Jeder 14. Erwachsene im Kreis hat weniger Einnahmen als Ausgaben und steht bei Gläubigern in der Kreide. Im vergangenen Jahr wandten sich deutlich mehr Menschen an die Beratungsstelle im Landratsamt als im Vorjahreszeitraum.

Böblingen - Ein junges Paar hatte ein überzogenes Girokonto und konnte kaum die Miete zahlen. Der junge Mann verdiente nur wenig, seine Partnerin steckte noch mitten in der Ausbildung. Als sie ein Kind bekam, reichte das gemeinsame Geld erst recht nicht mehr. Das junge Paar fand keine Betreuungsmöglichkeit für den Nachwuchs. Die Mutter musste die Ausbildung abbrechen. Die Schulden wuchsen dem Pärchen über den Kopf. Der Fall ist ein Beispiel für eine immer stärker wachsende Zahl überschuldeter Haushalte im Kreis Böblingen. Die Berater im Landratsamt haben immer mehr zu tun. Die Wartezeit der Betroffenen, die einen Termin haben wollen, beträgt derzeit ein halbes Jahr.

 

Jährlich kommen 500 bis 600 Fälle dazu

„Die Zahl der neu erfassten Ratsuchenden im Jahr lag zuletzt bei etwa 500 Personen“, bilanziert der Landrat Roland Bernhard, dem das Thema Schuldnerberatung im wirtschaftlich starken Landkreis am Herzen liegt. Die Anfragen bei den Beratern summieren sich seit dem Jahr 2003 auf mehr als 9600. Jährlich kommen 500 bis 600 Fälle von Überschuldung dazu. Diese liegt vor, wenn die gesamten Ausgaben eines Haushalts höher sind als die Einnahmen, und die Betroffenen ihre finanziellen Verpflichtungen wie Raten- oder Mietzahlungen über einen längeren Zeitraum nicht mehr erfüllen können. Laut Edith Marquart-Eßlinger, der Leiterin der Schuldnerberatung im Landratsamt, trifft das auf jeden 14. Erwachsenen im Landkreis Böblingen zu.

Im vergangenen Jahr erreichten die Berater im Landratsamt – die Abteilung ist mit 5,8 Stellen ausgestattet – 1645 Erstanfragen. Das waren 176 mehr als noch 2015. Auch 15 Ehrenamtliche sind im Einsatz, die den Betroffenen helfen, ihre Unterlagen zu ordnen oder etwa bei einer Bank ein Girokonto zu bekommen.

50-Jähriger muss in eine Obdachlosenunterkunft

Zu den betreuten Menschen zählt auch ein 50 Jahre alter, alleinstehender Mann, der 1500 Euro netto im Monat verdiente. Er verletzte sich bei einem privaten Unfall und konnte seine körperlich anstrengende Tätigkeit nicht mehr ausüben. Sein Arbeitgeber, ein Kleinunternehmer, konnte ihn nicht anderweitig einsetzen. Der 50-Jährige wurde arbeitslos. Er fand nur noch kurzfristige Jobs und war gezwungen, immer wieder Arbeitslosengeld und später Hartz IV in Anspruch zu nehmen. Nachdem er seine geringen Ersparnisse aufgebraucht hatte, kam er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach und konnte sich seine Wohnung nicht mehr leisten. Eine günstigere Bleibe fand er nicht und musste in eine Obdachlosenunterkunft.

In den meisten Fällen der Ratsuchenden kommt über einen längeren Zeitraum zu wenig Geld in die Haushaltskasse. Im vergangenen Jahr konnten deshalb nur 95 Fälle ad acta gelegt werden. Viele Hilfesuchenden wenden sich telefonisch an die Beratungsstelle. Im vorigen Jahr wurde etwa die Hälfte der Erstanfragen am Telefon entgegengenommen – über hundert mehr als im Jahr 2015. Und auch der E-Mail-Kontakt wurde genutzt: Im Jahr 2016 wie auch im Vorjahr 439 Mal.

In fünf Jahren hat das Paar keine Schulden mehr

Die Unterstützung führte bei dem jungen Paar dazu, dass die Frau ihre Ausbildung schließlich in Teilzeit wieder aufnehmen und schließlich beenden konnte. „Sie konnte sich selbst um ihr Kind kümmern und die Betreuung besser managen“, sagt Edith Marquart-Eßlinger. Zudem waren die Angehörigen des unverheirateten Paares auf Vermittlung der Beratungsstelle bereit, einen Teil der Schulden bei den Gläubigern zu tilgen. Die Entschuldung des Paares werde voraussichtlich rund fünf Jahre dauern, sagt Edith Marquart-Eßlinger. Die junge Frau sei jetzt aber in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden. „So dass sich nun die finanzielle Situation stabilisiert hat“, bilanziert die Chefin der Schuldnerberatung.

Dem Mann, der in einer Obdachlosenunterkunft leben musste, verhalf die Beratungsstelle zu einer kleinen, erschwinglichen Wohnung, deren Miete den Hilfesatz für Arbeitslosengeld II-Empfänger nicht übersteigt. Ein gerichtliches Verbraucherinsolvenzverfahren läuft derzeit noch. Edith Marquart-Eßlinger geht davon aus, dass dem Mann seine Schulden erlassen werden. Er hat bisher zwar noch keine neue Arbeit gefunden. „Er bemüht sich aber und hofft, dass er durch eine vom Jobcenter geförderte Weiterbildung wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fasst“, verlautet aus der Schuldnerberatungsstelle.