Aus dem Klassentreffen der Blogger ist eine Massenveranstaltung geworden. Bei vielen Veranstaltungen hieß es am Mittwoch: draußen bleiben.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Berlin - Immerhin, das WLAN funktioniert nahezu perfekt. Das war in anderen Jahren anders. Ansonsten heißt es bei der Republica: improvisieren. Eine halbe Stunde vor Beginn des Kongresses steht eine lange Schlange vor der Tageskasse und sogar die Premium Supporter Tickets für 399 Euro das Stück finden ihre Abnehmer. „Hier sind fünf Millionen Menschen in Turnschuhen, die versuchen, die digitale Welt zu erkunden“, sagt Matthias. Er sitzt bei der Auftaktveranstaltung im Friedrichstadtpalast und telefoniert. Der selbständige Medienberater besucht den Kongress für Blogs, soziale Medien und digitale Gesellschaft zum ersten Mal und hält das Programm des ersten Tages „für nicht so besonders aufregend“.

 

Dabei wird thematisch an diesem Mittwoch ein weiter Bogen gespannt. Medienkompetenz, Privatsphäre und Öffentlichkeit oder Jugendmedienschutz stehen auf der Tagesordnung. Stuttgart 21 verfolgt einen übrigens bis nach Berlin. Als Beispiel für aktive Bürgerbeteiligung oder Facebook-Debatten - die Baustelle Stuttgart findet in der Hauptstadt viel Beachtung. Die Qualität der Vorträge schwankt allerdings beträchtlich. Stine Eckert von der University of Maryland etwa beleuchtet die deutsche Bloggerszene, genauer gesagt: die politischen Blogger. 20 hat sie befragt, warum, grob gesagt, die deutsche Szene weniger aktiv ist als die US-amerikanische oder die französische. Herausgekommen ist, was ohnehin schon alle wissen: In Deutschland überwiegt Angst und Skepsis beim Thema Internet, die traditionellen Medien genießen immer noch mehr Vertrauen als in den USA - und sie berichten gar nicht bis kritisch über die Bloggerszene.

Klassischer Journalismus versus Blogger: die alten Grabenkämpfe führen eigentlich nicht in die Zukunft. Jürgen Ertelt dagegen schaut nach vorne. Der Pädagoge und Webarchitekt beleuchtet vor großem Publikum das Thema Medienkompetenz und amüsiert sich über Versuche verschiedener Landesregierungen, einen „Internetführerschein“ einzuführen. „Sollen die Kinder dann erst mal das Netzpferdchen machen, bevor sie irgendwann im Netz frei schwimmen können?“ Sein Vorschlag: in sozialen Netzwerken müssten Erwachsene und Jugendliche gemeinsam darüber debattieren, wie die digitale Bürgergesellschaft der Zukunft aussehen könnte. Denn: „Facebook ist böse, aber auch brauchbar. Und man sollte dort die Themen diskutieren, wo sich alle treffen.“ Viel Applaus für diese These. Der Mann ist Jahrgang 1957, aber hat mehr als jüngere Kollegen begriffen, wie man die Herausforderungen der digitalen Zeit bewältigt.