Rettungskräfte aus dem Landkreis fordern vom Innenminister, ihrem obersten Landeschef beim Bevölkerungsschutz, eine Entschädigung für den Verdienstausfall der Ehrenamtlichen. Der Minister pocht auf die Einhaltung der Hilfsfristen.

Böblingen - Immer öfter kommen die Helfer an ihre Grenzen. Die Zahl der Einsätze von Feuerwehren und Rettungsdiensten steigt stetig an. Und das wird so wohl weiter gehen, prognostizierten die Experten aus der Praxis bei einer „Blaulichtkonferenz“, zu der der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl eingeladen hatte. 35 Feuerwehrleute und Rot-Kreuz-Mitarbeiter sowie Vertreter des Technischen Hilfswerks (THW) und der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) diskutierten am Montagabend mit dem Innenminister Reinhold Gall, selbst aktiver Feuerwehrmann. Sie schilderten ihre alltäglichen Probleme und machten Vorschläge, wie eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sicher gestellt werden kann.

 

Hilfsfristen Das ist ein heißes Thema. Innerhalb von zehn Minuten nach Eingang des Alarms muss das erste Feuerwehrauto am Einsatzort sein. Rettungssanitäter haben 15 Minuten Zeit und sollen in mindestens 95 Prozent aller Einsätze dieses Ziel erreichen. Doch im vergangenen Jahr wurde dies nur in acht der landesweit 34 Rettungsleitzbezirken geschafft – der Kreis Böblingen gehörte nicht dazu. Dabei gebe es in den Ortsvereinen genügend „hochqualifizierte ehrenamtliche Retter mit medizinischer Ausbildung“, die einspringen, wenn die hauptamtlichen Sanitäter anderswo im Einsatz seien, sagte Edgar Ziegler, der Vorsitzende des Ortsvereins Herrenberg. „Doch wir Ehrenamtlichen dürfen die Notfallpatienten nicht ins Krankenhaus fahren. Das muss geändert werden.“ Das wiederum sei eine Frage der Erstattung durch die Krankenkassen, sagte der Innenminister. „Da müssen wir hart verhandeln und das werden wir“, versprach er. Er warnte aber davor, die Leistungen der Ehrenamtlichen im Gesetz zu verankern: „Dann wird das zu einer Pflicht, die Sie vielleicht nicht erfüllen können.“ Wenn es um die Hilfsfristen gehe, dürfe man aber auch die Krankenhäuser nicht vergessen. „Da werden oft die Minuten, über die wir beim Rettungsdienst diskutieren ratzfatz wieder kaputt gemacht.“, meinte Gall.

Nachwuchsprobleme Die haben vor allem viele Feuerwehren. „Warum versuchen wir nicht, einen Teil der umfassenden Feuerwehrausbildung schon in die Schule zu integrieren. Zum Beispiel mit einem Wahlpflichtfach“, regte der Kreisbrandmeister Guido Plischek an. „Das ist eine gute Idee“, meinte dazu der Minister Gall. „Das DLRG und das Rote Kreuz sind da schon weiter. Bei der Feuerwehr gibt es noch Nachholbedarf.“ Allerdings müsse man aufpassen, „die Schulen nicht mit Projekten zu überfrachten“. Denkbar sei aber beispielsweise, dass Feuerwehren Arbeitsgemeinschaften im Rahmen der Ganztagesbetreuung anbieten. „Die müssen dann aber auch verlässlich mindestens ein Schuljahr lang funktionieren“, forderte Gall. Bei der eigenen Nachwuchsausbildung müsse man vielleicht auch die Anforderungen etwas lockern: „Als ich vor 40 Jahren anfing, da gab es ‚learning by doing’. Heute müssen die jungen Leute nicht nur die Grundausbildung absolvieren, sondern auch Lehrgänge für Atemschutz, erste Hilfe und Funktechnik besuchen. Und das alles innerhalb von drei, vier Jahren neben der Schule, dem Studium oder einer Berufsausbildung.“

Entschädigung Wenn Feuerwehrleute zum Einsatz müssen und dadurch einen Verdienstausfall haben, erhalten sie eine Entschädigung. Für ehrenamtliche Rot-Kreuzler und andere Rettungskräfte gilt das nicht. Der DRK-Bereitschaftsleiter Rainer Kegreiß forderte eine Gleichstellung. Gall versprach, sich dafür einzusetzen.

Leitstellen Wie es mit den Planungen für regionale Leitstellen und der Einführung des Digitalfunks aussehe, wollte ein Feuerwehrmann wissen. „Bei diesem Thema bekomme ich Fieber“, bekannte der Minister. „Ich möchte das umsetzen, aber ich fürchte, dann müssen Sie mich noch zweimal wählen.“ Denn die digitale Technik sei teuer. Gall setzt daher auf eine Reduzierung der momentan 34 Notruf-Leitstellen im Land. Einziger Maßstab dabei müsse jedoch das Wohl der Menschen sein, nicht ein Gerangel um Standorte.

Flüchtlinge Das Thema Flüchtlinge beschäftigt auch die Rettungskräfte in unterschiedlicher Weise. „Wir brauchen klare Anweisungen, wie der Brandschutz in den Notunterkünften aussehen soll“, forderte der Kreisbrandmeister Plischek. „In dieser Krise brauchen wir Verantwortliche mit Mut zu Entscheidungen. Und ich bin in der momentanen Situation, auch mit 90 Prozent des Standards zufrieden“, sagte Gall.

Auch mit kranken Flüchtlingen müssen sich die DRK-Rettungssanitäter beschäftigten. „Die Menschen kommen zum Teil ohne Gesundheitscheck in Unterkünfte im Landkreis. Manche leiden an fiebrigen Infekten. Dann werden wir gerufen“, berichtete der Böblinger DRK-Rettungsdienstleiter Gerhard Fuchs. Das erhöhe die Anzahl der Einsätze. Außerdem sei bekannt, dass manche Flüchtlinge auch mit ansteckenden Krankheiten kämen. „Warum werden sie nicht erst von Ärzten untersucht, bevor sie verteilt werden“, wollte Fuchs wissen. Gall verwies auf die schwierige Situation in den Erstaufnahmestellen, wo man mit der Erfassung nicht nachkomme. Doch man sei dabei, unter den Flüchtlingen Ärzte zu akquirieren, die zur Behandlung eingesetzt werden könnten.