Bei den Big Brother Awards werden unter anderem meinfernbus.de und das Bundesanzleramt ausgezeichnet.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Bielefeld - Freitagabend 18 Uhr, in Bielefeld beginnt die Gala zur Verleihung der Big Brother Awards. Zum 14. Mal werden die Negativpreise für Missachtung von Datenschutz und Bürgerrechten verliehen. Die Jury bilden in diesem Jahr Vertreter von Digitalcourage, dem Chaos Computer Club, der Internationalen Liga für Menschenrechte und der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Erstmalig gibt es auch einen Positivpreis – diesen erhält Edward Snowden. Laudator für den neuen „Julia und Winston Award“ ist der bekannte Journalist und Jurist Heribert Prantl.

 

Prantl sagt: „Snowden hat Machtmissbrauch aufgedeckt und einen frivolen Umgang mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger.“ Außerdem habe sich Snowden verdient gemacht um die rechtsstaatliche Demokratie. Er habe eine Diskussion in Gang gesetzt, die hoffentlich dazu führe, dass sich der Rechtsstaat vor den NSA-Angriffen schütze. Prantl fordert: „Snowden hat Schutz und Hilfe verdient. Er ist ein klassischer Flüchtling, wie er im Buche steht.“

Mit einer Million Aufkleber wird für Snowdens Asyl geworben

Dotiert ist der Positivpreis mit „einer Million“, so die rätselhafte Ankündigung, die erst vor Publikum aufgelöst wird: eine Million Aufkleber verteilt der Verein Digitalcourage, der die Big Brother Awards nun schon seit dem Jahr 2000 unter der Federführung von Rena Tangens und des Künstlers padeluun verleiht. Mit noch mehr Spannung werden die Negativpreise erwartet. In diesem Jahr werden sie in sieben Kategorien verliehen. Eine davon ist der Bereich Verkehr.

Was vermutlich alle kennen, ist folgende Situation: Man geht zum Fahrkartenautomaten, bezahlt bar und steigt in den nächsten Zug ein – noch ist es in Deutschland möglich, anonym zu reisen. Praktisch sieht es meist schon anders aus: Man bucht online sein Ticket, sammelt mit seiner Bahncard Bonuspunkte, zur Identifikation ist eine Kreditkarte, die Bahncard selbst oder ein Personalausweis notwendig.

Keine Chance auf eine Barzahlung

Wenn man sich hingegen für die Buslinie Meinfernbus entscheidet, bietet sich kaum eine Alternative zur personalisierten Online-Buchung. Die Fahrkarte ist nur in Verbindung mit einem Lichtbildausweis gültig. Und dies ohne zwingenden Grund. Genau deshalb erhält das Busunternehmen einen der Negativpreise beim diesjährigen Big Brother Award.

Zwar gibt es auch bei anderen Fernbusunternehmen wie etwa den ADAC-Postbussen diese Praxis, Meinfernbus hat aber in Hinsicht Datenschutz den Vogel abgeschossen, weil sich in den AGBs zudem zahlreiche Möglichkeiten für fragwürdige Datenweitergaben an Dritte verstecken. In der Laudatio heißt es: Die Datenschutzerklärung eröffne so viele Weitergabemöglichkeiten, dass der Begriff „Datenverwendungserklärung“ angemessener wäre. Bei anderen Mitbewerben reiche ein gültiger Fahrausweis, bei Meinfernbus könne man höchstens auf gut Glück zum Bus kommen, in der Hoffnung, noch einen freien Platz zu ergattern. Das aber zu einem höheren Preis als bei vorheriger Onlinebuchung. Nur so ist Barzahlung möglich.

Die geheimdienstlichen Verstrickungen werden honoriert

In der Kategorie Politik geht der Big Brother Award an das Bundeskanzleramt für dessen geheimdienstliche Verstrickungen in den NSA-Überwachungsskandal sowie dessen unterlassene Abwehr- und Schutzmaßnahmen. In der Begründung der Jury heißt es: „Die bundesdeutschen Geheimdienste arbeiten eng mit dem völker- und menschenrechtswidrig agierenden US-Geheimdienst NSA und anderen Diensten zusammen.“ BND und Bundesamt für Verfassungsschutz seien an Überwachungsinstrumenten, Spähprogrammen und Infrastrukturen der NSA beteiligt, heißt es weiter. Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung hätten mit Massenausforschung und Digitalspionage verbundene Straftaten und Bürgerrechtsverstöße nicht abgewehrt. Sie hätten es sogar sträflich unterlassen, Bürger und Betriebe vor Spionage und feindlichen Attacken zu schützen.

Ähnlich gelagert ist der folgende Preis, den die Firma CSC in Wiesbaden erhält. Die Computer Science Corporation (CSC) arbeitet im Auftrag von zehn Bundesministerien an sicherheitsrelevanten Projekten wie dem elektronischen Personalausweis, der De-Mail oder dem bundesweiten Waffenregister. Die amerikanische Mutterfirma CSC sei so etwas Ähnliches wie die outgesourcte EDV-Abteilung der US-amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA, sagt Laudatorin Rena Tangens. Äußerst pikant also.

Aufträge im Wert von 180 Millionen Euro

Sie erklärt weiter, dass die deutsche Regierung das „Serviceangebot“ von CSC immer wieder in Anspruch nehme. Für Dienstleistungen und Beratung von Bundesministerien seien seit der Wiedervereinigung 180 Millionen Euro an die CSC bezahlt worden. Auch wenn es angeblich eine Trennung zwischen der deutschen Niederlassung und der Mutterfirma in den USA gebe, so verwundere es doch, dass sämtliche E-Mail-Adressen der Mitarbeiter über den Firmenserver in den USA laufen. Seit mehr als zehn Jahren sei bekannt, dass CSC für die NSA arbeite. Die deutsche Bundesregierung erklärt dazu, dass CSC eine Sicherheitserklärung unterschrieben habe, dass sie keine Informationen weitergebe. Die Laudatorin fragt sich jedoch, wem die Firma im Zweifel wohl mehr Loyalität entgegenbringt: Dem deutschen Staat oder dem wichtigsten Kunden des Gesamtkonzerns, also den US-Behörden?

Vier weitere Negativpreise gehen an die Firmen RWE für den Einsatz von Überwachungssoftware der geheimdienstnahen Firma Verint Systems und an LG, weil deren „smarte“ Fernsehgeräte über den Internetanschluss Informationen darüber, was sich die Kunden angesehen haben, an die Firmenzentrale nach Südkorea übermitteln. Einen Preis erhält die Autoindustrie für all die „Spione im Auto“, die uns über die Schulter schauen. Und in der Kategorie „Neusprech“ wird das Wort Metadaten ausgezeichnet. Begründung: „In Gesprächen können wir viel verraten. Wirklich nackt aber machen uns erst unsere Metadaten. Sie verraten, was wir denken, planen, tun.“ Mit dem unermüdlichen Einsatz von Digitalcourage soll allen Bürgern Mut gemacht werden, sich für den Datenschutz auszusprechen – denn es ist keineswegs zu spät, etwas zu ändern.