Ein Lerncamp des Jugendamts soll unbegleitete minderjährige Flüchtlinge für den Schulabschluss fit machen. Beim Englisch- und Mathelernen in Wangen kommt der Spaß jedoch nicht zu kurz.

Stuttgart - Eigentlich sollte das Lerncamp mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen, doch der reich gedeckte Tisch im Gebäude des Jugendamts an der Ulmer Straße in Stuttgart-Wangen ist verwaist. „Es ist Ramadan. Viele Teilnehmer fasten zurzeit. Das haben wir etwas unterschätzt“, sagt Waltraud Stuntebeck, Leiterin des Bereichs „Hilfen zur Erziehung“ beim Jugendamt.

 

Stuntebeck hat das von der Sabine-Schoeffel-Stiftung finanzierte Lerncamp für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge organisiert. Seit Dienstag findet es zum zweiten Mal in Stuttgart statt und dauert bis Freitag. Ziel ist es, die Ferien zu nutzen, um die Wissenslücken der Jugendlichen in Prüfungsfächern zu schließen.

Qai (17) spricht nach anderthalb Jahren fast fließend Deutsch

Ein schlechtes Vorzeichen ist die mangelnde Teilnahme am Frühstück jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil: Im Raum nebenan sitzen 17 junge Männer im Kreis und warten gespannt darauf, dass es losgeht. Zwischen elf und 19 Jahre sind sie alt, kommen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Jordanien. Ohne Eltern sind sie vor ein bis zwei Jahren nach Deutschland gekommen. „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, kurz „UMF“, nennen die Behörden sie deshalb. Heute leben sie in Wohngruppen oder im „Betreuten Jugendwohnen“ der Jugendhilfe.

Noch etwas haben sie gemeinsam: Alle Teilnehmer am Camp haben sich in ihren Vorbereitungs- oder Regelklassen als besonders motiviert und leistungsbereit präsentiert. „Die Teilnehmer hier machen alle einen Schulabschluss. Da sind richtige Lernmaschinen darunter“, sagt Lerntherapeutin Gabriela Kurz-Ringhofer, die den Englischkurs betreut. Viele Jugendliche stünden bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung vor der Tür, sagt sie.

Der 17-jährige Qais ist einer von ihnen. Seit anderthalb Jahren lebt der Afghane in Deutschland, spricht die Sprache seiner neuen Heimat aber schon fast fließend. Dieses Jahr macht er seinen Berufsschulabschluss, im September beginnt er eine Schreinerlehre in einem Plieninger Betrieb. Warum er Englisch lernen will? „Vielleicht brauche ich es ja mal im Beruf, außerdem macht Sprachen lernen Spaß“, sagt Qais.

Spaß als Grundlage des Lernerfolgs – genau das ist auch der Ansatz von Gabriela Kurz-Ringhofer. Ihr Konzept heißt „The brain runs on fun“, was so viel heißt wie „Mit Spaß kommt das Hirn auf Touren“. Frontalunterricht ist verpönt. Im Mittelpunkt stehen praktische Übungen, Konversation und gar kleine Theaterstücke.

Bei der ersten Übung klebt eine weiße Linie in der Raummitte. „If you have black hair, go to the line!“ („Wenn Du schwarze Haare hast, geh‘ an die Linie!“), fordert Kurz-Ringhofer auf, und die Hälfte der Schüler erhebt sich und stellt sich an die Linie. Die Lerntherapeutin variiert das Spiel, zitiert wahlweise Teilnehmer mit blauen Augen, einem Samsung-Handy oder solche mit mehr als vier Geschwistern nach vorn und hält die Gruppe so ständig in Bewegung.

Nach einer halben Stunde geht es erst einmal raus vor die Tür. Ein Betreuer bringt die Jugendlichen mit einer kleinen Fitnesseinheit auf Trab. Später geht es mit Kleingruppenarbeit weiter. Und am Nachmittag dann kommt die nächste Gruppe ins Lerncamp. Statt Vokabeln und Smalltalk stehen dann im Mathekurs Grundrechenarten auf dem Programm.