Höchstwahrscheinlich sind Geothermiebohrungen Schuld daran, dass sich in Böblingen der Boden hebt. Sie sollen aber erst im nächsten Jahr untersucht werden.

Böblingen - Ist unser Haus einsturzgefährdet? Wie lange können wir noch darin wohnen? Wie sehr werden sich die Risse noch vergrößern? Woher bekommen wir Hilfe? Diese Sorgen und Ängste treiben viele der 270 Teilnehmer an der Informationsveranstaltung des Landratsamts am Freitagabend um. Fragen über Fragen prasseln auf den Landrat Roland Bernhard, den Böblinger Oberbürgermeister Wolfgang Lützner und die anderen auf dem Podium ein. Laut Jochen Weinbrecht, dem Leiter des Wasserwirtschaftsamtes, hat sich der Boden in den von den Schäden betroffenen Wohngebieten seit dem Jahr 2002 enorm gehoben: um bis zu 35 Zentimeter. Das habe jüngst eine Messung aus der Luft mit einem Laser-Scan-Flieger des Landesamtes für Geologie ergeben. Inzwischen seien rund 100 Schadensmeldungen von Hausbesitzern eingegangen, so Weinbrecht.

 

Die Risse werden monatlich drei bis fünf Millimeter breiter

Die Risse verstärken sich monatlich zurzeit zwischen drei und fünf Millimetern. Von fest sitzenden Punkten wie von Kanaldeckeln aus werden an den meisten betroffenen Häusern im Norden und Süden Böblingens Messungen vorgenommen, die eindeutig belegen: Die Erde hebt sich weiter. Und weil sich das Drama großflächig vor allem in zwei Wohngebieten abspielt, sind sich die Experten im Landratsamt nun darüber einig: Aller Wahrscheinlichkeit nach sind 19 Geothermiebohrungen in diesen Gebieten daran Schuld. 23 Privateigentümer haben inzwischen selbst Gutachten eingeholt. Das Ergebnis: „Ein hochgradiger Verdacht“, dass bei Bohrungen in die Gipskeuperschicht Anhydrid getroffen wurde, der bei Kontakt mit Wasser Gips bildet und den Boden zum Aufquellen bringt.

Antonio La Marra wird mit seiner Familie aus einem Haus in der Feldbergstraße ausziehen. Die Risse durchziehen das ganze Haus. Der Keller muss statisch gesichert werden. Nur: eine Mietwohnung kann sich Antonio La Marra eigentlich nicht leisten. Die Stadt wollte ihm helfen. Es liege ein Angebot vor für tausend Euro im Monat warm, sagt Daniela Braun, die CDU-Stadträtin und Sprecherin der betroffenen Hausbesitzer. Sie könne der Familie nun eine Bleibe für 400 Euro monatlich besorgen. Das Geld will sie bei Nachbarn und Spendern sammeln: „Damit es wenigstens für ein halbes Jahr reicht.“

„Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“

Antonio La Marra steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Sein Zuhause hat er immer wieder renoviert und sein ganzes Geld hineingesteckt. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“, sagt der 52-Jährige. Seine Familie habe abends Angst, ins Bett zu gehen. „Was ist mit den Strom- , Gas- und Wasserleitungen?“, möchte ein Hauseigentümer wissen. Im Zweifelsfall müssten sie der Energieversorger EnBW oder die Stadtwerke überprüfen, wird gesagt. Das Landratsamt und die Stadt Böblingen wollen unbürokratische Hilfe anbieten und Experten vorbeischicken.

Doch die Wogen schlagen hoch. „Wollen Sie mein Haus kaufen?“, ruft Martin Schönleber aus der Robert-Bosch-Straße dem OB zu, der zuvor erklärt hat, dass er Verständnis habe für die Sorgen der Besitzer, deren Existenz und Altersvorsorge an ihren eigenen vier Wänden hänge. Schönleber ist einer der Betroffenen aus dem Umfeld der zwei Wohngebiete, die besonders unter den Schäden leiden. „Ich bin in dem Haus aufgewachsen s und nie war der Kellerboden so nass“, sagt er. Und dann die Risse in den Wänden. Bis vor kurzem noch hatten sich Geschädigte hauptsächlich aus dem Gebiet südlich der Stuttgarter Straße gemeldet – aus der Altinger Straße, der Gauß- und der Röntgenstraße – sowie aus dem Osten Böblingens, aus der Feldberg- und der Kniebisstraße sowie dem Hans-Thoma-Weg. Nun sind noch Bewohner aus Nachbarstraßen hinzugekommen. „Ist womöglich ganz Böblingen in Gefahr?“, möchte ein Veranstaltungsteilnehmer wissen.

„Wir können uns nicht auf den Boden der Spekulation begeben“, meint Weinbrecht grundsätzlich. Deswegen wolle man so schnell wie möglich auf fünf Grundstücken die Bohrlöcher untersuchen, die im Zentrum der Hebungen liegen. Mit der Bohrfirma sei man sich schon einig, mit den Hausbesitzern, die mit Geothermie heizen, in Gesprächen. Voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres wolle man mit den Analysen beginnen und schadhafte Bohrlöcher mit Zement stopfen. „Warum nicht in den nächsten 14 Tagen?“, will ein Betroffener wissen. „Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen“, wirbt der Landrat um Verständnis. Jeder Betroffene müsse zudem die Schäden genau dokumentieren, um sie gegenüber der Versicherung geltend zu machen. „Wir sind bisher viel zu wenig über alles informiert worden“, schimpft noch jemand. Und OB Lützner verspricht, die Betroffenen im Böblinger Amtsblatt auf dem Laufenden zu halten.