Nach den Geothermiebohrungen gibt es immer mehr Schadensfälle an Häusern. Die betroffenen Eigentümer kritisieren, dass die Untersuchungen der Löcher zu langsam vorangehen.

Böblingen - Die weitere Ausdehnung der Bereiche im Stadtgebiet von Böblingen, in denen sich nach Erdwärmebohrungen der Boden hebt, ist für Jochen Weinbrecht keine Überraschung. „Wenn im Gipskeuper anhydrithaltiges Gestein erst einmal zu quellen beginnt, ist dieser Prozess schwer zu stoppen“, sagt der Leiter des Böblinger Wasserwirtschaftsamts. Die Zahl der Hausbesitzer, die ihre Schäden im Landratsamt gemeldet haben, ist auf mehr als 150 gestiegen. In dieser Woche sollen die ersten Messungen an vier von insgesamt 15 Bohrlöchern in dem von Häuserrissen betroffenen südlichen Gebiet, in dem es Hebungen gegeben hat, abgeschlossen werden. „Die Ursachenforschung braucht viel zu viel Zeit“, kritisiert Daniela Braun, die Sprecherin der Interessengemeinsaft Erdhebungen Böblingen (IGE-BB).

 

Komplexer Abstimmungsprozess

Weinbrecht begründet das langwierige Verfahren mit der Vielzahl der zu untersuchenden Bohrlöcher und dem komplexen Abstimmungsprozess, bei dem für jeden Einzelfall mehrere Personen und Parteien eingebunden werden müssen, bevor die Experten auf einem Grundstück tätig werden können. Dazu zählen nicht nur die Hauseigentümer und die Bohrfirmen, sondern auch das mit den Messungen beauftragte Unternehmen und Handwerksbetriebe wie Heizungsbauer, Elektriker und Gartenbaufirmen. Auch Anwälte der Hausbesitzer, der Bohrfirma und der Versicherung sind eingeschaltet. Ein Gutachter muss dabei sein, und nicht zuletzt muss das Landesamt für Geologie in Freiburg konsultiert werden. Zudem war die Bereitschaft der Grundstücksbesitzer, die Experten auf ihr Gelände zu lassen, anfangs nicht groß, so dass das Landratsamt sogar gerichtliche Verfügungen gegen sie erwogen hatte. Die Kooperationsbereitschaft sei nun aber vorhanden, erklärt Weinbrecht. Dies gilt auch für die Renninger Bohrfirma Gungl, deren Kenntnisse über die von ihr vorgenommenen Bohrungen im Erdhebungsgebiet für die Untersuchung wichtig sind.

Erkundungsbohrung geplant

Im Böblinger Norden waren im Januar zunächst zwei Bohrlöcher inspiziert worden. Dabei hatte sich eine schadhafte Zementummantelung der Sondenschläuche feststellen lassen. Entlang der Hohlräume könnte Wasser in die anhydrithaltigen Gesteinsschichten eingedrungen sein, die dann aufquellen und sich in Gips umwandeln. „Dies könnte die Erdhebungen verursachen“, sagt Weinbrecht. Möglicherweise werde dort noch eine Erkundungsbohrung vorgenommen, um weitere nähere Aufschlüsse zu erhalten. Doch hänge dies noch von einer Stellungnahme des Landesamts für Geologie, die derzeit erstellt werde, ab. Eine solche Erkundung könne ein halbes Jahr dauern, weil man dabei nur sehr langsam in das Erdreich vorstoße und immer wieder Auswertungen vornehmen müsse, so Weinbrecht. Sein Ziel ist natürlich, die schadhaften Stellen baldmöglichst zu orten und abzudichten. Ob das aber noch in diesem Jahr sein werde, sei fraglich.

Zu klären sei zudem noch die Übernahme der Kosten für eine solche Erkundungsbohrung, die im sechsstelligen Bereich liege. Weil die Ursache für die Erdhebungen und die Schuldfrage noch nicht endgültig geklärt sei, könne man nur auf die Kooperation der Bohrfirma hoffen. Sei diese nicht dazu bereit, müsse man selbst oder das Land in Vorleistung gehen. Der Böblinger Oberbürgermeister Wolfgang Lützner hat deshalb jüngst den Umweltminister Franz Untersteller darum gebeten, gegebenenfalls finanzielle Hilfe zu leisten und die Ursachenforschung zu unterstützen.

Erde hat sich bisher bis zu 40 Zentimeter gehoben

Derweil hebt sich die Erde im nördlichen Gebiet relativ konstant drei bis fünf Millimeter im Monat, im südlichen Gebiet zwei bis vier Millimeter. Jüngst hatte eine Laserscanmessung aus der Luft das komplette Ausmaß der Hebungen aufgezeigt. Seit dem Jahr 2002 und der ersten Befliegung des Stadtgebiets hat sich der Boden im nördlichen Hebungszentrum um bis zu 40 Zentimeter gehoben, im Süden liegt der Maximalwert bei 25 Zentimetern. Zudem ist das Gebiet der Erdhebungen größer als angenommen. Die weitere Ausdehnung lässt sich nicht prognostizieren.

„Inzwischen werden die Risse in unseren Häusern immer größer“, sagt Daniela Braun. Manche sind bereits zwei bis drei Zentimeter breit. „Wir müssen lernen, damit zu leben“, fügt die Sprecherin der betroffenen Eigentümer hinzu. Gleichwohl dürfe sich keine Resignation breitmachen. Im Gegenteil, sagt Braun: „Wir müssen unseren Druck auf die Verwaltungen noch verstärken, damit es mit den Untersuchungen vorangeht und wir eines Tages an Sanierungsmaßnahmen denken können.“

Anlaufstelle für Betroffene

Die Stadt Böblingen hat nun eine Anlaufstelle für die Betroffenen eingerichtet. Jüngst meldete sich dort eine Hauseigentümerin aus dem nördlichen Schadengebiet, die Angst hat, dass ihr Haus einstürzt. Ein von der Stadt beauftragter Prüfstatiker wird das Gebäude jetzt in Augenschein nehmen. Im Dezember musste im südlichen Hebungsgebiet die Familie La Marra aus ihrem einsturzgefährdeten Haus ausziehen. „Wir werden uns“, kündigt Daniela Braun an, „nicht damit abfinden.“