Der Planungsausschuss der Region Stuttgart hat beschlossen, gegen das Regierungspräsidium vor den Kadi zu ziehen. Die Behörde hatte eine Biogasanlage genehmigt.

Stuttgart - Im Vorfeld hatte es nach einer knappen Entscheidung ausgesehen, am Ende gab es aber eine deutliche Mehrheit: CDU, SPD, Freie Wähler, FDP und große Teile der Grünen unterstützen die Klage des Verbands Region Stuttgart vor dem Verwaltungsgericht gegen den Bau der Biogasanlage nahe Nürtingen. Das Projekt, das in einem  Grünzug im Gewann Großbettlinger Gatter im Kreis Esslingen errichtet werden soll, in dem laut Regionalplan nicht gebaut werden darf, war vom Regierungspräsidium Stuttgart  genehmigt worden.

 

Vertreter der Investoren, die Stadtwerke Nürtingen und die Firma Refood, die die Sitzung verfolgten, reagierten enttäuscht auf das klare Votum. Man werde die Lage nun analysieren und die Auswirkungen prüfen. Ein Sprecher von Refood kritisierte, dass es auch fast fünf Jahre nach den ersten Plänen  noch keine Lösung gebe. „Das ist nicht gut für den Wirtschafts- und Investitionsstandort Baden-Württemberg“, sagte er. Auch in der grün-roten Landesregierung, die das Projekt unterstützt, gibt es Bedenken, ob der Investor eine mögliche Zeitverzögerung in Kauf nehmen wird.

Die Regionalräte beschlossen  zugleich, dass es erneut Gespräche mit allen Beteiligten über den zuerst geplanten Standort geben soll. Er liegt nur 200 Meter entfernt in einem kleinen Wäldchen, während der neue Standort im freien Feld auf einer Kuppe ist. Der alte Standort war ausgeschieden, weil dort Baumfalken brüten. „Das ist ein unüberwindliches Hindernis für eine Genehmigung“, sagte Thomas Kiwitt, der Chefplaner der Region. Dennoch soll er nun Gespräche mit dem Regierungspräsidium, dem Esslinger Landratsamt und der Stadt Nürtingen führen mit dem Ziel, für diesen Platz eine Genehmigung zu erhalten. Ob dies realistisch ist, gilt als fraglich. Dennoch votierte eine große Mehrheit dafür, diesen Versuch zu unternehmen.

Massiv kritisiert wurde  das  Regierungspräsidium, das sich mit seiner Ausnahmegenehmigung über den Regionalplan hinweggesetzt hatte. „Das hat grundsätzliche Bedeutung,  eine gerichtliche Nachprüfung ist angemessen“, sagte der CDU-Regionalrat Udo Goldmann. Matthias Hahn, der Stuttgarter Baubürgermeister und SPD-Regionalrat, kritisierte, dass das Regierungspräsidium die Verlegung auf die Kuppe als „unwesentliche Lageänderung“ bewertet und trotz der exponierten Lage von einem „kleinen Eingriff im Vergleich zur Gesamtfläche des regionalen Grünzugs“ spricht. „Das ist, als ob Sie einem Menschen den kleinen Finger abhacken und ihm  sagen, er habe ja noch neun Finger“, sagte er.

Zweifel am Willen zur Energiewende Hahn betonte aber auch, dass sich das Ziel der Energiewende nicht werde durchsetzen lassen,  wenn  Genehmigungsverfahren planungsrechtlich so abliefen. Auch die Freien Wähler, die FDP und eine Mehrheit der Grünen vertraten diese Positionen, während die grüne Fraktionsvorsitzende Ingrid Grischtschenko sich für den Bau aussprach, weil ihr die Energiewende wichtiger als der Landschaftsschutz sei.

Ironisch fügte sie an: „Ich hoffe, dass der Respekt, den viele jetzt für die regionalen Grünzüge entdecken, lange anhält.“ Mit ihr stimmten nur zwei weitere Grüne und ein FDP-Regionalrat für den Vorschlag der Verbandsverwaltung, die Klage zurückzunehmen. Kiwitt begründete diese Empfehlung damit, dass auch die Klage keine Chance eröffne, einen besseren Standort zu finden. Er mahnte aber, dass es bei der Suche nach  Arealen  für alternative Energiegewinnung   und neue Stromtrassen Konflikte geben werde. „Wir müssen die Auswahl deshalb  gut begründen können“, forderte er. Auch dieses Ziel sei mit der Klage aber nicht  mehr erreichbar.

Kommentar: Konsequent

Das Wort Energiewende kommt heutzutage jedem Politiker leicht über die Lippen. Wenn es dann zum Schwur kommt, wird es schwierig. Nach dem Ingersheimer Windrad wird nun mit der Biogasanlage in Nürtingen ein zweites Leuchtturmprojekt alternativer Energiegewinnung in der Region zum Fall für die Justiz. Das zeigt, dass sich im 3654 Quadratkilometer großen Ballungsraum auch bei ökologischen Projekten Wirtschafts- und Naturschutzinteressen unweigerlich in die Quere kommen.

Ein Regelwerk wie der Regionalplan ist deshalb bitter nötig. Nicht nur aus diesem Grund ist es richtig, dass der Verband Region Stuttgart nun Klage gegen die Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums erhebt, das den Regionalplan mit kaum überzeugenden Argumenten außer Kraft gesetzt hat. Auch Projekte alternativer Energiegewinnung dürfen sich nicht nur auf ihre umweltpolitische Strahlkraft verlassen, sie müssen auf Vor- und Nachteile nachvollziehbar geprüft werden. Die Region verteidigt mit der Klage ihr Planungsrecht.

Das ist konsequent. Hätte sie klein beigegeben, wäre aus dem Ausnahme- ein Präzedenzfall geworden und der Regionalplan nicht mehr das Papier wert gewesen, auf dem er steht.