Weil er einen Braunkohlezug gestoppt hat, erhält ein 20-Jähriger vom Amtsgericht eine Geldstrafe. Einige Sympathisanten beschimpfen die Polizei und den Richter.

Böblingen - Mit dem Protest gegen den Braunkohleabbau in Nordrhein Westfalen hat sich nun auch das Amtsgericht Böblingen befasst. Ein 20-Jähriger, der am Wohnort seiner Eltern in Sindelfingen gemeldet ist, wurde nach einem turbulenten Prozessauftakt wegen der Störung eines öffentlichen Betriebs zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt und muss die Kosten des Prozesses tragen. Zusammen mit vier anderen hatte er am 7. Oktober mit einer Sitzblockade einen Braunkohlezug des Energiekonzerns RWE im Hambacher Forst gestoppt.

 

Sympathisanten rufen „Faschisten“

Bereits Ende Mai war wegen dieser Sache am Amtsgericht verhandelt worden. Allerdings musste der Richter damals einsehen, dass ihm zu einer umfassenden Beweisaufnahme Zeugen fehlten. Er beraumte deshalb für Montag eine weitere Verhandlung an, nicht ohne erneut für ein großes Polizeiaufgebot zu sorgen, weil andere radikale Umweltaktivisten die Angeklagten unterstützen wollten. Die Zuhörer mussten sich vor dem Betreten des Saals kontrollieren lassen und ihre Ausweise zeigen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen. Zwei der Aktivisten wurden aus dem Gebäude verwiesen, einer ließ sich unter Protest hinaustragen.

Knapp ein Dutzend der Sympathisanten des 20-Jährigen durften in den Gerichtssaal, den Polizisten sicherten. Kaum hatte die Verhandlung begonnen, wollte eine abgewiesene Aktivistin durch das offene Fenster in den Gerichtssaal klettern und wurde von Beamten abgeführt. Zwei Mal riefen Sympathisanten das Wort „Faschisten“ in den Saal. Der erzürnte Richter reagierte prompt: „Auf geht’s, abführen, Strafanzeige, stellen, adios Amigos.“

Angeklagter referiert über zivilen Ungehorsam

Danach glätteten sich die Wogen wieder etwas, bis der Angeklagte, der zum Tatzeitpunkt eine Frau war und jetzt mit „Herr“ angesprochen werden möchte, mehr als ein Dutzend Beweisanträge stellte und minutenlange Statements der Klimaschützer verlas. Nach mehreren Anträgen platzte dem Richter der Kragen: „Sie brauchen nicht weiterzulesen. Ihr Antrag ist abgelehnt.“

Der Angeklagte, der auf Grund einer auffälligen Tätowierung überführt worden war, erläuterte die Auswirkungen des Kohlendioxid-Ausstoßes, referierte über die Gefahren von Feinstaub und den Zusammenhang zwischen zivilem Ungehorsam und der Abschaltung von Atomkraftwerken. Auch über „Verstrickungen zwischen Politikern und der RWE“ hätte er gerne berichtet. Da unterbrach ihn der Richter: „Politische Reden lasse ich nicht zu.“

Blockade dauert sieben Stunden

Weil er sich keinen Rechtsanwalt leisten könne, wolle er sich von einem rechtlichen Beistand verteidigen lassen, hatte der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung erklärt Diesen ließ der Richter nicht zu und drohte dem Nicht-Juristen: „Wenn Sie einen Mucks machen, verlassen Sie den Saal.“

Der Angeklagte reagierte mit Befangenheitsanträgen gegen den Richter. Der hielt dem Aktivisten zwar seine „hehren Ziele“ zugute. „In meinem Urteil überwiegt das Ideal, das sie verfolgen“, sagte er. Allerdings sei durch die sieben Stunden währende Blockade der angekettenen Aktivisten ein wirtschaftlicher Schaden entstanden – etwa 70 000 Euro. Zudem hätten die vermummten Blockierer versucht, ihre Identifizierung zu verhindern, indem sie ihre Fingerkuppen verätzten, um Fingerabdrücke unmöglich zu machen.

Außerdem vermisste das Gericht bei dem Angeklagten ein Geständnis. Obendrein sei er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bereits einschlägig vorbestraft. Der Richter blieb beim Strafmaß trotzdem unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die sechs Monate Haft auf Bewährung gefordert hatte.