Die von Häuserschäden betroffenen Eigentümer haben Stadträte und Bürger zu einem Rundgang durch das südliche Erdhebungsgebiet eingeladen. Dort haben bereits 149 Häuser Risse.

Böblingen - Wie lange hebt sich der Boden noch? Wer ist daran Schuld? Was tun die Behörden für die betroffenen Hausbesitzer? Diese und noch viele Fragen mehr versuchten Vertreter der Interessengemeinschaft

 

Erdhebungen Böblingen (IGE-BB) bei einem Erkundungsgang im südlichen Erdhebungsgebiet von Böblingen den Stadträten zu beantworten. Sie zeigten sich teilweise wenig informiert über das ganze Ausmaß und waren erschüttert. Mittlerweile haben 149 Häuser im südlichen Schadenszentrum Risse, im nördlichen Bereich der Hebungen sind es 69 Häuser. Rund tausend Menschen leben in der Angst, dass ihr Haus eines Tages unbewohnbar ist. „So schrecklich hätte ich mir das nicht vorgestellt“, sagte der CDU-Stadtrat Hans-Dieter Schühle.

Kommt der Kirchturm ins Wanken?

Im Bereich der Martin-Luther-Kirche wo der Rundgang durch das südliche Gebiet beginnt, hat sich der Boden seit der ersten Messung im Jahr 2002 um 20 Zentimeter gehoben. Einige Teilnehmer befürchten, dass der Turm ins Wanken geraten könnte. „Er ist aus Beton und sehr stabil gebaut“, beschwichtigt Alfred Lebsanft (Freie Wähler). Alexander Mazur, der unweit der Kirche sein Eigenheim hat, berichtet, dass seine Tochter des Nachts Geräusche hört. Sie beschreibt Mazur als „so ein dumpfes Knacken“. Sein Haus steht direkt an der Grenze des Hebungsbereichs. „Es ist rundum mit Styropor isoliert. Ob wir darunter Risse haben, weiß ich nicht“, sagt der Rentner.

Laut den neuesten Messungen weiten sich die beiden Schadensgebiete, in denen zwischen den Jahren 2006 und 2008 Erdwärmebohrungen vorgenommen wurden, immer weiter aus. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnten diese für die Erdhebungen verantwortlich sein, heißt es im Landratsamt. Wie lange sich der Boden noch hebt, könne niemand vorhersagen, Erwin Adler von der IGE-BB. In Staufen im Breisgau, wo nach Geothermiebohrungen 270 Häuser Schäden erlitten und bereits Sanierungen durchgeführt wurden, hebt sich die Erde auch weiter.

Ein Gesamtschaden wohl wie in Staufen

Nach den Angaben des Freiburger Rechtsanwalts Eberhard Haaf, der die Interessen der dortigen Hausbesitzer vertritt, liegt der Gesamtschaden in Staufen bei 50 bis 60 Millionen Euro. Acht Millionen Euro seien bisher an die Eigentümer ausbezahlt worden. Haaf, den die IGE-BB nun auch für ihre Belange gewonnen hat, geht in Böblingen von etwa demselben Gesamtschaden aus.

An eine Schadensregulierung ist in Böblingen derweil noch nicht zu denken. „Wir hoffen auf eine baldige Stellungnahme des Landesamts für Geologie, das die ersten Untersuchungen an den Bohrlöchern zu kommentieren hat“, sagt Thomas Treutler von den Böblinger Hausbesitzern. „Die Ursachenforschung braucht viel zu viel Zeit“, kritisiert Daniela Braun, die Sprecherin der IGE-BB.

Eigenheim kippt um zehn Zentimeter nach vorne

Indessen werden von dem Energieversorger EnBW die Häuser von den Gasleitungen abgetrennt. Antonio La Marra, der mit seiner Familie als erster Eigentümer aus seinem Haus in der Feldbergstraße ausgezogen ist, berichtet mit bitterer Stimme: „Dieser Tage wurde der Gaszähler abmontiert.“ Es sei auch ein Gutachter da gewesen, den die Stadt beauftragt habe und bezahle. „Jetzt haben wir es offiziell, dass unser Haus statisch nicht mehr okay ist.“ Dabei hatte er schon an Sanierungsmaßnahmen gedacht und wollte im Sommer wieder einziehen. „Davon müssen wir nun endgültig abrücken“, erklärt La Marra.

„Wenn ich nachts wegen irgendwelcher Geräusche aufwache, gehe ich sofort in den Keller“, sagt Dieter Eger, „um nachzusehen, ob sich die Risse, die ich immer vor dem Zubettgehen kontrolliere, ausgedehnt haben.“ Ein anderer Hausbesitzer berichtet, dass sein Heim, das er an einen Hang gebaut hat, zehn Zentimeter nach vorne kippe. „Wir haben nicht nur Angst, dass unsere Häuser einstürzen“, sagt er, „sondern auch vor dem Gutachter, der uns sagt, dass wir ausziehen müssen.“

Hohe Gutachter- und Anwaltskosten

79 geschädigte Hausbesitzer gehören inzwischen der IGE-BB an, die sich in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen haben. Pro Mitglied kommt eine Kapitaleinlage von 500 Euro in die Kasse, am 24. Mai ist die erste Gesellschafterversammlung. „Wir brauchen aber noch mehr Geld, um die Gutachter- und Rechtsanwaltskosten bezahlen zu können“, sagt Werner Schubert von der IGE-BB. Um später einmal Geld von einer Versicherung zu erhalten, müsse doch geklärt werden, „was wir für Reparaturen durchführen können oder auch müssen“.

Die betroffenen Hausbesitzer fühlen sich aber bisher ziemlich allein gelassen von der Stadt und auch vom Landratsamt. „Die Stadt hatte versprochen, sich um die älteren Hausbesitzer zu kümmern“, sagt Jochen Schurer von der Interessengemeinschaft. Schließlich habe sie noch immer nicht zu allen Kontakt und kenne auch nicht jede Adresse. „Es muss eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden mit Experten und Politikern, die sich mit unseren Anliegen beschäftigt“, fordert die IGE. Auch das Land müsse eingeschaltet werden. Der Landtagsabgeordnete Paul Nemeth (CDU) hat bereits einen Antrag beim Landtag gestellt, dass sich die Landesregierung vor Ort ebenfalls ein Bild machen solle.