Nach 27 Jahren geht der Böblinger Vizelandrat Wolf Eisenmann in den Ruhestand. Die ersten Jahren waren hart für den Juristen. Als Befürworter des Restmüllheizkraftwerks wurde er als Umweltverschmutzer beschimpft.

Böblingen - Wenn Wolf Eisenmann Ende des Monats in den Ruhestand wechselt, geht im Landratsamt eine Ära zu Ende. Wie kaum ein anderer hat der 68-Jährige das Gesicht des Kreises geprägt, drei Landräte und Chefs erlebte er in dieser Zeit. Wolf Eisenmann ist ein wandelndes Lexikon der Kreisgeschichte der vergangenen drei Jahrzehnte. Im Interview zum Abschied erinnert er sich an die Höhen und so manche Tiefe seiner 27-jährigen Laufbahn.

 
Herr Eisenmann, welche Leichen wird man ausgraben, wenn Sie weg sind?
Ich bin guter Dinge, dass ich da wenig hinterlasse.
Sie waren bei manchen Themen ja so etwas wie der heimliche Landrat. Wollten Sie nie ein echter Landrat werden?
Doch, das wollte ich. Ich hatte immer ein wenig spekuliert auf die Nachfolge von Reiner Heeb. Aber als sich dann Bernhard Maier beworben hat, war das vom Tisch. Ich bin zwischendurch auch mal aus einem anderen Landkreis angefragt worden, bin dann aber im Vorfeld einem Oberbürgermeister unterlegen. Damit war das Thema für mich erledigt.
Wo war das?
Das verrate ich nicht.
Müll und vor allem Müllvermeidung waren Ihre großen Themen. Sind Sie ein verkappter Grüner?
Ja, das muss man vermutlich sein, wenn man in diesem Bereich erfolgreich tätig ist. Es hilft auch, die etwas härteren Gefechte auszufechten, wenn man von seiner Sache überzeugt ist. Aber ich bin auch einer, der immer dazulernt. Ich bin nicht mit einem fertigen Konzept gekommen, sondern habe zunächst hingeschaut und habe gesehen, als ich vor 27 Jahren kam, dass die Verhältnisse schlecht waren. Wir hatten eine sehr schlechte Deponierung damals – wie man sie heute vielleicht in Rumänien findet.
Und Ihre Reaktion darauf war der Bau des Restmüllheizkraftwerks.
Zunächst war die Reaktion: Wir müssen diese Form der Abfallbeseitigung besser machen. Damals begann erst das Denken, dass man nicht einfach alles wegwirft. Wir hatten damals die dreifache Müllmenge, die wir heute haben. Das war natürlich aus finanzieller Sicht schön. Viel Geld war im System. Aber das System war nicht gut.
War das Restmüllheizkraftwerk Ihre Idee?
Nein, diese Idee war schon einige Jahre früher aufgekommen. Man hat sich gesagt, wir brauchen einen technischen Prozess, der sich nicht über Jahrhunderte erstreckt so wie bei der Deponie, bis der ganze Müll abgebaut ist. Bei der Verbrennung geht das in Sekundenbruchteilen. Gleich an meinem ersten Tag als Erster Landesbeamter in Böblingen – am 1. Juni 1987 – war eine Kreistagssitzung mit dem Tagesordnungspunkt Abfallwirtschaftskonzept, das als Endstufe die Müllverbrennung vorsah. Ich habe es dann zu meiner Aufgabe gemacht.
Aber dann gab es dagegen erheblichen Widerstand.
Nicht zu Beginn. Als wir uns 1987 auf die Suche nach einem geeigneten Standort machten, waren wir ein Herz und eine Seele mit der Stadt Böblingen und dem Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang. Wir hatten die gemeinsame Überzeugung, dass eine Müllverbrennung in den Ballungsraum gehört. Böblingen hatte damals schon ein Fernwärmenetz, in das wir die gewonnene Wärme aus der Verbrennung einspeisen konnten. Wir waren uns so einig mit der Stadt, dass wir mit den Ältestenräten sogar schon eine Belohnung für die Böblinger Akzeptanz vereinbart hatten – irgendwo in unseren Akten muss die sein.
Und dann kam es zum Bruch. Warum ?
Weil parallel auch das Thema Sondermüllverbrennung aufkam. Für solch eine Anlage suchte das Land einen Standort und prüfte Böblingen als einen von mehreren möglichen. Gegen die Sondermüllverbrennung waren alle und damit auch gegen unser Restmüllheizkraftwerk. Wir wurden als diejenigen gesehen, die die Umwelt verpesten wollen. Wir standen in der Schmuddelecke, obwohl wir überzeugt waren, genau das Richtige zu tun. Das war eine harte Auseinandersetzung. In der heißen Phase gab es fast jeden Abend eine Diskussion. Das war manchmal schwer zu ertragen, was da an Argumenten kam.
Haben diese Kämpfe zu Beginn Ihrer Amtszeit Sie geprägt? Waren Sie deshalb 27 Jahre lang stets konfliktfreudig?
Das immunisiert vielleicht ein wenig. Es war eine Art Glaubenskrieg. Es gab nur schwarz und weiß. Wichtig ist, dass der Kreistag am Ende richtig entschieden hat.
War das der Grund für Sie, stärker auf die Verwertung zu setzen? Zum Beispiel beim Altpapier und bei Altkleidern?
Ja, das war eine politische Entscheidung. Befürworter der Verbrennung waren vor allem die bürgerlichen Parteien. Und wenn wir einen Konsens hinbekommen wollten, dann mussten wir den anderen alles zum Thema Müllvermeidung und -verwertung bieten. Deshalb haben wir hier im Kreis mit der Wiederverwertung sehr früh begonnen. Man muss sehen, der Gesetzgeber will jetzt für 2015, dass jeder Kreis die Biotonne einführt. Wir haben bereits 1994 ein Biomüllkompostwerk mit kreisweiter Biotonne gehabt. Wir waren auch bei allen Vermeidungs- und Verwertungsanreizen wie dem mengenorientiertem Behältertarif oder der Gewerbemüllsortierung immer ganz vorne mit dabei und haben gesagt, was geht, das machen wir auch.
Ihr größter Coup war wohl 2008 die Einführung der Altpapier-Tonne?
Die haben wir in der Tat innerhalb von zwei Wochen eingeführt, weil damals die private Konkurrenz drohend vor der Tür stand. Wir haben zunächst Tonnen in Böblingen und Sindelfingen ausgegeben – damit war der Claim abgesteckt. Immerhin ging es dabei um viel Geld für unsere Gebührenzahler. Im besten Jahr lagen unsere Einnahmen aus dem Altpapier bei fünf Millionen Euro brutto.
Nun gibt es aber auch jede Menge Kritiker Ihres weit und breit einzigartigen Müll-Sammel-Systems. Glauben Sie, dass die Wertstoffhöfe, zu denen die Bürger vor allem samstags ihre Joghurtbecher und Milchpacks fahren, noch Zukunft hat?
Der Bürger will das so, wie 2010 eine repräsentative Umfrage ergeben hat. Er ist viel gescheiter, als viele denken. Er schafft es ja auch, seine Verpackungen mit dem Produkt darin selbst in den Läden zu holen und genauso macht er es umgekehrt. Natürlich sind manche dabei auf Unterstützung angewiesen oder haben zeitliche Probleme, deshalb haben wir ja für diese Leute die Wertstofftonne eingeführt. Nur wer es bequemer will, der soll auch dafür zahlen. Das ist unsere Philosophie in Böblingen.
Es gibt Kreise, die haben kein Doppelsystem. Die brauchen keine Wertstoffhöfe.
Ich glaube, es gäbe erheblichen Protest, wenn wir die Wertstoffhöfe auflösen wollten. Dort spielen Verpackungen nur eine geringe Rolle. 90 Prozent des Sperrmülls und 35 Prozent des Altpapiers – jeweils trotz kostenfreier Abholung – werden ebenso wie Altkleider, Schrott, Elektronik, Batterien und Bauschutt dorthin gebracht. Hier bietet unser System einen unvergleichlichen Service, den unsere Bürger gerne nutzen. Wir wollten vor einigen Jahren mal einige Häckselplätze aufgeben. Das gab einen gewaltigen Aufstand. Wer Hand an die Wertstoffhöfe legen möchte, der macht sich unbeliebt im Kreis. Auch unser Landrat Roland Bernhard hat diese Liebe der Böblinger zum Wertstoffhof nach seinem Amtsantritt 2008 unterschätzt. Die Leute, die sortieren und zum Wertstoffhof fahren, sagen sich: Ich tue mehr für die Umwelt als andere. Das gibt ein gutes Gefühl.
Nun ist aber im Abfallwirtschaftsbetrieb nicht immer alles glatt gelaufen. Stichwort Korruptionsskandal.
Der Ex-Müllofenchef, der im Juni 1999 verhaftet wurde, war Teil eines bundesweiten Korruptionsskandals. Der betraf Böblingen nur am Rande und wäre mit keinem System der Welt zu verhindern gewesen. Da fand sich nichts in unseren Büchern. Anders verhält es sich mit unserem ehemaligen Betriebshofleiter. Hier war die Organisation schlank und unbürokratisch. Trotzdem wurden die Regelungen nicht eingehalten. Aber wir haben jetzt noch weitere Kontrollmechanismen eingezogen.
Das Regierungspräsidium untersucht den Abfallwirtschaftsbetrieb. Gibt es Resultate?
Das ist nicht ganz richtig. Es werden einige wenige Einzelpunkte untersucht. Mir ist – ehrlich gesagt – nicht klar, warum und was konkret geprüft wird. Mir ist noch kein Ergebnis bekannt. Aber ich denke, man sollte das Gesamtergebnis sehen. Unser Müllsystem, das wir als Landkreis eigenständig gestalten konnten, steht sehr gut da: Wir haben null Schulden, 70 Millionen Euro Rücklagen und viele Anlagen gebaut– so den bundesweit einzigen Biomasseofen für Feinholz – und trotzdem in den vergangenen 20 Jahren nur eine Gebührenerhöhung gehabt. Real liegen unsere Gebühren heute 20 Prozent unter denen des Jahres 1994. Unsere Gesamtbilanz kann sich sehen lassen.
Zur Bilanz gehören auch sehr viele Prozesse, die Sie in den 27 Jahren Amtszeit geführt haben. Wissen Sie, wie viele es waren?
Das kann ich wirklich nicht sagen. Vielleicht 100 bis 150. Aber viele Prozesse sind weitgehend normale Dinge, im Baurecht ist das auch bei anderen Kreisen gang und gäbe. Was uns auszeichnet, ist, dass wir auch vor den Großen nicht eingeknickt sind – weder vor den Gewerbebetrieben mit der Grundgebühr und Pflichttonne noch vor dem Dualen System.
Wie viele Prozesse haben Sie verloren?
Wir haben fast alle gewonnen – ich schätze mehr als 90 Prozent.
Und was hat das gekostet?
Nun, die gewonnenen Prozesse kosten nichts. Und die verlorenen, dafür hatten wir ja einen eigenen Justiziar.
Nun ein ganz anderes Thema: wie entwickelt sich die Beziehung zwischen dem Nordkreis und dem Rest?
Ich hatte geglaubt, dass sich das Altkreis-Thema längst erledigt hätte. Auch im Kreistag spielte die Geografie bisher bei den Abstimmungen keine Rolle. Dass es jetzt wieder so eine Art Altkreis-Bauchgefühl gibt, das hat mich echt überrascht.
Würden Sie noch weiter machen, wenn Sie dürften?
Ich schließe das bei meinem Naturell nicht aus. Die Frage aber hat sich mir nicht gestellt.
Fällt Ihnen der Abschied schwer?
Das weiß ich noch nicht. Das wird mir wohl erst bewusst werden, wenn ich aus meinem Urlaub nicht ins Landratsamt zurückkehren werde. Aber ich nehme noch einiges mit: den Aufsichtsratsvorsitz des Tierheims und die Geschäftsführung im Zweckverband Restmüllheizkraftwerk Böblingen, die hat bisher zehn Prozent meiner Tätigkeit ausgemacht. Aber mehr will ich auch nicht.
Was planen Sie für den Ruhestand ?
Das wird sich zeigen. Ich möchte erst einmal frei atmen und schauen: Ist das gut so, oder brauch ich noch etwas.