Der Andrang auf Stuttgarter Privatschulen ist ebenso groß wie der Konkurrenzkampf. Neben Pädagogik und Profil entscheidet die Gebühr.

Stuttgart - In Stuttgart hat der Trend, sein Kind auf eine Privatschule zu schicken, erneut zugenommen. Im aktuellen Schuljahr besuchen 17,2 Prozent (Vorjahr 16,8 Prozent) der Schülerschaft eine alternative Bildungseinrichtung. Den Löwenanteil verbuchen dabei die vier Waldorfschulen - sie machen 25,9 Prozent des privaten Schüleraufkommens aus. Auch für das kommende Schuljahr ist der Andrang auf die meisten Privaten groß - aber nicht bei allen. Die beiden evangelisch getragenen Gymnasien Heidehof und Mörike verzeichnen deutliche Rückgänge der Bewerberzahlen.

 

Im Heidehofgymnasium im Stuttgarter Osten haben sich nur noch 75 Kinder angemeldet - in den Vorjahren waren es stets 120 bis 140 gewesen, so dass gar nicht alle aufgenommen werden konnten. "Ich führe diese Entwicklung vor allem auf das Schulgeld zurück", sagt der Schulleiter Berthold Lannert. Das begann 2002 mit 15 Euro im Monat, vom kommenden Herbst an müssen die Eltern 110 Euro bezahlen. Diese Gebühr sei nötig geworden, um die Kürzung des städtischen Zuschusses von 60 auf 45 Prozent und die gedeckelten Landeszuschüsse auszugleichen, so Lannert.

Allerdings erhalte man immer mehr Anfragen von Quereinsteigern, die in der fünften, sechsten und siebten Klasse von einer staatlichen Schule wechseln wollten. "Es gibt bei uns eine sehr stark pädagogisch ausgeprägte Hinwendung zum Schüler, auch was die Lernberatung angeht", sagt Lannert. Dieses Profil werde man künftig stärker nach außen tragen. "Wir werden mehr für unsere Schule werben." Er gehe davon aus, dass auch künftig drei fünfte Klassen gebildet werden.

"Realschul-Aufsetzer" erweist sich als Erfolg

Einbrüche bei den Anmeldungen verzeichnet auch das Mörikegymnasium im Süden - trotz seines guten Rufs. Auch hier spiele wohl das Schulgeld (110 Euro) für viele Eltern eine Rolle, meint die Schulleiterin Sonja Spohn. "In Stuttgart ist die Konkurrenz groß." Nach aktuellem Stand werden nur noch 60 Fünftklässler (Vorjahr 78) starten. Statt drei werden voraussichtlich nur noch zwei Klassen gebildet. Allerdings arbeitet man bereits an Plan B - auch im Blick auf die demografische Entwicklung. Vom Schuljahr 2012 an soll der Gymnasialzug voraussichtlich durch einen Realschulzug ergänzt werden. "Viele Kinder müssen vom G 8 auf die Realschule wechseln - dann wäre es gut, wenn alles unter einem Dach ist", sagt Spohn.

Dass diese Kombination ein Erfolgsmodell sein kann, macht die Waldschule in Degerloch vor. Trotz Schulgebühren von 254 Euro, beziehungsweise 357 Euro inklusive Mittagessen und Hort bis 17 Uhr, meldet die Schule volle Klassen. Das bedeutet dort allerdings im Gymnasium maximal 20, in der Realschule bis zu 23 Schüler. "Wir konnten nicht alle Leute bedienen", berichtet der Schulleiter Kai Buschmann. Jeweils 40 Bewerber mehr als möglich hätten sich gemeldet, wirklich auf der Warteliste geblieben seien 20 Kinder.

Als echter Erfolg erweist sich der sogenannte "Realschul-Aufsetzer". Seit 2007 bietet die Waldschule den Realschulabsolventen eine dreijährige Weiterführung zum Abitur an - als einziges allgemeinbildendes Gymnasium in Stuttgart. Normalerweise bilde man eine elfte Klasse mit 18 Schülern. Allerdings liegen derzeit 50 Bewerbungen vor. "Wir werden wahrscheinlich zwei Klassen aufmachen", so Buschmann. Als Übergangshilfe bietet die Waldschule diesen Schülern ein Jahr lang je eine Wochenstunde Zusatzunterricht in Mathe, Englisch und Physik an. Da erst Ende Juli feststeht, wer den Notenschnitt schafft, seien bis dahin noch Bewerbungen möglich. Die monatliche Schulgebühr beläuft sich allerdings auf 390 Euro.

Weitere Informationen unter www.vdp-bw.de/

Schulen mit mehr Bewerbern als Plätzen

Ebenfalls mehr Bewerber als Plätze und zwei volle Fünferklassen vermeldet, wie schon in den vergangenen Jahren, das Gymnasium der Merzschule - trotz einer Schulgebühr von 415 Euro. Es spricht freilich eine andere Klientel an als die kirchlich getragenen Schulen.

Im Unterschied zu den evangelisch getragenen Gymnasien verzeichnen ihre katholischen Konkurrenten bei moderaten Schulgebühren einen stabil großen Andrang. "Ich habe die Klassen ganz voll", sagt Schwester Iris Rederer, die das St.-Agnes-Gymnasium für Mädchen leitet- mit 1108 Schülerinnen das größte Gymnasium in Stuttgart. Von 200 Bewerberinnen werde man 120 aufnehmen. Schwester Iris führt den Erfolg auf mehrere Faktoren zurück: auf die Schulgebühr von 35 Euro pro Familie, auf die gute Schulatmosphäre und auf die verkehrsgünstige Lage in der Innenstadt, mit S-Bahn-Anschluss direkt vor dem Haus.

Auch das Albertus-Magnus-Gymnasium in Bad Cannstatt ist dicht. Auf der Homepage steht: "Für das Schuljahr 2011/12 sind leider keine Vormerkungen mehr möglich." Mit 50 Euro pro Monat ist die Schule konkurrenzfähig.

Kurs der Regierung wird mit Spannung erwartet

Die Waldorfschulen hingegen bedienen mit ihrer anthroposophischen Ausrichtung eine andere Klientel. Wer Abitur machen will, muss die Prüfung als Schulfremder an einem staatlichen Gymnasium ablegen. Doch auch die Waldorfschulen spüren den Druck auf vielen Familien. "In den vierten und fünften Klassen ist der Andrang so groß, dass die Freie Waldorfschule am Kräherwald eine weitere fünfte Klasse einrichten könnte", sagt deren Sprecherin Eva Tilgner. Dies sei jedoch aus Kapazitätsgründen nicht möglich.

Ähnliches berichtet auch Beate Kötter-Hahn von der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe: "Wenn die Empfehlungen draußen sind, klingelt jeden Tag mehrmals deswegen das Telefon. Wir könnten jedes Jahr eine zusätzliche fünfte Klasse einrichten." Doch dies gehe aus räumlichen und personellen Gründen nicht. Die Anfragen kämen nicht nur von Eltern, deren Kinder eine Haupt- oder Realschulempfehlung hätten, sondern auch von Gymnasialkindern.

Mit Spannung warten jetzt alle Privatschulen auf den Kurs der neuen Landesregierung. "Wir hoffen natürlich, dass die Zuschüsse erhöht werden und die Versprechen eingehalten werden", sagt Schwester Iris. Kai Buschmann rechnet damit, dass die fallende Grundschulempfehlung vielfältige Auswirkungen haben wird. Sie werde zwar aus vielen Familien den Druck nehmen, möglicherweise aber auch den Frust verstärken, "wenn Kinder auf der falschen Schulart sind". Und es werde dazu führen, "dass das Leistungsniveau sinkt". Wie sich diese Entwicklung auf den Trend zu Privatschulen auswirke, bleibe abzuwarten.

Alternative Bildungseinrichtungen sind beliebt

Angebot: In Stuttgart gibt es 19 allgemeinbildende weiterführende Schulen in privater Trägerschaft: neun Gymnasien, fünf Realschulen, eine Hauptschule und vier Waldorfschulen. Eine Homepage mit einer Linksammlung findet sich unter www.freie-schulen-stuttgart.de

Schülerzahlen: Im aktuellen Schuljahr besuchen in Stuttgart 9766 von insgesamt 47.127 Schülern an allgemeinbildenden Schulen eine private Einrichtung. Das entspricht einem Anteil von 17,2 Prozent. Nach Schularten aufgeteilt machen bei den Privaten die Sonderschulen mit 32,3 Prozent den höchsten Anteil aus, gefolgt von Waldorfschulen (25,9 Prozent) und Gymnasien (21,8 Prozent). An den Realschulen machen die Privatschüler 9 Prozent, an den Werkrealschulen 6,2 und an den Hauptschulen 4,4 Prozent aus.