Sebastian Steudtner ist auf Rekordjagd. Der Nürnberger ist einer der weltbesten Big-Wave-Surfer. Er bändigt Ungetüme von 24 Metern – und hofft auf mehr.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Die Monster kommen. Und Sebastian Steudtner freut sich so sehr, dass er schnell seine Sachen packt, weil er sie begrüßen will. Gerade erst ist er nach Deutschland zurückgekehrt, nun ist er schon wieder auf dem Sprung zurück nach Nazaré, Portugal. Die Monster reiten.

 

Die von seinem Team ausgewerteten Satellitenbilder sehen verheißungsvoll aus, die Wetterdaten passen, Wind und Geschwindigkeit scheinen ideal zu sein. Am Donnerstag rollen die Monster auf den Strand von Nazaré heran. 25 Meter hoch, vielleicht auch 30. Rollende Hochhäuser. Es könnten ideale Bedingungen werden. Die perfekte Welle. Vielleicht ist sie dabei.

Sebastian Steudtner will dann im Wasser sein. Mit seinem Jetskipilot wird er warten, mit Hilfe eines Spotters am Leuchtturm an Land werden sie die Welle auswählen, dann wird er sich hineinziehen lassen und sich in den lebensgefährlichen Kampf mit der Urgewalt aus Wasser stürzen. Die Welle entlangreiten, bevor die Wasserwand hinter ihm bricht. Das ist der Plan.

Sebastian Steudtner Foto: betsafe.com
Sebastian Steudtner, geboren in Esslingen und aufgewachsen in Nürnberg, ging mit 16 Jahren nach Hawaii und hat sich dort seinen Platz in der elitären Kaste der Surfer im Wasser erkämpft. Heute ist er der einzige deutsche Big-Wave-Profisurfer, und einer der besten der Welt. Die Maßeinheit seines Wirkens sind Fuß: Von 20 Fuß an (circa sechs Meter) spricht man von Big-Wave-Surfen. Steudtner und eine Handvoll andere reiten mittlerweile 20-Meter-Riesen, und sie träumen von Brechern von bis zu 100 Fuß, etwa 30 Metern. Das entspricht grob einem zehnstöckigen Hochhaus.

Sebastian Steudtner ist ein Hochleistungssportler

Die Gezeiten und die Suche nach Monstern bestimmen seinen Lebensrhythmus. Zehn Monate im Jahr ist er unterwegs, mit den Stereotypen des Beach Boys hat sein Alltag wenig gemein. „Am Strand abhängen, ein bisschen kiffen und Party machen – damit hat das nichts zu tun“, sagt er.

Der 29-Jährige ist Hochleistungssportler. Er muss Körper und Geist das Jahr über in Form halten, damit er am Tag X in der Lage ist, sich im Grenzbereich zu bewegen. Was so elegant und spielerisch leicht aussieht, wenn er übers Wasser gleitet, ist harte Arbeit. Die Welle ist bockig wie ein Stier beim Rodeo. Es ist wie ein Parforceritt im Schuss über eine Buckelpiste, bei dem er das Gleichgewicht und die Geschwindigkeit halten muss. Er trainiert täglich und arbeitet mit dem Sportwissenschaftler Radosav Djukic zusammen, der auch die Skilegende Hermann Maier betreute. „Du musst die Fitness haben, damit du die Welle surfen kannst und den Kopf frei hast“, sagt er.

Das Gefühl dieses Adrenalinrausches in der Welle, sagt er, sei schwer zu beschreiben. Er sucht nach den richtigen Worten, er findet sie nicht, meint er. „Es ist Angst. Es ist Respekt. Du fühlst dich klein. Du fühlst dich mächtig. Es ist alles. Es ist unbeschreiblich.“

Der Weltrekord liegt bei 23,80 Meter

Nazaré hat sich zum Wimbledon der Wellenjäger entwickelt. Der Grund ist ein Unterwasser-Canyon vor der Küste mit bis zu 5000 Metern Tiefe, das trichterförmige Ende der langen Schlucht liegt in Strandnähe. Durch den abrupten Tiefenunterschied bauen sich, vereinfacht gesagt, häufig hohe Wellen auf, dazu kommen besondere Strömungen. In Kombination mit Winterstürmen türmen sich dann Wellen auf wie es sie nur an wenigen Plätzen der Welt gibt: in Mullaghmore, Irland, oder Waimea und Peahi, Hawaii, zum Beispiel.

Der Strandabschnitt Peahi, auch „Jaws“ (Rachen) genannt, war legendär in der Surfgemeinde, ehe Nazaré, 100 Kilometer nördlich von Lissabon, zur neuen Pilgerstätte der Big-Wave-Gemeinde wurde. Der US-Surfer Garrett McNamara bezwang hier 2011 die größte je zu Ende gesurfte Welle: 78 Fuß hoch war sie, circa 23,80 Meter. „Wenn du Jaws, Puerto Escondido und Waimea nimmst und sie auf Steroide setzt, dann hast du Nazaré“, sagt McNamara.

Vor einigen Tagen hat Sebastian Steudtner hier seine größte Welle gesurft. Sie war um die 24 Meter, gut möglich, dass es ein neuer Weltrekord ist. Wissen wird man das erst im April. Dann wird von einem US-Gremium zum Ende der Saison nach einer exakten Vermessung der Wellen bekannt gegeben, wie hoch sie offiziell waren.

Profis wie Steudtner reisen in den Wintermonaten bis zum Frühjahr um die Welt, immer auf der Suche nach den Monstern. Das alles kostet ziemlich viel Geld. Steudtner hat ein Materiallager in Portugal und Irland, bis zu neun Leute helfen ihm jetzt in Nazaré, dazu kommen die Reisekosten. Er ist ein gefragter Vortragsredner und das PR-Gesicht seiner Sportart in Deutschland, und doch tut er sich schwer, Sponsoren zu finden, auch wenn er mittlerweile für den Wettanbieter „betsafe“ wirbt. Unter dem Claim „Wir machen Welle“ hatte er deshalb eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen, um sich auf seinen Rekordversuch konzentrieren zu können, mit Erfolg.

Steudtner ist ein Grenzgänger – aber kein Hasardeur

Monsterwellen kommen in Dreier- oder Vierersätzen angerollt. Die erste Welle ist tabu. Die Gefahr zu groß ist, dass etwas passiert, falls man vom ersten Brecher überspült wird, aber noch zwei oder drei folgen. 500 000 Tonnen wiegt eine solche Extremwelle, entsprechend gewaltige Kräfte wirken bei diesen bis zu 70 Stundenkilometer schnellen Wellen. Begräbt einen dieses Bergmassiv aus Wasser, kann es das Ende sein. Als wäre ein Tennisball im Vollschleudergang der Waschmaschine gelandet. Der Surfer ist ein wehrloser Spielball der Kräfte. „Wipe out“, nennt sich ein Abgang. Sich klein machen, zusammenrollen, auf keinen Fall panisch werden, sagen die Surfer.

Steudtner ist kein Hasardeur. Ein Grenzgänger, aber kein Selbstmörder. Ein Jetski zieht ihn in die Welle, ein zweiter wieder raus. Er trägt eine Art Airbag als Rettungsweste, Apnoe-Tauchen hat ihn gelehrt, den Atemreflex zu unterbinden und bei Puls 180 die Luft 90 Sekunden anhalten zu können. Fünf Minuten schafft er im Ruhepulsmodus. Es ist seine Lebensversicherung. Die Gefahr lässt sich nicht ausschalten, aber reduzieren. Es geht um die perfekte Vorbereitung von Mensch, Material, Logistik. Der Rest? Der Rest ist Restrisiko. Er sagt: „Ich war noch nie in einer Situation, in der ich im Wasser Panik bekommen habe oder das Team größere Fehler gemacht hat.“ Am Donnerstag wird am Strand auch der Marine-Arzt Axel Haber sein. Für alle Fälle. Angst, sagt Sebastian Steudtner, hilft, nicht übermütig zu werden, den Respekt vor den Monstern nicht zu verlieren.