Experten empfehlen, Studien zu einer leicht übertragbaren Variante der Vogelgrippe zu veröffentlichen, um künftigen Pandemien vorzubeugen.

Rotterdam/Wisconsin-Madison - Die beiden bekanntesten unpublizierten Manuskripte der Lebenswissenschaften bleiben vorerst unter Verschluss, sollen aber zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden. Das empfehlen 22 internationale Grippe- und Gesundheitschutzexperten, die sich auf Einladung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf getroffen hatten. Ein genauer Zeitplan wurde nicht festgelegt.

 

Im Laufe des vergangenen Jahres war es zwei Forschergruppen in den Niederlanden und den USA gelungen, das gefährliche Vogelgrippevirus H5N1 im Labor so zu verändern, dass es wie die saisonale Grippe über die Luft von Frettchen zu Frettchen übertragen werden kann. Frettchen sind das beste verfügbare Tiermodell für Grippeinfektionen von Säugetieren. Die Forscher widerlegten damit die These, dass sich das Vogelgrippevirus nicht gut an den Menschen anpassen kann. Eine natürlich auftretende Pandemie mit H5N1 kann nun nicht mehr als ein aus der Luft gegriffenes Horrorszenario abgetan werden.

Um zu verstehen, wie es zu solch gefährlichen Grippestämmen kommt, verfolgten die beiden Forschergruppen verschiedene Ansätze. Ron Fouchier und sein Team von der Universität Rotterdam veränderten das Virus zunächst so, dass es sich in den Atemwegen der Frettchen festsetzen konnte. Danach verwendeten sie eine Methode, die der Evolution ihren Lauf lässt: Sie infizierten ein Frettchen und warteten, bis es krank wurde.

Virologen sind unschlüssig über die Veröffentlichung der Studien

Die Viren aus dem kranken Frettchen setzten sie dann in die Nase eines gesunden. Nach zehn Wiederholungen hatte sich das Virus genetisch so verändert, dass es sich über die Luft von Käfig zu Käfig verbreiten konnte. Als die Forscher den neuen Stamm untersuchten, fanden sie fünf Mutationen in zwei Grippe-Genen. Alle fünf kommen bereits in der Natur vor.

Yoshihiro Kawaoka und seine Kollegen von der Universität Wisconsin-Madison setzten das Erbgut des H5N1-Virus neu zusammen. Sie verwendeten dazu Gene des Schweinegrippevirus H1N1, das 2009 eine Pandemie auslöste. Das von Kawaoka im Labor geschaffene Virus konnte ebenfalls über die Luft von Frettchen zu Frettchen übertragen werden, war für die Tiere aber nicht gefährlicher als die Schweinegrippe 2009. Ob dies so bleibt, wenn sich in der Natur die Schweinegrippe und die Vogelgrippe mischen, ist ungewiss.

Virologen sind sich nicht einig, ob die Studien, die mittlerweile bei den Fachmagazinen "Science" und "Nature" zur Prüfung vorliegen, komplett oder in einer gekürzten Version veröffentlicht werden sollten, um Terroristen keine Anleitung zur Herstellung eines Supervirus zu geben. Im Dezember empfahl das Gremium der US-Regierung für Biosicherheit NSABB, nur die Schlussfolgerungen zu veröffentlichen. Wissenschaftler, die alle Daten brauchten, sollten sie anfordern können. Ende Januar entschieden sich Grippeforscher weltweit zu einem Moratorium, um zu einer international akzeptierten Lösung zu gelangen.

Die Forscher kamen schnell zu einem Konsens

Die jüngste Diskussion in Genf war entsprechend hitzig, berichtet Keiji Fukuda, WHO-Sonderberater für Grippepandemien. Die versammelten 22 Experten, zu denen auch Vertreter des NSABB, der beiden Forscherteams sowie der Journale "Science" und "Nature" zählten, einigten sich darauf, dass die Forschung zu den mutierten Vogelgrippeviren von globaler Bedeutung sei und weitergehen müsse.

Um die Weltbevölkerung besser vor künftigen Pandemien zu schützen, sei es ratsam, die kompletten Studien zu publizieren. "Es ist praktisch unmöglich, einen transparenten Prozess zu finden, wie Forscher die kompletten Daten anfordern können", sagt Fukuda. Das Moratorium solle um einige Monate verlängert werden, um die Öffentlichkeit über die Arbeit an den Viren aufzuklären und die Sicherheitsstandards zu überdenken.

Vertreter der USA betonten gegenüber der "New York Times", dass die Entscheidung nicht einstimmig gewesen sei und sie weiter hinter der Empfehlung des NSABB stünden. "Science"-Chefredakteur Bruce Alberts sagte während einer Tagung in Vancouver, dass ihn überrascht habe, wie schnell die Gruppe zu einem Konsens gekommen sei. Die Fachjournale hatten ursprünglich geplant, im März gekürzte Versionen der zwei Studien zu drucken. "Das wird nun nicht passieren."