Der Pforzheimer Markus Bott war 1993 Boxweltmeister. Heute ist vom Erfolg nicht viel übrig. „Ich hätte mehr aus mir machen können“, sagt er.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Pforzheim - Für Markus Bott geht es am Abend des 13. Februar 1993 in der Sporthalle Hamburg-Alsterdorf um die Erfüllung aller Träume. Er gegen Tyrone Booze, WBO-Weltmeister im Cruisergewicht. Beide in roten Hosen. Bott mit Schnauzer und Föhnwelle, die schon nach der ersten Runde platt geschwitzt ist. Er wirkt ausnahmsweise topfit. Booze muss zermürbende Körpertreffer und satte Aufwärtshaken im Infight schlucken. Bott mit starker Führhand. Seine Jabs finden immer wieder ihr Ziel durch die Deckung. In der neunten Runde schüttelt den Amerikaner eine schnelle Links-rechts-Kombination durch. Booze im Rückwärtsgang. Beim Pausengong reißt Bott schon triumphierend die Arme hoch. Drei Runden später ist es tatsächlich wahr. Sieg nach Punkten. Seine Frau packt sein Gesicht und küsst ihn. Er trägt jetzt den Gürtel der World Boxing Organization: Ein Kranz aus Gold und Rubinen umsäumt die fünf Kontinente. Markus Bott auf dem Gipfel der Welt.

 

Das Dolce Vita ist ein italienischer Imbiss in der Pforzheimer Nordstadt, wo sich die Jugend darauf geeinigt hat, ausnahmslos protzige Turnschuhe, coole Kapuzenjacken und glänzende Adidas-Trainingshosen zu tragen. Wo man sicherheitshalber ab und zu hinter sich schauen sollte, wie der Rentner, der einem den Weg erklärt hat, noch scherzhaft nachruft. Viertel nach zwölf. Keine Spur von Bott. Anruf: „Ach so, ist heute Freitag? Bin in fünf Minuten da.“

Markus Bott trägt eine Schildkappe wie in Ganovenfilmen aus den 30er Jahren. Er begrüßt ein paar Bauarbeiter, die vor ihrer Dolce-Vita-Mittagspizza stehen, nimmt deren ausgelesene „Bild“-Zeitung mit, redet noch kurz mit der Wirtin. Geschlaucht sieht er aus. In der Nacht hat er ein Auto von Berlin überführt, einen Leasingrückläufer. Keiner käme auf die Idee, dass da ein früherer Box-Weltmeister seine Cola leert. Er war schon länger nicht mehr im Fitness-Studio, aber er hat immer noch was Dynamisches. Und er redet immer noch schnörkellos, frei Schnauze, was ihm damals als Profi den Beinamen „Cassius“ einbrachte.

Ein Kind der Nordstadt

Bott ist eine Nummer für sich, hieß es früher in Boxkreisen. Ein Unberechenbarer, der gegen jeden der Welt verlieren und gewinnen kann, stellte sein Promoter Klaus-Peter Kohl, Chef des Universum-Boxstalls, einmal halb resigniert fest. Ein fauler Hund, stichelte die Presse. „Jedenfalls keiner, der beim Kampf ständig im Ring rumrannte wie ein Kranker“, sagt Bott selbst.

Ein Kind der Nordstadt. Dort wird er im Januar 1962 geboren. Sein Vater Reifenmonteur und später Vertreter, die Mutter putzt bei C&A. Drei Geschwister. Als Junge ist er viel auf der Straße. Mit 14 wiegt er 32 Kilogramm, nicht gerade der geborene Kampfsportler. Aber irgendwas muss er damals schon ausgestrahlt haben. Denn einer vom Pforzheimer Boxclub, der öfters in der Nordstadt unterwegs ist, will den dürren Hering unbedingt in den Verein holen.

Seinen ersten Wettkampf gewinnt er. Als Preisgeld gibt es zehn Mark und ein Abendessen. Außerdem kommt er mit dem Boxen ein bisschen in der Gegend rum: Sindelfingen, Reutlingen, Karlsruhe. Nach der Hauptschule lernt er Maler. Aber lieber würde er es im Ring zu was bringen. Mit 18 boxt er schon Halbschwergewicht. Und er boxt richtig gut, wenn er will.

Kneipenbesuche statt Training

So gut, dass er 1984 zu den Olympischen Spielen darf. 1985 wird er Vizeeuropameister. 1988 boxt er wieder bei Olympia, scheidet wieder früh aus. 1989, inzwischen Profi, schlägt er Manfred Jassman und wird Deutscher Schwergewichtsmeister. Ein Jahr später verliert er gegen Johnny Nelson, den Europameister im Cruisergewicht. Zu langsam fürs Cruisergewicht, zu leicht fürs Schwergewicht: viele trauen ihm den großen Coup nicht mehr zu. Auch, weil er lieber Camel-Zigaretten raucht als Eisenhanteln stemmt, weil er es lieber mit Kumpels in Kneipen als mit Sparringspartnern im Ring krachen lässt. „Training war nicht so mein Ding“, sagt er. Und dann stellt sich auch noch raus, dass er beim Nelson-Kampf mit Amphetaminen gedopt war.

Im Mai 1991 punktet er Ralf Rocchigiani über zehn Runden aus. Im Herbst verliert er gegen Michael Murray. Es folgen ein paar Siege gegen kaum ernst zu nehmende Gegner. Dann greift er schon nach dem WM-Gürtel. Ein hochriskantes Unternehmen. Aber Promoter Kohl wagt es.

Viele Erinnerungen hat Bott nicht an den Kampf. Was ihm in der Kabine durch den Kopf ging? „Weiß ich nicht.“ Zu welcher Musik er in den Ring marschierte? „Keine Ahnung, die hat mein Manager rausgesucht.“ Eigentlich erinnert er sich nur an die neunte von zwölf Runden. „Da spürte ich, dass ich noch genug Dampf hatte. Ich wusste, das steh ich durch. Diese Mörderdistanz war nämlich meine größte Sorge gewesen.“

Die Pokale lagern im Keller

Am Tag danach erzählt er „den Pressefuzzis“ in locker-flockigem Pforzemerisch, was sie so hören wollen. Sitzt im Frühstücksfernsehen und in Gottschalks Late-Night-Show. Gibt seinen Kumpels was aus. Kauft mit seiner Frau ein Haus im Stadtteil Ellmendingen. Schöner Garten. Trautes Glück. Dort putzt er sogar die Fenster und wienert die Eingangstür. Seine Zweizimmerwohnung, in der er jetzt lebt, ist nicht ganz so in Schuss. „Das sehe ich irgendwie nicht ein.“ Die Pokale lagern irgendwo im Keller.

Lokalwechsel. In einer seiner Stammkneipen läuft ein Evergreen von Tom Jones. Bott zündet sich eine Camel aus dem Bigpack an. Knackt seine Fingerknochen mal wieder durch. Beim rechten Daumen muss er aufpassen, der springt manchmal raus. Auch so eine Box-Spätfolge wie die ramponierte Nase und die Sache mit dem Auge. Er trinkt eine Cola nach der anderen. Linst ständig zu den Backgammonspielern am Nebentisch. Nach dem Gespräch rutscht er sofort zu ihnen rüber. Abends spielt man hier Skat und Binokel. Er guckt meistens zu, er muss sparen.

Dabei gibt es für seine erste Titelverteidigung im November 1993 gegen Nestor Giovannini die bis dahin größte Börse für einen Boxkampf in Deutschland. Alles in allem ein schwacher Fight, den der Argentinier gewinnt. „Ich war aber eindeutig der Bessere“, sagt Bott. Allen sei das klar gewesen. Nur Kohl nicht. „Der wollte Dariusz Michalczewski pushen. Mich wollte der nicht mehr, weil ich 500 000 Mark für den Kampf verlangt hatte. Das war ein Satz zu viel.“

Das Haus ist verkauft, die Ehe geschieden

Den Rückkampf verliert er wieder. Und zieht sich durch die vielen Treffer auch noch ein Blutgerinnsel im Kopf zu. Er sieht alles doppelt und verschoben. Das war’s mit der Karriere. 1998 startet er wegen finanzieller Probleme seiner Sicherheitsfirma ein Comeback, das aber nach Siegen gegen drittklassige Journeymen jäh mit einer Niederlage gegen Lee Manuel Osie endet.

Von den Preisgeldern ist nichts übrig geblieben. Das Haus ist verkauft, die Ehe nach 19 Jahren geschieden. Seine WM-Kämpfe haben damals nur eine Handvoll Zuschauer im Bezahlfernsehen verfolgt. Heute kriegt Klitschko 13,5 Millionen Euro Kampfbörse. Pech für Bott.

Er lebt jetzt von der Invalidenrente, die er sich damals von der Versicherung vor Gericht erstritten hat. Manchmal macht er Malerarbeiten, manchmal hilft er bei einem befreundeten Schreiner aus, manchmal überführt er Leasingrückläufer. Am liebsten würde er im Bereich Personenschutz arbeiten, sagt Bott. „Geschäftsleute rumfahren, die Autotür aufhalten, zu Terminen begleiten. So einen Wach- und Schließscheiß mach ich nicht.“

Eine verkorkste Karriere?

Sein Tag: zwischen zehn und elf Uhr aufstehen, beim Bäcker zwei Laugenweckle kaufen, duschen, die Nachrichten im Ersten schauen. Dann Nordstadt. Abends „Tagesschau“ gucken. Dann manchmal mit der Ex telefonieren oder mit seiner 23-jährigen Tochter, die jetzt „irgendwas mit Maskenbildnerin macht“. Dann wieder Nordstadt. „Ich hab gern Unterhaltung“, sagt Bott. Boxkämpfe guckt er nie. „Ich les dann morgens in der Zeitung, wer gewonnen hat.“

Samstags guckt er immer Bundesliga bei seinem 80-jährigen Vater, mit dem er eng verbunden ist. Vater Bott bewahrt für ihn den Weltmeistergürtel auf. Er hat auch alles gesammelt, was je über seinen Sohn geschrieben wurde. Früher bekam Markus Bott viele Autogrammwünsche. Auf der Straße war er der King. Heute erkennt ihn keiner. Zur Boxwelt hat er keinen Kontakt mehr. Manchmal ruft Klaus Niketta an. Und Wolfgang Kamm. Mit denen hat er früher in Berlin geboxt. Für manche in der Szene ist Bott eine tragische Figur, seine Karriere verkorkst. Aber er war, nach Max Schmeling, Eckhard Dagge und Graciano Rocchigiani, der vierte deutsche Box-Weltmeister überhaupt. Das bleibt für immer.

„Am meisten muss ich mir ankreiden, dass ich zu wenig diszipliniert war. Ich hätte mehr aus mir machen können“, sagt Markus Bott und schaut einen mit seinen hellblauen Augen an. Was wünscht er sich? „Einen Lottogewinn, der für ein Haus und ein Auto reicht. Und Gesundheit. Denn ich will hundert Jahre alt werden.“