Die zunehmende Vernetzung der Mobilität kann ein Segen sein, aber auch ein Fluch. Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet hat Forscher und Politiker zur Podiumsdiskussion ins Stuttgarter Römerkastell geladen. Das Ziel: Eine grundlegende gesellschaftliche Debatte anzustoßen, wie mit der technischen Revolution umzugehen ist.

Stuttgart - Das Szenario, das Matthias Kammer, der Direktor des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Netz (DIVSI) skizziert, ist zwiespältig: Es könnte so schön sein, ohne Stau nach Hause zu kommen dank eines intelligenten Navigationsgerätes, weniger Versicherungsbeiträge zu bezahlen dank neuer, vom Fahrstil abhängiger Tarife, und schnell checken zu können, wo der volljährige Sohn am Abend zuvor mit dem Auto gewesen ist.

 

Aber die schöne neue Welt hat auch eine andere Seite: Plötzlich ist der Führerschein weg, der Algorithmus hat uns fälschlicherweise als Verkehrsrowdy eingestuft, und die Firma, die das Programm einst erstellt hat, gibt es nicht mehr – es ist also kaum möglich, den Fehler im System zu finden oder die Behörden davon zu überzeugen.

Eine Diskussion über Chancen und Grenzen von Big Data

Wann genau die Geschichte kippt, die Matthias Kammer am Donnerstagabend im Stuttgarter Römerkastell erzählt, und wo wir sie hätten stoppen können, ist nicht so genau zu erspüren. Nur irgendwann ist allen klar: so soll es nicht laufen. Was haben wir von Big Data? Und wie gehen wir mit den Risiken um? Das will Kammer mit den Besuchern der Veranstaltung „Vernetzte Mobilität – Erweiterung der persönlichen Autonomie oder Eingrenzung der Privatsphäre?“ diskutieren.

Das Institut will mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen eine Diskussion darüber anstoßen, wie wir mit den neuen technologischen Möglichkeiten umgehen. „Mit Big Data sind immense Chancen verbunden, gleichzeitig reden wir in Deutschland vor allem über die Risiken“, sagt Kammer – zu viel, wie er findet: „Big Data ist ein Wort, das in Deutschland Angst macht. Man sollte die Industrie schimpfen, die das erfunden hat!“

Und während Politiker wie der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Norbert Barthle (CDU), parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverkehrsministerium, zu Beginn noch von greifbaren Zielen reden – etwa der Teststrecke auf der A9 für automatisiertes Fahren –, schauen andere Teilnehmer viel weiter in die Zukunft. Und da wird schnell klar, dass eine so grundlegende Veränderung wie die Durchdringung der Gesellschaft mit smarter Technologie grundsätzlichere Maßnahmen erfordert als ein neues Datenschutz-Gesetz oder die Frage, wie Daten geschützt werden.

Es sind Visionen gefordert, wie wir leben wollen

„Wollen wir so leben?“ fragt Alexander Mankowsky, Philosoph und Zukunftsforscher bei der Daimler AG. Er zeigt dazu das Bild „Happiness-Machine“ des britischen Künstlers Mark Lascelles Thornton, auf dem Bankentürme über den Menschen aufragen, das Leben einem riesigen Supermarkt gleicht und der Konsum regiert. „Solche Bilder diskutieren wir mit unseren Führungskräften“, sagt Mankowsky. Oder ist Google der Gutenberg unserer Zeit, der alles Wissen verfügbar macht, wie es ein anderer Künstler darstellt? „Wer nur auf die Technologie schaut, hat nicht verstanden, wie sehr sich die Gesellschaft verändern wird“, betont Mankowsky. Deshalb sei es wichtig, diese Diskussion nicht nur auf breiter Ebene zu führen, sondern auch mit neuen Formen – beispielsweise eben auch mit Kunst. Aus der Sicht des Zukunftsforschers stehen wir gerade an einer entscheidenden Schwelle: wir müssen uns als Menschen vollkommen neu definieren. Sind wir autonom oder nicht? „Wir sind handlungswirksam fremdbestimmt“, sagt er. Zum Beispiel dann, wenn wir wie ferngesteuert den Anweisungen unseres Navis folgten.

Bei diesem Prozess könnte uns Big Data helfen: „Wir erfahren viel über uns selbst, wir brauchen diese Daten“, glaubt Mankowsky. Nur: Vertrauen sei der falsche Begriff, kritisiert er den Veranstalter. Es gehe um Fairness und Transparenz, damit jeder die Freiheit habe, selbst zu entscheiden. „Fragen Sie immer, wenn jemand eine Smart City oder ein autonomes Auto plant: wo ist die Liste mit den Dingen, die nicht automatisiert werden?“, rät der Zukunftsforscher. Seiner Meinung nach ist sie ein Maßstab dafür, inwiefern die Freiheit des Menschen mitgedacht wird. Soziale Wahrnehmung beispielsweise lasse sich nicht automatisieren. Und auch der Mensch der Zukunft sollte die Freiheit zur Willkür haben, zu spontanen Aktivitäten also.

Die informierte Einwilligung ist eine Fiktion

Zuhörer, die geglaubt haben, Datenschutz könne helfen, die Fairness im Prozess zu halten, dürften vom Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó von der Uni Hannover ernüchtert worden sein. Das deutsche Datenschutzrecht stamme aus der Zeit der Volkszählung Anfang der 80er Jahre und habe einen zentralen Fehler: die Begriff „personenbezogene Daten“ ist nicht genau definiert. Diese zu speichern ist verboten, es sei denn, die Person willigt ein. Aber sind Geo-Daten nun personenbezogen oder nicht? Wie fein darf etwa die Auflösung von Satellitendaten sein, ohne dass sie personenbezogen sind? „Entscheidungen ergeben sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus Interpretationen“, klagt Forgó.

Auch die sogenannte informierte Einwilligung ist eine Fiktion: Wer alle Bedingungen lesen würde, denen er im Internet zustimmen muss, würde dafür 76 Tage im Jahr brauchen. Eine Internetseite ließ kürzlich tausende Nutzer bestätigen, dass sie mit der Anmeldung ihre Seele verkauften – ein gelungener Aprilscherz, eigentlich. Nur bemerkte ihn keiner.

Das sei Datenschutz-Bashing, klagt Jörg Klingbeil, der hiesige Landesbeauftragte für den Datenschutz. „Daten sind das neue Erdöl, man muss über dieses Thema reden, bis die Bedingungen fair sind.“ So müsse auch der Autofahrer der Zukunft eine „datenfreie“ Fahrt wählen können und er dürfe nicht mit höheren Versicherungsbeiträgen bestraft werden, wenn er seine Daten nicht hergeben wolle.

Die German Angst als Exportschlager?

Welche Weichen müssen wir also jetzt stellen, damit die schöne neue Welt nicht kippt? Man müsse unterscheiden zwischen Unternehmen, die Daten an sich zum Geschäft machen, und solchen, die aus den Daten Nutzen für die Allgemeinheit generieren, fordert Ivo Körner von IBM Deutschland. Ulrich Chiellino vom ADAC glaubt, dass man die „German Angst“ vielleicht auch positiv verkaufen kann: Datensicherheit als Exportschlager.

Die Visionen der Zukunft müsse man visualisieren, fordert Zukunftsforscher Mankowsky – und zwar in allen denkbaren Ausdrucksformen bis hin zu Tanz und Gemälden, damit die gesamte Gesellschaft mitdiskutieren kann.

Einen digitalen Kodex für die Gesellschaft

Initiator:
Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet DIVSI ist von der Deutschen Post AG gegründet worden, arbeitet aber unabhängig und gemeinnützig. Seit 2012 finanziert es eine Professur für „Cyber Trust“ an der TU München.

Idee:
„Viele nach 1945 stabil gewordene Selbstverständlichkeiten ändern sich gerade“, sagt DIVSI-Direktor Matthias Kammer. Er vergleicht die digitale Revolution von ihren Ausmaßen her mit der Französischen Revolution. Sie erfordere einen neuen Gesellschaftsvertrag, der nun erarbeitet werden müsse.

Impuls:
Den dafür notwendigen gesellschaftlichen Diskurs versucht Kammer anzuregen. Bei Veranstaltungen in Berlin und Stuttgart bringt DIVSI die Akteure an einen Tisch.