Die Alexander-Technik lehrt Alltägliches neu, zum Beispiel sich hinzusetzen. Am Anfang fühlt sich das komisch an.

Stuttgart-Birkach - Es gibt kein Vorgeplänkel. Die Tür geht auf, Schuhe und Jacke werden abgelegt, und sofort geht es los im Alexander-Technik-Raum von Kerin Black in ihrer Wohnung in Birkach. Auf rund zehn Quadratmetern steht nur eine Art Tapeziertisch mit weicher Auflage, ein blanker Holzstuhl und eine Kommode. „Setz dich auf den Stuhl und denk nicht darüber nach, wie du es machst!“, lautet der erste Befehl von der Alexander-Technik-Lehrerin – im Unterricht duzt sie die Schüler üblicherweise. „Und jetzt steh wieder auf!“ Sie guckt es sich kurz an. „Okay, du machst das, was fast alle machen“, lautet ihr knappes Fazit, das ein wenig verunsichert.

 

So beginnt meine erste von drei Stunden Alexander-Technik. Ich habe vorher noch nie etwas von der Methode gehört. Sich darauf vorzubereiten, was man beim Aufstehen richtig oder falsch machen kann, war also unmöglich. „Du wirfst deinen Kopf nach hinten“, erklärt Kerin Black das, was ich nach den Erkenntnissen von Frederik Matthias Alexander nicht optimal mache. „Und du benutzt zu viel Kraft“, ergänzt sie.

Damit sind wir schon bei den Grundlagen. Es geht um eine ausgewogene Balance zwischen Kopf, Hals und Wirbelsäule, erklärt Black, die aus den USA stammt. „Dein Kopf wiegt fünf Kilo, das ist eine Belastung für die Wirbelsäule.“ Zudem benutze man im Alltag für alle Bewegungen zu viel Kraft beziehungsweise spanne zu viele Muskeln dabei an. Kinder benutzen ihren Körper noch ideal, erklärt die Expertin. Beim Erwachsenwerden schaue man sich die Bewegungen falsch ab und gewöhne sich Ungutes an. „Bei der Alexander-Technik lernt man, alles im Leben mit möglichst wenig Anstrengung zu machen“, sagt Black.

„Was sich normal anfühlt, ist nur unsere Gewohnheit“

Das probieren wir aus. Ich lerne das Hinsetzen und Aufstehen neu. „Lass deinen Hals frei“, beginnt Kerin Black, mir Anweisungen zu geben. Dabei bewegt sie meinen Nacken leicht hin und her, damit ich ihn locker lasse. Dann soll ich den Po nach hinten, die Knie dabei nach vorne schieben, den Kopf nach vorn und oben, Hals und Rücken dürfen nicht angespannt werden. Ich fühle mich, als würde ich mein Hinterteil unnatürlich weit rausstrecken. „Was sich normal anfühlt, ist nur unsere Gewohnheit. Etwas anderes fühlt sich vielleicht nicht normal an, ist aber besser“, sagt Black, die weiter meinen Nacken hält. Langsam geht es in der Haltung abwärts – ich sitze. Und habe erstaunlich wenig Kraft gebraucht.

Dasselbe beim Aufstehen: Hüfte und Knie nach vorn, Rücken und Hals nicht verkrampfen. „Hör auf, anzuspannen“, mahnt Kerin Black. „Jetzt muss ich doch irgendwann Druck auf die Oberschenkel geben, sonst komme ich nie hoch“, schießt es mir durch den Kopf. Kerin Black wiederholt ihre Anweisungen, ich mache mit – und plötzlich stehe ich. Ganz ohne Anstrengung. Ich habe das Prinzip verstanden. „Wenn wir aufhören, das Falsche zu tun, passiert das Richtige von selbst, hat Alexander immer gesagt“, erklärt Kerin Black, und ich weiß, was sie meint.

Vor allem Musiker und Schauspieler sind Schüler bei der 35-Jährigen, die die Methode drei Jahre lang in London studiert hat. Ebenso Reiter, andere Sportler, aber auch alle Nichtsportler oder -musiker. „Wenn man die Grundsätze beherrscht, kann man die Alexander-Technik bei allen alltäglichen Bewegungen anwenden“, erklärt Kerin Black. So treibt sie sich auch schon mal mit ihren Schülern auf dem Birkacher Feld herum und hilft ihnen, auch beim Joggen mehr loszulassen. Oder im Becken beim Schwimmen. Oder ganz einfach bei der Arbeit am Schreibtisch. Rund 30 Stunden brauche man, um die Grundlagen so drin zu haben, dass man sie auch im Alltag einsetzen und sich so das ganze Leben etwas erleichtern kann, sagt Black, die in Zürich Lehrerin an einer Alexander-Technik-Schule ist. In der Schweiz übernimmt die Krankenkasse die Kosten. In Deutschland werden die rund 50 Euro, die eine Stunde kostet, nicht bezahlt.

Außer der Tischarbeit, bei der ich mit ein paar Büchern unter dem Kopf auf dem gepolsterten Tapeziertisch liege und versuche, all meine Muskeln zu entspannen, lerne ich im Grundkurs auch den Affen. Das Prinzip ist wieder: In die Knie und Po raus, die Arme hängen seitlich runter – daher der Name. Wenn man richtig steht und das Gewicht ausbalanciert ist, halten die Oberschenkel die Pose. An die seltsame Haltung gewöhnt man sich. Nach kurzer Zeit mache ich den Affen, ohne mich dabei wie einer zu fühlen. Nach drei Stunden habe ich nur Grundlagen gelernt. Hängen geblieben ist trotzdem etwas. Fast täglich denke ich daran, dass mein Kopf fünf Kilo wiegt.

Die Alexander-Technik

Die Alexander-Technik

Herkunft: Frederick Matthias Alexander (1869-1955), ein australischer Rezitator, litt unter Atembeschwerden und Heiserkeit – aber nur auf der Bühne. Weil ihm kein Arzt helfen konnte, beschloss er, den Schwierigkeiten selbst auf den Grund zu gehen. Er erkannte, dass er durch die Art, wie er seinen Körper beim Sprechen einsetzte, die Stimmprobleme selbst verursachte.

Idee: Durch weitere Forschung entwickelte Alexander eine Methode, mit der die Reaktions- und Verhaltensweisen des Körpers im täglichen Leben erkannt und bewusst verändert werden können. So kann der eigene Körper ausgewogener eingesetzt werden – dabei ist das Zusammenspiel von Kopf, Hals und Wirbelsäule entscheidend. Jeder Mensch entwickelt Gewohnheiten, die sich für ihn vertraut und deshalb richtig anfühlen, die Bewegungsmuster können aber ungünstig sein. Wenn man sich von den Gewohnheiten löst, werden Probleme durch falsche Haltung gelindert, Stress reduziert und das Wohlbefinden gesteigert.

Unterricht: Der Lehrer bringt dem Schüler bei, innezuhalten (Inhibition), um ungünstige Haltungs- und Bewegungsmuster zu erkennen. Er lehrt ihm dann gezielte Selbstanweisungen (Direktive), mit denen der Körper gedanklich gezielt gesteuert werden kann, und unterstützt durch manuelle Korrekturen.