Der Kreis Böblingen gibt in diesem und im nächsten Schuljahr jeweils 60 000 Euro dafür aus, dass aus Schulverweigerern keine Abbrecher werden. Die Zukunft des Betreuungsangebots ist jedoch ungewiss.

Böblingen - Keine Frage, das Projekt „Trias – Schulverweigerung die 2. Chance“ ist sinnvoll. Darüber sind sich alle einig. Bis Ende des nächsten Schuljahres sichert der Landkreis finanziell die bereits abgespeckte Form des Betreuungsangebots mit 15 statt vormals 51 Plätzen für Schulverweigerer, die mit professioneller Hilfe zurück in den Schulalltag gebracht werden. Doch wie das Projekt von Sommer nächsten Jahres an weitergeführt wird, muss der Kreistag erst noch entscheiden. „Wir müssen uns überlegen, ob wir in eine Dauerfinanzierung einsteigen wollen“, sagt Wolfgang Trede, der Amtsleiter Jugend und Familie im Böblinger Landratsamt.

 

Schon jetzt trägt der Kreis Trias mit jeweils 60 000 Euro für das laufende und das kommende Schuljahr. Dabei war er nur als Co-Financier in das Projekt eingestiegen, das die EU angestoßen hatte, um die Quote der Schulabbrecher zu drücken. Ein Hauptschulabschluss sei das Minium, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sagt Trede. Das gelte erst recht für den Kreis und die Region mit ihren hoch technisierten Betrieben, betont Uwe Seitz, der Bereichsleiter der Jugendberufshilfe beim Waldhaus. Von der Jugendhilfe-Einrichtung aus Hildrizhausen und der Stiftung Jugendhilfe aktiv war die Initiative für Trias ausgegangen. Etwas später stieß auch der Verein für Jugendhilfe dazu. So konnten zusammen mit dem Kreis und dem Geld aus Brüssel – von 2006 bis Mitte des vergangenen Jahres flossen rund zwei Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in den Landkreis – kreisweit Betreuungsplätze für die Schulverweigerer eingerichtet werden.

Kein Fall gleicht dem anderen

„Schulverweigerung macht erst einmal Sinn“, sagt Uwe Seitz. Kinder gingen an sich gern in die Schule, wenn nicht, dann gebe es dafür Gründe. Welche das sind, versuchen Mitarbeiter der drei Jugendhilfe-Einrichtungen möglichst schnell herauszufinden. Sie sprechen mit den Schülern, den Eltern und mit den Lehrern, um sich ein möglichst genaues Bild von der Situation der Schüler zu machen. Wenn man mit Uwe Seitz spricht, der das Projekt von Anfang an begleitet, dann wird klar, dass kein Fall dem anderen gleicht und die Lösungen auf jeden Schulverweigerer zugeschnitten werden. Mal haben sich gerade die Eltern getrennt, mal ist die suchtkranke Mutter alleine daheim, mal sind die Schulverweigerer auch Mobbingopfer. Sie fängt ein Netzwerk aus Kooperationspartnern auf, darunter Schulsozialarbeiter, Kommunen und Polizei, das Trias in all den Jahren aufbauen konnte. Ziel sei es, die Jungen und Mädchen möglichst an ihrer alten Schule zu belassen, sagt Uwe Seitz. In der Regel funktioniere das auch.

Die Jungen und Mädchen, die Trias unterstützt, müssen mindestens zwölf Jahre alt sein und dürfen noch keinen Hauptschulabschluss in der Tasche haben. „Anfangs waren es fast nur Jungs“, sagt Uwe Seitz. Heute sind etwa ein Drittel der Schulverweigerer, die Trias begleitet, weiblich. „Jungs fallen früher durch ihr Verhalten auf, Mädchen ziehen sich eher zurück“, erklärt Uwe Seitz das ungleiche Verhältnis.

Projekt von 51 Betreuungsplätzen auf 15 abgespeckt

So lange EU-Mittel flossen, gab es kreisweit 51 Betreuungsplätze für die Schulschwänzer, seit vergangenem Jahr sind es nur noch 15. Das reicht nicht aus, darin sind sich Wolfgang Trede vom Böblinger Landratsamt und Uwe Seitz einig. Denn es gibt Wartezeiten für die Plätze. „Mit 20 müssten wir hinkommen“, sagt der Amtsleiter Trede, der Waldhaus-Mitarbeiter Seitz wünscht sich hingegen 30 Plätze. Wie das Konzept für Trias künftig aussieht, steht noch nicht fest. In der Diskussion sei auch „eine Art extra Klasse“, sagt Wolfgang Trede. Dass etwas getan werden muss, und zwar „schulübergreifend“, hält er „aus fachlicher Sicht für sinnvoll und geboten“.

Die Einschätzung teilt Uwe Seitz, der Trias für „sehr gelungen“ hält, weil die Projektpartner sehr früh und sehr schnell reagieren könnten. Außerdem helfe das Projekt auf lange Sicht gesehen, Geld zu sparen. Das habe ein Kreisrat jüngst in einer Sitzung angemerkt, in der Uwe Seitz Bilanz gezogen hat. Denn mit einem Schulabschluss in der Tasche sind die Chancen auf eine Ausbildungs- und später eine Arbeitsstelle viel größer als ohne.

Die Quote der Schulabbrecher ist gesunken

Begriffsklärung
Experten unterscheiden zwischen passiver und aktiver Schulverweigerung. Passive Schulverweigerer sind demnach all jene Jungen und Mädchen, die zwar in den Unterricht kommen, aber sich nicht daran beteiligen. Aktive Schulverweigerer hingegen stören den Unterricht, zeigen offen ihre Ablehnungen, schwänzen hin und wieder den Unterricht oder bleiben ganz weg.

Chance
Schulverweigerer riskieren den Verlust eines Schulabschlusses. Damit es nicht soweit kommt, hat das Bundesfamilienministerium das Programm „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ von 2006 an gefördert. Allein in der zweiten Förderphase von 2008 bis 2014 wurden nach Ministeriumsangaben mehr als 98 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds an Projekte ausgeschüttet.

Abbruch
Eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum sind gut ausgebildete Arbeitskräfte. Deshalb wollen die EU-Länder bis zum Jahr 2020 die Schulabbrecherquote unter zehn Prozent drücken und die Akademikerquote auf mindestens 40 Prozent steigern. Nach den Erhebungen von Eurostat hat Deutschland schon ein Ziel erreicht: Voriges Jahr lag die Schulabbrecherquote bei 9,5 Prozent.