Unter deutschen Viertklässlern gibt es weitaus mehr Risikoschüler als Überflieger. Das zeigen zwei internationale Studien. Insgesamt schneidet die Bundesrepublik aber gut ab. Kinder aus Migrantenfamilien und besonders helle Köpfe haben das Nachsehen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Skizze zeigt einen Tisch, auf dem ein Apfel, ein Ziegelstein und ein großer Styroporquader liegen. „Jakob glaubt, dass Objekte mit größerem Volumen mehr wiegen. Bist Du seiner Meinung?“ So lautet eine der Aufgaben, die 4000 Viertklässler an 197 deutschen Grundschulen 2011 beantwortet haben. In 50 anderen Ländern gab es ebensolche Tests. Die Ergebnisse werden unter dem Kürzel TIMSS zusammengefasst. Das ist eine Vergleichsstudie für Mathematik und Naturwissenschaften. Seit 2001 wird auch die Lesekompetenz der Grundschüler getestet. IGLU wird diese Untersuchung abgekürzt. Beide Studien zeigen: Das Ausbildungsniveau an deutschen Grundschulen liegt im oberen Drittel aller beteiligten Länder – deutlich über dem Mittelwert der EU-Staaten und durchweg über dem Schnitt der OECD.

 

Die Leseleistungen deutscher Viertklässler bewegen sich auf dem Niveau der Niederlande, Schwedens und Italiens. Sie haben sich seit 2001 kaum verändert, obwohl der Anteil von Grundschülern aus Familien, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, seitdem von 22 auf knapp 28 Prozent gestiegen ist. Das spricht für einen gewissen Erfolg der Sprachförderung.

Mädchen schneiden beim Lesetest deutlich besser ab als Jungen. In Mathe und Sachkunde ist das umgekehrt. Der Leistungsvorsprung der Mädchen bei der Lesekompetenz fällt im internationalen Vergleich eher gering aus. Mehr als zwei Drittel der Grundschüler sagen, sie würden gerne lesen. Vor zehn Jahren waren es nur 59 Prozent. Elf Prozent der Kinder lesen in der Freizeit nach eigenen Angaben fast nie. 2001 lag der Anteil der Buchabstinenzler noch bei 18 Prozent. Schüler, deren Eltern zuhause viele Bücher haben, schneiden beim Lesetest signifikant besser ab als Klassenkameraden aus bildungsfernen Familien. Der Unterschied entspricht im Schnitt einem Schuljahr. Nur in fünf der 45 Staaten, die sich an der Lesestudie beteiligt haben, sind die sozial bedingten Unterschiede noch augenfälliger.

15,4 Prozent unserer Viertklässler können nicht so gut lesen, wie es ihrem Alter entsprechen würde. Nicht einmal zehn Prozent erreichen bei der Lesekompetenz Spitzenwerte. In England und den USA, wo die Einwandererquote nicht geringer ist, liegt dieser Anteil doppelt so hoch. Wilfried Bos, Chef des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund, kommentiert das so: „Wir vergeuden unsere Talente.“

Die Bildungsgerechtigkeit lässt nach wie vor zu wünschen übrig

In den Zahlenfächern sind die Befunde ähnlich. Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten deutscher Grundschüler können sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Sie reichen allerdings bei weitem nicht an das Niveau asiatischer Staaten heran. Auch in einigen Nachbarländern mit vergleichbarer Schülerstruktur sind etwa die durchschnittlichen Matheleistungen deutlich besser, zum Beispiel in Belgien, England, den Niederlanden und Dänemark. Die Streubreite ist in deutschen Grundschulen eher gering. Jeder fünfte Schüler erreicht das Mindestniveau nicht. Nur fünf Prozent sind in Mathe spitze. In Singapur trifft das für 43 Prozent zu. In Hongkong liegt der Anteil der Überflieger bei 37 Prozent, in Taiwan bei 34, in England immerhin bei 18 Prozent. Bei den Naturwissenschaften erreicht nur etwa jedes vierzehnte deutsche Kind ein Level, das die Bildungsforscher als „fortgeschrittene Leistungen“ erachten.

Die Bildungsgerechtigkeit lässt in Deutschland nach wie vor zu wünschen übrig. So hat der soziale Status der Eltern einen großen Einfluss bei der Frage, welche Grundschüler auf das Gymnasium wechseln. Kinder von Vätern oder Müttern in Führungspositionen haben bei gleichen Leistungen eine dreimal bessere Chance von ihren Lehrern als gymnasialreif beurteilt zu werden als ebenso gute Facharbeitersprösslinge. Wenn die Eltern über die Schulwahl entscheiden, ist der Unterschied noch markanter.

Schüler, die zuhause nicht Deutsch sprechen, erzielen sowohl beim Lesen als auch in Mathe und in den Naturwissenschaften schlechtere Leistungen als ihre Mitschüler, deren Muttersprache Deutsch ist. Fast ein Drittel jener Kinder genügt den Mindestanforderungen der vierten Klasse nicht. Allerdings haben sich die Unterschiede in den vergangenen Jahren verringert. Für „auffällig“ halten die Autoren der Studien, „dass an allen Schultypen deutlich mehr Angebote für leistungsschwache Schüler zur Verfügung gestellt werden als für leistungsstarke Viertklässler“.