Christof Wandratsch hat als erster Athlet ohne Neoprenanzug den Bodensee in Rekordzeit der Länge nach durchquert. Um solch eine Strapaze zu schaffen, bewältigt der 46-jährige Lehrer seit Jahren ein hartes Trainingsprogramm.

Bodman/Bregenz - Bis kurz vor das Ufer ist er gekommen. Die letzten kraftvollen Kraulzüge tragen ihn fast bis an Land. Dann geht nichts mehr. Das Festland erreicht Christof Wandratsch wie ein Schiffbrüchiger eine rettende Insel. Mit wackligen Beinen, immer wieder fallend und stolpernd kriecht einer der besten Freiwasserschwimmer der Welt an Land. Um exakt vier Minuten nach 23 Uhr, nach 20 Stunden, 41 Minuten und 15 Sekunden schließt ihn der Vertreter seines Sponsors in die Arme. Der 46 Jahre alte Lehrer hat etwas geschafft, das nur drei Menschen vor ihm gelungen ist: Der Extremsportler hat den Bodensee der Länge nach durchquert – und das ohne schützenden Neoprenanzug, nur in einen Spezialbody gekleidet, der einem Wettkampfanzug der Frauen ähnlich sieht und vom Weltverband Fina genehmigt ist.

 

Obendrein hat Wandratsch den See in einer Zeit bezwungen, die kaum zu unterbieten sein wird. Pro Stunde legte der gebürtige Franke durchschnittlich eine Strecke von 3,2 Kilometer zurück. Das schaffen auch geübte Schwimmer nicht lange. Ins Blitzlichtgewitter der Fotografen und das grelle Licht einer TV-Kamera sagt er, dass er erst einmal nichts brauche, einfach gar nichts. Sein Gesicht ist aufgedunsen, die Haut rot und blau. „Von allen Rennen, die ich gemacht habe“, sagt er, „war das das härteste.“

Größte Herausforderung, der er sich je gestellt hat

Und das will etwas heißen. Wandratsch hat in seinem Leben mehr als 100 Freiwasserrennen bestritten. Aber diese 64 Kilometer waren die größte Herausforderung, der er sich je gestellt hat. Nie musste er länger im Wasser sein, nicht einmal beim längsten Rennen der Welt über 88 Kilometer in der schlammig-braunen Brühe des argentinischen Rio Paraná. Bei 30 Grad Wasser- und 40 Grad Lufttemperatur ging es neun Stunden lang flussabwärts. Auch die 62 Kilometer im argentinischen Rio Coronda, die 33 Kilometer von Capri nach Neapel, selbst die Durchquerung des Ärmelkanals und des Fehmarnbelts jeweils in Weltrekordzeit: all das war nichts im Vergleich zum Bodensee. „Der See“, stellt sein Trainer Stefan Hetzer fest, „war nicht sehr freundlich zu uns.“

 

Dabei waren die äußeren Bedingungen bei strahlendem Sonnenschein und Wassertemperaturen zwischen 20 bis 22 Grad nie besser. Das Warten hatte sich für die Crew gelohnt. Wäre ein Gewitter gekommen, hätte Wandratsch, wie schon im Jahr 2006, aufgeben müssen. Damals war er in 13,5 Stunden bis Lindau gekommen, allerdings im Neopren, der Auftrieb gibt. Der Bayer muss diesen Effekt durch noch mehr Üben ersetzen. Sein Trainer gilt als einer der weltbesten seiner Liga. In der DDR trieb Hetzer Kristin Otto zu sechs Goldmedaillen. Aber er gab auch leistungsfördernde Substanzen. Im Jahr 2000 wurde Hetzer, der heute im bayerischen Burghausen wieder Kaderschwimmer trainiert, wegen Dopings von Minderjährigen zu einer Geldbuße verurteilt.

Im Training zog Wandratsch Ruderboote durchs Wasser

Am Bodensee reicht Hetzer Wandratsch alle 20 Minuten einen Powerdrink, manchmal auch Wasser oder Kaffee. Dazu Müsliriegel, Bananen und Astronautennahrung. Gegen die Kälte hat sich Wandratsch 20 Kilo zusätzlich anfuttern müssen. Er durfte nicht abnehmen, obwohl er pro Woche oft mehr als hundert Kilometer durchzieht. Dafür steht der Hauptschullehrer jeden Morgen um fünf auf. Dann schwimmt er erst einmal sechs Kilometer. Dazu gibt es ein spezielles Freiwassertraining. Sommers wie winters durchpflügt er den nahen Wöhrsee, selbst bei minus 20 Grad. Mit Ausnahmegenehmigung durfte er im elf Grad kalten Königssee trainieren. Dort zog er ein Ruderboot durchs Wasser. Mal schleppte er eine Badeinsel mit zwei Arbeitern und einem 200 Kilogramm schweren Grundstein durch den See – als „Krafttraining“.

Zwei Frauen hatten vor Wandratsch den Bodensee bezwungen. Die Mentaltrainerin Kirstin Seidel hatte im August 2012 zwar die gleiche Strecke zurückgelegt, aber 36 Stunden benötigt und sich verbotenerweise an ihrem Begleitboot festgehalten. 2001 hatte Sandra Albrecht, eine Studienrätin aus Lindau, das Kunststück in unglaublichen 23 Stunden und 20 Minuten ebenfalls fertig gebracht, allerdings in einem Neoprenanzug. Im Mai und Juli 2012 war der 110 Kilogramm schwere Bruno Dobelmann (Spitzname „Orca“) gleich zwei Mal an der Strecke gescheitert.

Schon Ende August aber will es der Spitzenathlet Bruno Baumgartner wissen. Der 44-Jährige ist der einzige Ultraschwimmer, der dem Rekord von Wandratsch gefährlich werden könnte. 2007 hatte ihm der Schweizer den Weltrekord bei der Querung des Fehmarnbelt abgejagt. Aber erst einmal muss auch er den heimtückischen See bezwingen.