In Stuttgart droht sieben Hauptschulen das Aus. Viele Schüler probieren es lieber mit dem Gymnasium oder der Realschule, weil ihre Eltern es so wollen. Die Schulleiter sind besorgt.

Stuttgart - Der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung hat drastische Folgen für die Bildungslandschaft. In Stuttgart werden im kommenden Herbst nur noch 19 der 32 Hauptschulen fünfte Klassen bilden, nur zwei Schulen sind noch zweizügig. An sechs Hauptschulen werden wegen der einstelligen Bewerberzahlen die Klassen fünf und sechs als Kombiklasse geführt. Und an den sieben Standorten, die keine fünfte Klasse mehr zusammengebracht haben, wird die Hauptschule zum Auslaufmodell. Die Zahl der Fünftklässler ist an dieser Schulart auf einen Schlag um die Hälfte geschrumpft: von 871 auf voraussichtlich nur noch 422 Schüler.

 

Laut Abfrage des Staatlichen Schulamts haben zwar 24 Prozent der Viertklässler eine Empfehlung für die Hauptschule, 24,8 Prozent für die Realschule und 51,3 Prozent fürs Gymnasium. Doch die ist nicht mehr verbindlich. Jetzt entscheiden die Eltern. Laut Anmeldungen werden nur 10,6 Prozent der Viertklässler auf die Hauptschule wechseln. Dafür haben sich 26,6 Prozent der Grundschüler an der Realschule angemeldet und 54,5 Prozent am Gymnasium. Es ist klar, dass Realschulen und Gymnasien sich auf leistungsschwächere Schüler einstellen müssen – zumindest bis die Versetzungsordnung greift.

Wo sind sie alle geblieben?

Den massivsten Rückgang bei den Hauptschulen verzeichnet die Eichendorffschule in Bad Cannstatt. Dort schrumpft die Zahl der Fünftklässler von 49 auf ganze acht. Wo sie geblieben sind? „Einige gehen mit Hauptschulempfehlung aufs Gymnasium – und auch auf der Realschule sind viele gelandet“, berichtet der Schulleiter Matthias Bolay. „Probieren Gymnasium“, habe ein Vater in gebrochenem Deutsch voller Zuversicht gesagt.

Bolay sieht das nicht ganz so zuversichtlich. Er rechnet damit, dass einige Kinder später doch noch in der Hauptschule landen. „Ich sehe eine große Problematik darin, dass die Kinder jetzt ein oder zwei Jahre diese Negativ-Schulerfahrung ertragen müssen – die werden überfordert sein.“ Und sie seien die Leidtragenden. „Die Schwierigkeit wird für uns sein, diese Kinder wiederaufzubauen.“ Bolay befürchtet auch, dass Realschulen und Gymnasien nicht die entsprechenden Mittel haben, um solche Kinder individuell zu fördern. Da diese Entwicklung anhalten werde, müsse sich die Hauptschule neu positionieren. „Wir werden uns in Richtung Gemeinschaftsschule bewegen müssen“, meint Bolay. Fraglich sei aber, ob diese Schulart angenommen werde, wenn parallel dazu Realschule und Gymnasium angeboten würden. In Stuttgart gibt es bis jetzt – anders als vor allem in ländlichen Gebieten – keine Gemeinschaftsschule. Einzig die Elise-von-König-Schule in Münster hat sich auf den Weg gemacht und entwickelt mit Nachdruck neue Lernformen.

Die größte Zunahme bei den Realschulen verzeichnet die Schickhardt-Realschule im Stuttgarter Süden. Dort schnellt die Zahl der Fünftklässler von derzeit 36 auf 78. Der Schulleiter Richard Haag führt das auf die „gute Arbeit“ der Schule zurück. Aber er räumt auch ein: „Wir rechnen auf jeden Fall mit mehr Hauptschulkindern.“ Man wolle deshalb noch stärker als bisher auf den Entwicklungsstand der Kinder schauen. Durch interne Umschichtungen sollen in den Kernfächern mehr Lehrerstunden für die Fünftklässler bereitgestellt werden. Somit könnten die Schüler besser begleitet und individuell gefördert werden.

Zahl der Realschüler wird nur geringfügig steigen

Es hänge aber vor allem vom Leistungswillen ab, ob ein Kind Erfolg habe, so Haag. Doch in zwei Jahren rechnet auch er mit größeren Verschiebungen: mit Schülern aus dem Gymnasium, aber auch in Richtung Hauptschule. Somit werde sich ein Problem verschärfen, das es schon jetzt gebe. „Wir haben keinen festen Klassenstamm mehr; das macht es schwierig, eine Klassengemeinschaft herzustellen.“

Insgesamt wird die Zahl der Realschüler nur geringfügig steigen: von 1064 auf voraussichtlich 1086 Fünftklässler. Doch auch die Schulamtsleiterin Ulrike Brittinger rechnet mit späteren Wechslern aus dem Gymnasium. Dafür hätten die Realschulen genügend „Puffer“. Sie hofft, „dass die Schulen alles dransetzen, damit die Schüler gut Fuß fassen“. Den Realschullehrern biete man eine extra Fortbildung. Das Ausbluten der Hauptschulen bedauere sie, zumal dort „so viel an Innovation“ hineingesteckt worden sei. Aber das dreigliedrige Schulsystem sei überholt. „Ich setze auf den Erfolg der Gemeinschaftsschule.“ Doch deren Entwicklung brauche Zeit.