Karolina Kudlacz-Gloc hat bei der WM in Bietigheim ein Heimspiel. Die 32-Jährige junge Mama spielt für Polen, das am Dienstag auf den Turnier-Favoriten Norwegen trifft.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Bietigheim - Die Leidenszeit hat ein Ende. Die vergangenen zwei, drei Wochen haben Karolina Kudlacz-Gloc belastet. Nicht weil sie in dieser Zeit im Trainingslager der polnischen Frauenhandball-Nationalmannschaft enorme körperliche Belastungen hätte durchstehen müssen, es waren mehr die seelischen. Sie war zwar in ihrer Heimat, aber nicht zu Hause. Das ist momentan Bietigheim – dort lebt sie mit ihrem Mann und dem gut vier Monate alten Sohn Jakub, den sie nicht sehen konnte.

 

Vor Sehnsucht wäre sie fast gestorben. „Das ist schon eine sehr schwere Zeit als Mutter“, sagt die Rückraumspielerin. Diese Erfahrungen hatte sie schon bei den Auswärtsspielen mit der SG BBM in der Champions League machen müssen, doch dauerten die eben maximal vier Tage. Nun war es länger – und schlimmer. Vorbei, Gott sei Dank. „Ich habe versucht, das im Kopf auszuschalten“, sagt die 32-Jährige, „sonst kann ich mich nicht auf Handball konzentrieren.“ Der ist ihr sehr wichtig. Er hat ihr Leben weitgehend bestimmt, bis zur Geburt des Sohnes. Drei Wochen später war sie schon wieder im Training, wenn auch nicht gleich mit der Mannschaft.

Traum von der WM

„Das ist nicht normal“, gibt sie zumindest zu. Doch sie wollte schnellstmöglich wieder in Form kommen. Für ihren neuen Verein Bietigheim, aber vor allem für die Nationalmannschaft. Wegen der WM in Deutschland. „Die war mein Traum.“ Und wurde zum Glücksfall. Weil Polens Spiele ausgerechnet in der Egetrans-Arena stattfinden. Dort tragen die SG-Bundesligafrauen zwar keine Spiele aus, dennoch hat sie natürlich einen Heimvorteil. Wie die ganze Mannschaft, die von einer großen Fan-Gemeinde in der mit 3620 Zuschauern teilweise sogar ausverkauften Halle unterstützt wird. Doch der nützt der Mannschaft nur bedingt. „Wir haben die schwerste Gruppe bekommen.“ Weil Polen in der offiziellen Qualifikation an Russland gescheitert war, musste sich das Land über eine Wildcard qualifizieren, und da bekommt man nicht die Wunschgegner präsentiert.

Doch Jammern hilft nicht. „Die Hauptrunde bleibt unser Hauptziel“, sagt die Spielerin. Dazu muss die Mannschaft in der Sechser-Gruppe mindestens Vierter werden. Der erste Schritt wurde mit dem überraschenden 33:30-Sieg zum Start gegen Schweden getan, am Sonntag gegen Tschechien folgte der Rückschlag (25:29). Und an diesem Dienstag (20.30 Uhr) wartet Topfavorit Norwegen. „Wenn alle kämpfen, kann man viel erreichen“, sagt die Kapitänin. „Eine Person gewinnt nichts.“

Psychologie-Studium abgeschlossen

Sie geht mit gutem Beispiel – und bisher 13 Toren – voran. Den Motivationsschub gab es schon. Immerhin bleibt im nahegelegenen Mannschafthotel in Korntal mal Zeit zum Kontakt mit der Familie. „Mein Leben hat sich in den letzten Monaten um 180 Grad gedreht“, weiß Kudlacz-Gloc. Sport und Beruf, Sohn und Erziehung, das ist eine komplett andere Situation. „Ich hoffe, mit der neuen Energie durch die Geburt alles zu schaffen.“ Aufgeben gilt nicht. Da war schon immer so im Leben der Rechtshänderin, die elf Jahre beim HC in Leipzig gespielt hat, wo sie auch ihr Psychologie-Studium abschloss. Bis sie Anfang des Jahres ihren Vertrag kündigte, nachdem sie fünf Monate lang kein Gehalt mehr bekommen hatte. „Das war unmenschlich für eine schwangere Frau. Ich kann das bis heute nicht verstehen“, sagt sie noch immer fassungslos über das ebenso abrupte wie unschöne Ende.

Im Gegenzug ist sie froh, in Bietigheim eine neue sportliche Herausforderung gefunden zu haben: Bundesliga, Pokal, Champions League – an reizvollen Aufgaben mangelt es nicht für die ambitionierte Leitfigur der Polinnen, die seit ein paar Jahren auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Was nicht heißen soll, dass die Familie für immer hier bleiben wird. „Wir sind zwar glücklich in Deutschland, aber unser Herz schlägt für Danzig.“ Die Heimatstadt an der Ostsee, wo es sie irgendwann wieder hinzieht. Und wo sie ihrem Mann, einen früheren Fußballer, etwas zurückgeben will: „Ich weiß, dass unser Kind bei ihm bestens aufgehoben ist, wenn ich mal nicht da bin.“

Dieser Leidensweg könnte sogar nochmals weitergehen, wenn sich Polen wie erhofft für die Hauptrunde qualifizieren sollte, denn dann wartet Leipzig. Da schlagen plötzlich zwei Herzen in Karolinas Brust: Das sportliche und das private.