Stuttgarter Forscher entwickeln in einem neuen Projekt weiche Gewebe für medizinische Zwecke. Daraus soll ein Sonderforschungsbereich entstehen.

Stuttgart - Mit dem Namen ist Günter Tovar nicht ganz zufrieden: Verfügungsgebäude? „Eigentlich ist es eine Denkfabrik“, sagt er. In diesem Gebäude auf dem Campus der Universität Stuttgart arbeiten nun vier Nachwuchswissenschaftler mit ihren Teams an neuen Materialien für die Medizintechnik; Günter Tovar ist einer der Koordinatoren. Am Freitag wurde das interdisziplinäre Projekt, das die Carl-Zeiss-Stiftung mit 750 000 Euro entscheidend fördert, eröffnet.

 

Ein neues Netzwerk für Grundlagenforschung

Das Projekt lässt sich nicht leicht einordnen, und genau das ist seine Besonderheit: Der Rektor Wolfram Ressel nennt es eine „innovative Forschungsstruktur“. Es heißt „NanoBioMater“. „Mater“ ist in der Wissenschaft eine oft verwendete Abkürzung für „Materialwissenschaft“, aber der Begriff solle auch an die Alma Mater erinnern, also die Universität, sagt Tovar. Obwohl es um Grundlagenforschung gehe, habe man auch die Lehre klar im Blick. Und reine Grundlagenforschung habe man auch nicht vor, ergänzt er, vielmehr eine anwendungsorientierte Grundlagenforschung.

An einem der Stuttgarter Fraunhofer-Institute gibt es seit einigen Jahren eine „Hautfabrik“. Dort wird erprobt, künstliches Gewebe maschinell herzustellen, das sich für Transplantationen eignet oder für Verträglichkeitstests von Chemikalien.

Hier werden weiche Gewebe erforscht

Im Unterschied zu diesem Projekt, das auf den Praxisbetrieb ausgerichtet ist, befassen sich die Forscher von NanoBioMater mit der grundlegenden Frage, welches Gerüst am besten geeignet ist, den Hautzellen eine Struktur zu geben. Schließlich besteht die Haut nicht nur aus aneinandergereihten Hautzellen, sondern ist auch von feinen Blutgefäßen durchzogen. Gerüst klinge aber nach etwas Starrem, sagt Tovar. Ihre Materialien seien vielmehr eine Art künstliches Weichgewebe. Der Fachbegriff dafür ist Matrix. Für die Nachwuchswissenschaftler gibt es ebenfalls einen neuen Namen. Sie heißen nicht Postdocs, wie Forscher sonst genannt werden, die sich in der Phase nach der Promotion befinden. Stattdessen sind sie hier „Teamleiter“. Bei ihnen laufen die Fäden aus mehreren Disziplinen zusammen. Mit der Förderung der Stiftung und weiteren 250 000 Euro aus dem Etat der Hochschule können die vier Wissenschaftler nun vier Jahre lang forschen. „Gute, interdisziplinär arbeitende Forscher wachsen nicht auf Bäumen“, sagt Tovar, aber man habe schnell gute Kandidaten gefunden.

In einem gemeinsamen Vortrag präsentierten die vier Teamleiter bei der Eröffnung ihre Ideen. Ihre Arbeit beginnt mit Tabakmosaikviren – Viren also, die Tabakpflanzen befallen, aber für den Menschen ungefährlich sind. Aus deren Bausteinen, also einzelnen Proteinen, entstehen im Reagenzglas automatisch Nanoröhrchen in einer ganz bestimmten Länge und Dicke. Die Forscher können steuern, ob die Röhrchen länger oder dicker ausfallen, und sie können sie mit besonderen chemischen Eigenschaften versehen. Die Teamleiterin Sabine Eiben spricht von einem „Werkzeugkasten“, den man auf diese Weise zusammenstelle. Und ihre Kollegen Fania Geiger und Dirk Rothenstein erläutern, wie man die Röhrchen anwendet: An ihnen bleiben Mineralien haften. Die Röhrchen dienen also als Kristallisationskeim für dünne Beschichtungen. Die Forscher haben mit den Röhrchen bereits elektronische Bauteile aus Zinkoxid hergestellt. Künftig wollen sie mit Kalziumkarbonat experimentieren, das beispielsweise für medizinische Implantate infrage käme.

Von den Teamleitern erwartet die Universität nicht wenig: Tovar und seinen Kollegen schwebt vor, aus dem Forschungshaus langfristig einen Sonderforschungsbereich zu machen, also ein Großprojekt mit einem Budget von mehreren Millionen Euro: „Unser Ziel ist es, in vier Jahren schon einen aussichtsreichen Antrag zusammenstellen zu können.“