Die Politik scheint die Dynamik der Biotechproduktion zu unterschätzen, meint Rüdiger Bäßler. Das ist gefährlich, kommentiert unser Redakteur Rüdiger Bäßler.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Industrielle Cluster, also regionale Ansammlungen aus branchengleichen Unternehmen, sind Gebilde zum Selbstruhm der Politik, sofern das Netzwerken der Firmen nicht zur Vermehrung von Aufträgen führt. Zwei Gleiche machen noch lange keine besseren Geschäfte, nur weil sie Nachbarn sind. In Baden-Württemberg existieren gleichwohl ruhmreiche Beispiele, wie ein Cluster allen Beteiligten nützen kann, zum Beispiel im Medical Valley von Tuttlingen. Dort produzieren unter anderem kleinere Spezialisten Nischenprodukte im Auftrag der großen Medizingerätehersteller wie Aesculap oder Storz.

 

In der Biotechregion Oberschwaben schöpften die Unternehmen bisher aus dem Reservoir von rund 1000 einschlägig ausgebildeten Laboranten und Naturwissenschaftlern, die jedes Jahr von den Schulen und Hochschulen von Esslingen bis Sigmaringen auf den Stellenmarkt strömen. Nun zeigt sich, dass dieser Nachwuchs nicht genügt. Ein harter Wettbewerb der Cluster-Teilnehmer um die besten Kräfte ist im Gang, das Netzwerk kämpft gegeneinander anstatt miteinander.

Die Dynamik in der Biotechbranche ist stark

Die Biotechbranche wächst exponentiell, weil sie das Menschheitsversprechen in sich trägt, Krankheiten wie Krebs, HIV oder schwere Infektionen durch völlig neue Wirkstoffe besiegen zu können. Längst ist die Rede davon, dass es innerhalb der nächsten Jahre gelingen könnte, einen Impfwirkstoff gegen Alzheimer auf den Markt zu bringen. Unternehmen, die dieser Dynamik gerecht werden wollen, müssen viele Millionen Euro in neue, größere Produktionsanlagen stecken, um als hoch spezialisierte Auftragnehmer globaler Pharmafirmen interessant zu bleiben. Genau das geschieht derzeit. Dass jetzt, an dieser Wegmarke des Aufschwungs, der Laupheimer Mittelständler Rentschler ein Werk in Österreich baut, ist auch als Zeichen des Misstrauens gegenüber einem regionalen Arbeitsmarkt zu verstehen, in dem der Bewerbermangel zum limitierenden Faktor für weiteres Wachstum zu werden beginnt.

Für die Politik wird es Zeit, weniger zu rühmen und die Fachkräfteausbildung noch stärker zu fördern. Wenn das nicht gelingt, wird man zusehen müssen, wie bald weitere schwäbische Biotechfirmen ihren Aufschwung ins Ausland verlagern. Das wäre eine Niederlage für den ganzen südwestdeutschen Industriestandort.