Seit dem Pisa-Schock ist in Baden-Württemberg vieles besser geworden. Es gibt mehr Abiturienten und weniger Schüler ohne Abschluss. Allerdings kommen andere Länder sehr viel schneller vorwärts.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Immerhin stellt der aktuelle „Chancenspiegel“, den die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit Bildungsforschern aus Jena und Dortmund gemacht hat, den Schulen in Deutschland und auch in Baden-Württemberg ein ordentliches Zwischenzeugnis aus. 15 Jahre nach dem Pisa-Schock registriert der Vergleich der Bildungsforscher bundesweit ziemlich viele positive Entwicklungen: Bundesweit machen mehr Schüler das Abitur, weniger Jugendliche verlassen die Schule ohne Hauptschulabschluss, weniger Kinder bleiben sitzen. Mehr Schüler können Ganztagsangebote nutzen, und auch die Inklusion von Behinderten in den normalen Schulbetrieb schreitet voran.

 

Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie Bertelsmann-Stiftungsvorstand Jörg Dräger bei der Vorstellung in Berlin erläutert. „Die Herausforderungen, vor denen die Schulen heute stehen, sind nicht einfacher, sondern anspruchsvoller geworden.“ Dass der Leistungsstand der Schüler heute sehr unterschiedlich, der generelle Förderbedarf gestiegen und die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund gewachsen ist, sei heute Realität in jedem Klassenzimmer. „Daran gemessen ist es positiv, dass das deutsche Schulsystem sich nach vorne entwickelt hat und die Schüler heute bessere Chancen haben“, sagt Dräger, um im nächsten Satz allerdings gleich Wasser in den Wein zu gießen: „Bedenklich ist, dass die Bundesländer dabei immer weiter auseinanderdriften.“

Bei der Abitursquote ist der Südwesten ziemlich weit vorne

Auch Baden-Württemberg, das seinen früheren Spitzenplatz bei Pisa inzwischen eingebüßt hat und bei jüngeren Schulleistungsvergleichen geradezu abgestürzt ist, hat in den vom Chancenspiegel untersuchten Kategorien positive Trends vorzuweisen. Der traditionellen Stärke der beruflichen Gymnasien im Land verdankt der Südwesten eine Abiturquote von insgesamt 58,1 Prozent (nach 39,7 im Jahr 2002) – nur Hamburg (mit 62,5 Prozent) und das Saarland (mit 59,7 Prozent) liegen noch weiter vorne. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht ja zu verschmerzen, dass das Land bei der Abiquote an allgemeinbildenden Gymnasien in der Schlussgruppe rangiert und mit 28,5 Prozent den zweitschlechtesten Platz nach Bayern (28,2 Prozent) belegt. Insgesamt schaffen die Schulen im Land es überdurchschnittlich gut, die nachwachsende Generation zur Hochschulreife zu führen.

Das Hauptproblem bleibt die offene Flanke bei der sozialen Gerechtigkeit

Gut schneidet das Land auch seit jeher bei den Schulabbrechern ab: 2002 gingen noch 7,7 Prozent der Schüler ohne Abschluss ab – 2014 waren es fünf Prozent. Bei den Sitzenbleibern liegt der Südwesten (mit einer Wiederholerquote von 2,5 im Jahr 2002 und 1,8 Prozent in 2014) nach wie vor weit vorne.

Das baden-württembergische Schulsystem gehört im Bereich Kompetenzerwerb zu den Vorreiterländern. Allerdings haben Schüler aus ärmeren Elternhäusern öfters schlechte Leistungen. Das Risiko eines Schulabbruchs bleibt vor allem für ausländische Schüler bestehen, erklärte die Stiftung. Während der Anteil aller Schüler ohne Abschluss bundesweit weiter abgenommen habe (6 Prozent), sei der der Ausländer wieder leicht auf 12,9 Prozent angestiegen. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betont deshalb, „das Thema Bildungsgerechtigkeit ist und bleibt eine zentrale Herausforderung in unserem Bildungswesen.“ Zwar nähere sich die Bildungsbeteiligung bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund langsam an, „doch es bleibt eine dringende Aufgabe, soziale Ungleichheiten zu verringern.“

Im Mittelfeld liegen die Schulen im Land bei der Aufgabe der Inklusion, wo es darum geht, behinderte Kinder in die allgemeinbildenden Schulen zu integrieren. Seit 2002 ist der Anteil von 24,4 auf 29,1 Prozent gewachsen. Schleswig-Holstein hat seine Quote in diesem Bereich dagegen von 26 auf 63,4 Prozent gesteigert.

Bei Ganztagsschulen tut sich viel im Südwesten, aber das Land liegt trotzdem weit hinten

Lob und Tadel liegen beim nächsten Thema für Baden-Württemberg sehr nah beieinander: Denn beim Thema Ganztagsschulen hat Baden-Württemberg im vergleich mit allen anderen Indikatoren zwar die größten Fortschritte gemacht, liegt im bundesweiten Vergleich aber trotzdem ganz weit hinten. Zwar hatten 2014 bereits 37 Prozent der Schulen ein Ganztagsangebot – nach nur 7,3 Prozent im Jahr 2002; immerhin 21 Prozent der baden-württembergischen Schüler nehmen unterdessen Ganztagsangebote wahr – aber die Sachsen schaffen mit Ganztagsangeboten an 97 Prozent aller Schulen fast eine Vollversorgung. Fast achtzig Prozent der sächsischen Schüler machen Gebrauch davon. Das Fazit im Chancenspiegelvergleich ist deshalb eindeutig: „Die Indikatoren zum schulischen Ganztag zeigen, dass sich die Ganztagsschule in Baden-Württemberg vergleichsweise langsam durchsetzt.“ Da ist es ein schwacher Trost, dass es nach Rechnung der Forscher bundesweit auch noch rund dreißig Jahre dauern würde, um eine Vollversorgung mit Ganztagsschulen zu erreichen.