft.