Die Anklage war übertrieben: Ein Mann wird vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei gesprochen. Das Codewort“Käsekuchen“ ist nicht gefallen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Der Kommissar kommt schlecht weg. „Setzen, sechs“, urteilt der Richter über dessen Arbeit. Angeklagt am Böblinger Amtsgericht ist ein Fall von sexuellem Missbrauch. Ein 28-jähriger Mann aus Herrenberg soll sich an einer schlafenden Frau vergangenen haben. „Sie wissen doch: Das sind die haarigsten Fälle, die wir zu verhandeln haben“, kritisiert der Richter den Kommissar. Denn die Ermittlungen haben sich auf zwei Vernehmungen beschränkt – die des angeblichen Opfers und die des Beschuldigten. Die Akte sei so dünn wie bei einem Ladendiebstahl, schimpft der Richter. Dabei handelt es sich um eine Anklage, die den 28-Jährigen für Jahre hinter Gitter hätte bringen können. Er wurde freigesprochen.

 

Der Angeklagte und die 25-Jährige aus Reutlingen hatten sich Anfang des Jahres im Internet kennen gelernt. Die Plattform hat ein umgangssprachliches Verb für Geschlechtsverkehr als Adresse – genau darum geht es den Nutzern auch. Schon beim ersten Treffen landeten die beiden im Bett. „Es sollte nichts Festes sein, das war von vornherein ausgemacht“, berichtet der 28-Jährige. Er hatte nebenher noch zwei andere Bekanntschaften von der Webseite, sie hatte einen Freund und weitere Beziehungen. Trotzdem nahm der als Vermessungsgehilfe tätige Mann sie auf Dienstreisen mit, und die Frau verbrachte viel Zeit bei ihm in Herrenberg. „Wir haben uns echt super verstanden“, sagt er.

Nein, hat sie gesagt

Am 15. März soll dann Schluss damit gewesen sein: Die 25-Jährige war am Abend in seiner Wohnung eingeschlafen, er soll die Gelegenheit ausgenutzt und sie missbraucht haben. „Nein“ habe sie im Schlaf gesagt und seine Hand weggeschoben, gab sie bei der Polizei zu Protokoll. „Ich habe es so wahrgenommen, dass sie wollte“, sagt er. Auf seine Berührungen hätte sie entsprechend reagiert und sie hätten sich geküsst. Während einer dieser Dienstreisen hatte seine Sexualpartnerin schon einmal „Nein“ gesagt. Als er dann aufhörte, habe sie ihm allerdings erklärt, dass ein Nein nicht bedeute, dass sie nicht mit ihm schlafen wolle.

Zehn Tage nach dem Abend erstattete die 25-Jährige eine Anzeige. „Sie hat geweint wie ein Wasserfall“, berichtet ein Bekannter von ihr, der als Zeuge geladen ist. Ihm erzählte sie von dem Missbrauch, der sie sehr belaste. Er sei mit ihr daraufhin ins Krankenhaus und zur Polizei gegangen, bei der Vernehmung war er dabei. Für den Angeklagten kam der Schritt überraschend: Weder an dem Abend noch in den Tagen darauf hatte die Frau den Übergriff thematisiert, aber ihm weiter Nachrichten geschrieben – bis sie plötzlich den Kontakt abbrach.

„Ihr Schutzwort war Käsekuchen“

„Ihr Schutzwort war Käsekuchen“, sagt der 28-Jährige vor Gericht. Wenn sie genug vom Geschlechtsverkehr oder bestimmten Praktiken hatte, sei dies ihr Stoppsignal gewesen. Daran habe er sich immer gehalten. „Sie stand auf süßen Schmerz“, erklärt er. Die 25-Jährige beantragt für ihre Aussage vor Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit. „Sie haben relativ viel übereinstimmend geschildert“, berichtet die Staatsanwältin hinterher. Sie sei in einer Art Trancezustand und nicht in der Lage gewesen, sich zu wehren, lautete ihre Erklärung für den Missbrauchsvorwurf. Sie hatte eine fiebrige Erkältung an dem Abend. Doch bei der Staatsanwältin bleiben Zweifel daran, ob es dem Angeklagten bewusst sein konnte, dass sie willenlos war. „Es war ein Nein wie es auch Ja meinen kann“, sagt sie und fordert den Freispruch – wie der Anwalt des Angeklagten. „Ich bin schockiert, wie die Ermittlungen geführt wurden“, sagt er.

Bei der Urteilsbegründung wird der Richter ganz deutlich: Die Staatsanwaltschaft hätte das Verfahren eingestellt, wenn besser ermittelt worden wäre. Die Kurznachrichten der beiden hätten als Beweise gesichert gehört. Auch Nachforschungen in ihrem Umfeld wären angebracht gewesen. Der Kriminalhauptkommissar hatte sich nicht einmal die Internetseite mit dem obszönen Namen angesehen. Und die 25-Jährige hätte von der Polizei mit den Aussagen des Beschuldigten konfrontiert werden müssen. Als Zeugin habe sie bestätigt, dass es das Codewort „Käsekuchen“ gab und dass sie es nicht benutzt habe. „Das ist eine ungute Geschichte“, sagt der Richter, „es hätte nicht so weit kommen müssen."