Schnitzel ist bald wohl nicht mehr gleich Schnitzel: Forscher wollen nämlich im Labor künstliches Fleisch herstellen – und so das Klima schützen.

Stuttgart - Braten ohne Blut, Burger, für die kein Tier sterben musste – was vor einiger Zeit noch wie die Utopie engagierter Tierschützer klang, soll in den kommenden Jahren Realität werden. In Europa und den USA lassen Wissenschaftler Fleisch bereits künstlich wachsen, das zwar genauso wie Fleisch schmecken soll, dabei aber die Umwelt im Gegensatz zur herkömmlichen Viehzucht weniger belastet.

 

So ist es zum Beispiel Mark Post von der Technischen Eindhoven Universität Maastricht in den Niederlanden gelungen, Fleischfasern aus den Stammzellen tierischen Muskelgewebes zu gewinnen. Bis jetzt gibt es nur kleine, im Labor produzierte Fitzelchen des künstlichen Fleisches. Um eine Burgerfrikadelle herzustellen, müssten es mehrere Tausend sein. Das ehrgeizige Ziel des Forschers: „Im Herbst, vielleicht im Oktober, möchte ich den ersten Prototypburger aus synthetischem Rindereiweiß präsentieren“, sagt er während der Wissenschaftstagung AAAS im kanadischen Vancouver. Bis es den Kunstburger zu kaufen gibt, werden aber noch einige Jahre vergehen.

CO2-Fußabdruck

Wie stark die Tierzucht die Umwelt belastet, belegen Experten wie Mark Post mit dem sogenannten CO2-Fußabdruck, der enorm sei. Post braucht zwar nach wie vor Schlachttiere, um an die Stammzellen zu gelangen. „Aber ich benötige nur noch einen Bruchteil dessen, was für die herkömmliche Fleischgewinnung erforderlich ist.“ Während er das sagt, blitzt unter seinem Jacket ein weißes T-Shirt mit einer glücklich grinsenden Kuh hervor – ein Signal, das er auf der AAAS sicher nicht ganz zufällig setzt. Wenn seine Vision vom Laborschnitzel in Erfüllung geht, steht den bisherigen Ernährungsgewohnheiten auf jeden Fall eine kleine Revolution bevor.

Aber warum so kompliziert, wenn doch vielleicht auch Soja ein Fleischersatz sein könnte? Von der Variante ist weder Post noch sein Kollege Patrick Brown angetan. „Einen echten Fleischliebhaber können Sie mit Soja doch nicht zufriedenstellen“, sagt Brown. Der Wissenschaftler von der Stanford Universität in Kalifornien forscht derzeit an Steaks, Speck und Burgern aus Getreidezutaten. Über die Rezeptur schweigt er sich zwar aus, nur so viel: „In Geschmack und Preis-Leistungs-Verhältnis werden meine Produkte echtem Fleisch in nichts nachstehen“, sagt er. In etwa einem Jahr will er so weit sein.

Der Klimawandel zwingt zum Umdenken

Die Zeit drängt, der Klimawandel zwingt zum Umdenken, die Bevölkerung wächst und wächst. Jahr für Jahr kommen heute bereits rund 229 Millionen Tonnen Fleisch auf den Tisch. Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen geht in dem Bericht Livestock’s long Shadow davon aus, dass sich die Menge bis 2050 verdoppeln wird. Trifft das ein, ist klar: das Fleisch wird dann erst recht nicht mehr für alle reichen. Die Tierzucht belastet zudem die Umwelt durch die hohen Treibhausemissionen (siehe Kasten). „Zuchttiere wie beispielsweise Rinder haben einen Anteil von 39 Prozent am globalen Methanausstoß, 40 Prozent an Distickstoffoxid und 5 Prozent an Kohlenstoffdioxid“, sagt Post. Sein Kollege Nicholas Genovese von der Medizinischen Universität in South Carolina warnt mit Nachdruck: „Bis ins Jahr 2050 wird die Nachfrage nach Fleischprodukten um weitere 60 Prozent steigen. Auch in Schwellenländern wie China und Indien gibt es immer mehr Bedarf“, sagt er. Deshalb sei es unerlässlich, nachhaltige Fleischprodukte anzubieten. Umweltaktivisten bauen zudem darauf, dass dann 25 Prozent der festen Erdoberfläche, die momentan für die Nutztierhaltung gebraucht wird, wieder an die Umwelt zurückgegeben werden könnte. Rettung für die Erde, Rettung für die Tiere – eine romantische Idee. Wenn da die Ängste der Europäer vor Schlagwörtern wie Genen, Technik und Kreuzung nicht wären.

Eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie hat Anfang 2005 gezeigt, dass 94 Prozent der Europäer das In-vitro-Fleisch äußerst skeptisch sehen, 54 Prozent würden das künstlich gewachsenes Fleisch gleich ganz von ihren Tellern verbannen. Dabei vermuten die Befürworter, dass das Kunstfleisch um einiges gesünder wäre als das herkömmliche. Das Risiko von Krankheits- und Schadstoffübertragung durch Fleisch auf den menschlichen Körper könnte minimiert werden. Denkbar wäre auch, das Fleisch zusätzlich als ernährungsphysiologischen Alleskönner aufzumotzen: etwa durch die Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen und der Optimierung der verschiedenen Omegafettsäuren im Fleisch. Was bleibt, ist dennoch: die Angst vor genmanipulierten Produkten.

„Die Vorräte weltweit haben sich dramatisch reduziert“

Der Züricher Pflanzenbiotechnologe Wilhelm Gruissem war im Jahr 2010 hautnah mit den Auswüchsen dieser Angst konfrontiert. Er forscht an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Eines Nachts attackierten Gentechgegner sein Zuhause: sie sprühten Farbe auf die Haustür, übergossen das Auto seiner Frau mit Lack und verschmierten das Motorrad der Tochter mit Klebstoff. Der Biologie ist Protest gewohnt. „Schade ist, dass die Gegner keine Alternativen zur Gentechnik nennen können.“ Die These des Wissenschaftlers ist klar: „Ohne Gentechnik werden wir die Welt im Jahr 2050 vermutlich nicht ernähren können.“

Die Kulturpflanzen müssten deshalb so verändert werden, dass der Ertrag stabilisiert werden kann, sie sollen beispielsweise trockenheitsresistenter werden. In der Vergangenheit hätten die Getreidevorräte zwischen sechs und acht Monate betragen, damit wäre es möglich, einen Ernteausfall zu kompensieren. „Die Vorräte weltweit haben sich aber dramatisch reduziert. Für Weizen ist er in den vergangenen zwei Jahren auf weniger als einen Monat heruntergegangen“, sagt er.

Gruissem will nun beispielsweise den Eisengehalt im Reis verbessern. Fast zwei Milliarden Menschen auf der Welt leiden heute bereits an Eisenmangel. Für viele Menschen in ärmeren Gebieten ist Reis das Grundnahrungsmittel. „Momentan testen wir die Linien mit dem eisenhaltigen Reis, und wir möchten ihn auch gerne mit Vitamin A kombinieren.“ Sein Ziel ist es, die verschiedenen Mikronährstoffe so zu mischen, dass der Konsument ein optimales Reiskorn erhält. Die europäische Angst vor der Gentechnik – seiner Meinung nach ein weltweites Alleinstellungsmerkmal. Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft: „Die jüngere Generation geht viel entspannter damit um.“