Die Bundesregierung gerät in Erklärungsnöte, wie eng die Zusammenarbeit des BND mit dem US-Geheimdienst NSA wirklich war. Vor allem die Rolle des heutigen Innenministers Thomas de Maizière ist umstritten.

Berlin - Thomas de Maizière hat einen der heikelsten Jobs im Kabinett: Islamisten, Terrorgefahren, steigende Flüchtlingszahlen – doch mit den akuten Herausforderungen seines Amtes kommt der Innenminister noch am besten klar. Die Schwierigkeiten liegen auch nicht darin begründet, dass er sich in seinem neuen Büro nicht zurechtfinden würde. Das Bundesinnenministerium ist Ende vergangener Woche aus Moabit in die Nähe des Kanzleramts umgezogen. Just dort ist eines der Probleme de Maizières zu verorten. Es reicht weit zurück in die ersten Jahre seiner Regierungskarriere.

 

Die Vergangenheit holt den CDU-Mann ein – zunächst in Gestalt des Sturmgewehrs G36, dessen Mängel er als Verteidigungsminister womöglich unterschätzt hat. Seit dem Wochenende ist offenkundig, dass ihm noch eine andere Altlast gefährlich werden könnte: der Umgang mit brisanten Vermerken des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser ist in die Bredouille geraten, weil der Verdacht aufkam, er habe den US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) beim Spionieren in Europa unterstützt. Die Regierung reagierte harsch: Sie sprach öffentlich über „technische und organisatorische Defizite“ beim BND.

Der BND unterrichtete frühzeitig das Kanzleramtn

Inzwischen hat die Affäre eine neue Wende genommen: Der Schwarze Peter liegt jetzt bei de Maizière. Der war von 2005 bis 2009 Chef des Kanzleramts und damit zuständig für die Dienstaufsicht über den BND in den fraglichen Jahren. Der deutsche Auslandsgeheimdienst hatte offenbar frühzeitig darauf hingewiesen, dass die NSA-Kollegen eine unziemliche Neugier mit Blick auf Deutschland und Europa entwickelten. Sie versuchten den BND offenbar für Spionage auf verbotenem Terrain zu instrumentalisieren. Bei seinen Überwachungsaktionen ist es dem BND nicht gestattet, deutsche Staatsbürger ins Visier zu nehmen. In der Zusammenarbeit mit der NSA wurden ihm aus den USA aber immer wieder Suchbegriffe untergeschoben, sogenannte Selektoren, die mit jener Auflage nicht vereinbar waren. Über diese Praktiken hat der BND seine vorgesetzte Behörde mindestens zweimal informiert: unter anderem 2008, als de Maizière noch im Kanzleramt war. Aus dem NSA-Untersuchungsausschuss heißt es gar, die Problematik mit den unzulässigen Selektoren aus den USA sei im Grundsatz seit 2005 bekannt gewesen.

Der BND hatte zunächst 40 000 solcher NSA-Selektoren aussortiert, im Zuge der Enthüllungen Edward Snowdens 2013 noch einmal 2000. Nach welchen Personen, Institutionen oder Unternehmen die US-Spione suchen lassen wollten, ist bislang nicht im Detail bekannt. De Maizières Nachfolger Peter Altmaier, seit 2013 Chef des Kanzleramts, hatte intern lediglich eingeräumt, dass auch Telefonnummern beziehungsweise IP-Adressen von Regierungsmitgliedern, Politikern und Rüstungskonzernen aus Europa auf der Liste der für tabu erklärten Selektoren standen. Die brisante Liste hält das Kanzleramt noch unter Verschluss. Altmaier will sich zunächst mit der US-Regierung besprechen, bevor er dem Untersuchungsausschuss oder dem Parlamentarischen Kontrollgremium Einblick gewährt. Das soll aber bis spätestens Mitte kommender Woche geschehen.

Hat der BND Beihilfe zur Spionage geleistet?

Das Verhalten des BND wird unterschiedlich bewertet. Linke und Grüne unterstellen dem deutschen Nachrichtendienst Beihilfe zur Spionage – ob nun aus eigenem Unvermögen oder als Komplize. Aus dem Lager der Koalition gibt es aber auch Stimmen, die sagen, der BND habe sich unter Umständen exakt so verhalten, wie es von ihm erwartet werden dürfe: Er habe die unzulässigen Selektoren aussortiert und damit Spionage zum Schaden Deutschlands unterbunden. Wie schwerwiegend die einschlägigen Versuche der NSA waren und welches Ausmaß sie hatten, lässt sich erst im Lichte der fragwürdigen Selektoren beurteilen, die bisher auch den Kontrollgremien nicht bekannt sind. Ähnliches gilt für die Frage, ob das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde versagt hat. Schon jetzt steht fest, dass es die zuständigen Abgeordneten nur sehr zögerlich informierte. Hinweise auf die BND-Vermerke zu den NSA-Selektoren fanden sich zwar auch in Akten, welche dem Untersuchungsausschuss seit vergangenem Jahr zur Verfügung standen, diese Akten unterlagen jedoch der Geheimhaltung.

Neben Minister de Maizière gerät auch Klaus Dieter Fritsche in Erklärungsnot. Er war von 2005 bis 2009 Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Seit 2013 ist er wieder mit der gleichen Aufgabe betraut, jetzt allerdings im Range eines Staatssekretärs. „Wenn einer wusste, worum es hier geht, dann er“, sagt ein kundiger Parlamentarier. Sein Urteil über Fritsche ist vielsagend: „Er hat in heiklen Momenten das Talent, zwei Schritte zur Seite zu treten und so zu tun, als sei er nur ein Beobachter.“

Nicht nur die Linksfraktion will, dass wegen der neuerlichen Spionageaffäre Köpfe rollen. Auch die SPD, immerhin Regierungspartei, lässt nicht locker. „Wenn die gravierenden und schweren Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss man deutlich sagen, dass die Aufsicht des Bundeskanzleramts gegenüber dem Bundesnachrichtendienst kläglich versagt hat“, bemängelt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Sie wolle zwar nicht reflexhaft Rücktritte verlangen, personelle Konsequenzen seien aber nicht auszuschließen.