Die Beatles, die Rolling Stones und andere Größen der Pop-Revolution liebten Platten aus Chicago. Dort nahmen die Brüder Chess in den Fünfzigern die neuen Klänge von Chuck Berry, Howlin’ Wolf und Muddy Waters auf. Nun ist Phil Chess mit 95 Jahren gestorben.

Stuttgart - Ursprünglich hatten die Brüder Phil und Leonard Chess im Schrotthandel ihres Vaters in Chicago gearbeitet. Wären sie dort geblieben, wäre die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts vielleicht ein wenig anders verlaufen. Aber die noch in Polen geborenen jüdischen Einwanderer übernahmen erst einen Schnapsladen, dann einen Nachtclub, und begriffen früher als andere Weiße, dass die schwarzen Bürger Chicagos eigene Musik hervorbrachten und nach eigener Musik verlangten.

 

Die Brüder kaperten 1947 das Winzlabel Aristocrat, drängten die Gründer hinaus, nannten den Laden Chess Records und nahmen erst einmal das auf, was andere Produzenten auch kannten. Aber dann bekamen sie mit, dass es einen neuen, wilden, elektrischen Sound gab, eine Mischung aus ländlicher Deftigkeit und urbaner Energie. Chess Records wurde die Heimat des Chicago Blues, nahm Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Little Walter und viele ander Blueser unter Vertrag aber auch die schwarzen Rock’n’Roll-Erfinder Chuck Berry und Bo Diddley. Das kleine Independent-Label lieferte jene Singles, die in England die Rockrevolution auslösten. Die Beatles, die Rolling Stonesund all die anderen gierten nach Import-Platten mit dem Chess-Aufkleber ums Mittelloch.

Leonard Chess war der hemdsärmeligere der Brüder, der Geschäftspartner und Musiker legendär ruppig anging. Phil war der ruhigere, der Leute das Gesicht wahren lassen konnte, nachdem sie Leonard nachgegeben hatten. 1969, kurz vor Leonards Tod, verkauften die Brüder ihre große kleine Firma, die auch Klassiker des Soul und Jazz aufgenommen hatte. Eingegliedert in Konzernstrukturen, erlosch die Innovationskraft des Labels sofort, aber seine alten Aufnahmen klingen noch so vital wie am ersten Tag. Am Dienstag ist nun auch Phil Chess im Alter von 95 Jahren gestorben: Phil und Leonard, bemerkte die Chess-Biografin Nadine Cohodas, seien gewiss keine Soziologen gewesen: „Aber sie wussten, wie man eine Brücke zwischen den Kulturen baut.“