Die meisten Hauptschulen in den Neckarvororten können nur noch eine Klasse bilden. An zwei Schulen reicht es nicht einmal dazu.

Neckarvororte - Sie sind weg, die verbindlichen Grundschulempfehlungen – und damit viele potenzielle Hauptschüler auch. Seit diesem Jahr können Eltern zum ersten Mal selbst entscheiden, welche weiterführende Schule ihr Kind besucht.

 

Und sie nutzen diese Wahlfreiheit auch, wie die Zahlen des Staatlichen Schulamts belegen: In Stuttgart haben 24 Prozent der Kinder eine Empfehlung für die Hauptschule bekommen. Doch nur 10,6 Prozent sind auch dort angemeldet. Das hat Konsequenzen für die Schulen, auch in Bad Cannstatt und den Neckarvororten.

Hart getroffen hat es Untertürkheim: Gerade mal sieben Schüler hat Andreas Passauer auf seiner Liste für die kommende fünfte Klasse an der Luginslandschule – und die stammen allesamt von anderen Schulen. „Wir hatten eigentlich zehn eigene gute Kandidaten für die Hauptschule“, sagt der Rektor. Doch die haben sich offensichtlich für eine andere Schulart entschieden.

„Wir haben zu viele Lehrerstunden.“

Nun muss die Schule umdenken: „Wir müssen auf alle Fälle mit der sechste Klasse kombinieren“, sagt Passauer. Das heißt: die sieben neuen Fünftklässler werden in die bestehende sechste Klasse mit 16 Schülern integriert und gemeinsam unterrichtet. In den Hauptfächern Deutsch, Mathe und Englisch gibt es Differenzierungsstunden, in denen ein zweiter Lehrer in die Klasse kommt. Auch einen zweiten Klassenlehrer wird es in der neuen Kombiklasse geben.

Ähnliches wird auch in Bad Cannstatt passieren, wo nur acht Schüler an der Eichendorffschule für die 5. Klasse gemeldet sind. Die anderen sechs Grund- und Hauptschulen oder Werkrealschulen haben für kommendes Schuljahr noch Glück: Sie können jeweils noch eine eigene Klasse bilden – mit 13 bis 26 Schülern.

Bis auf die Elise-von-König-Schule in Münster sind überall die Schülerzahlen zurückgegangen. An der Schillerschule in Bad Cannstatt hat das bereits Konsequenzen für die Belegschaft: „Wir haben zu viele Lehrerstunden“, sagt Rektor Ralf Hermann.

„Wir werden mit Rückläufern rechnen.“

Deswegen muss ein Kollege zumindest für kommendes Schuljahr an eine andere Einrichtung wechseln – wohin ist allerdings noch nicht klar. An der Herbert-Hoover-Schule muss Rektorin Miriam Brune niemanden wegschicken, aber: „Wir müssen schauen, wie wir die Lehrkräfte von der Werkrealschule in die Grundschule umschichten.“ Die Unsicherheit unter den Kollegen sei groß, was in Zukunft aus ihnen wird.

Soweit die ersten Folgen direkt an den Haupt- und Werkrealschulen. Doch was passiert mit den Schülern, die trotz Hauptschulempfehlung auf eine Realschule oder gar ein Gymnasium gehen? Viele der Rektoren sorgen sich um diese Kinder. „Ich bin mir sicher, dass mancher Schüler bei uns besser aufgehoben wäre“, sagt Ralf Hermann. Sein Kollege Thilo Habermann von der Wangener Wilhelmsschule hofft, dass die Eltern richtig entscheiden. Aber: „Wir werden mit Rückläufern rechnen.“

In Gesprächen haben seine Lehrer versucht, die Eltern doch von der Grundschulempfehlung für die Hauptschule zu überzeugen: „Ich schicke doch nicht ein Bobbycar in ein Formel-1-Rennen“, war eines der anschaulichen Argumente. Doch überzeugt haben sie wohl nicht. Habermann: „Die Eltern denken, mit etwas Nachhilfe sei es getan.“ Was bleibe, seien immer die Kinder, die schwächer sind und einen besonderen pädagogischen Bedarf haben, so der Schulrektor.

Ähnlich sieht das auch Andreas Passauer: „Aus meiner Sicht kann nicht jedes Kind Akademiker werden“, sagt er und wünscht sich, dass es wieder mehr Kinder gibt, die Handwerker werden wollen: „Man ist auch ein vollwertiger Bürger ohne Abitur.“ Doch die gesellschaftliche Tendenz geht in die andere Richtung.

„Wir müssen die Kollegen wecken an den anderen weiterführenden Schulen“, sagt Detlef Storm, Rektor der Steinenbergschule in Hedelfingen. Es sei ein fataler Fehler zu glauben, dass „wenn eine Schulart draußen ist, sich nichts an den anderen Schulen ändern wird“. Storm sieht Gymnasien und Realschulen vor völlig neuen Herausforderungen: „Die didaktischen Konzepte sind überhaupt nicht da.“

Die Folgen der weggefallenen verbindlichen Empfehlung für die jetzige Schülergeneration sehen die Rektoren meist negativ: Sie rechnen damit, in ein bis zwei Jahren völlig frustrierte und demotivierte Kinder aufnehmen zu müssen, nachdem sie in Realschule oder Gymnasium gescheitert sind. „Die Frage ist, wie wir sie auffangen“, sagt Miriam Brune und überlegt, ob man für diesen Fall Schulpsychologen einsetzen sollte. Und was wird in Zukunft aus den Haupt- und Werkrealschulen?

Einige der Rektoren entlang des Neckars liebäugeln mit dem Konzept der Gemeinschaftsschule. In Hedelfingen hat der Bezirksbeirat beantragt, den Schulstandort daraufhin zu überprüfen, ob man ein Gymnasium oder eine Gemeinschaftsschule einrichten könnte. „Wenn der Prüfauftrag vorliegt, werden wir ein Konzept ausarbeiten.“ sagt Storm. Intern arbeite man schon längst an didaktischen Modellen, die in Richtung dieser Schulart gehen.

An der Elise-von-König-Schule ist man schon einen Schritt weiter. Seit einigen Jahren ist die Schule in Münster bereits eine vollgebundene Ganztageseinrichtung. „Wir werden für das Schuljahr 2013/14 den Antrag stellen“, sagt Rektorin Renate Schlüter. Geplant ist, dann mit den derzeitigen Dritt- und Viertklässlern zu starten. Bereits jetzt arbeite die Schule in Ansätzen mit den Methoden der Gemeinschaftsschule.

Gleiches gilt für die Altenburgschule in Bad Cannstatt. „Wir arbeiten intensiv und sind auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule“, sagt der kommissarische Schulleiter Uwe Schäfer. Wann die Schule einen Antrag stellen werde, ist noch offen. Man habe allerdings schon Kompetenzraster entwickelt und werde das Konzept von Lerngruppen im kommenden Schuljahr einführen. Schäfer: „Wir wollen von innen heraus eine neue Lernkultur entwickeln.“