Monika Lange-Tetzlaffs Buch über das Bohnenviertel ist eine Liebeserklärung an ihr Quartier. Allerdings zerfällt der Band inhaltlich in zwei gänzlich unterschiedliche Teile.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - In der Geschichte zu stöbern, hat stets seine Reize. 1869 war es, als der Flaschnermeister Diez sein Haus sprengte. Er war einer der ersten, die ihr Haus mit Gas beleuchteten. Entsprechend rar war seine Erfahrung. Weshalb der Flaschner, um zu ergründen, warum ihm das Licht erloschen war, eine Kerze entzündete. Keine 20 Jahre nach dem Unglück bestellte in der Nachbarschaft ein rätselhafter Fremder beim Wagenbauer Wimpff eine Kutsche, die unbrauchbar sein würde, weil ihr die Deichsel fehlen sollte. Der Fremde war Gottlieb Daimler. Aus der Karosse fertigte er seine Motorkutsche, das erste Automobil.

 

Die Jahrhunderte liefern selbstredend mehr Anekdoten als die Zeitspanne eines Lebens. Die des Bohnenviertels hat Monika Lange-Tetzlaff in einem Buch niedergeschrieben, das den schlichten Titel „Bohnenviertel“ trägt und sich als Liebeserklärung ans Quartier versteht, in dem die Autorin als Inhaberin des Antiquariats Buch und Plakat bekannt wurde. Ihre eigenen Gedanken unterbricht sie immer wieder mit Passagen aus den Krimis von Wolfgang Schorlau, der seinen Detektiv Georg Dengler im Bohnenviertel leben lässt.

Über den Laden der Autorin ist inzwischen die Geschichte hinweggegangen. Er musste schließen, mangels Umsatz. Dies nicht zuletzt, weil der Einkaufsstrom entlang der Konsumachse Königstraße am Bohnenviertel vorbeifließt. Was sich wiederum mit etwas gutem Willen geschichtlich begründen lässt. Schon zu den Anfangszeiten als „Esslinger Vorstadt“ lag das damalige Arbeiter- und Armenquartier außerhalb der Kernstadt.

Der junge Schiller floh vor seinen Zechschulden

Auf 125 der 200 Buchseiten erzählt Lange-Tetzlaff Geschichte und Geschichtchen aus der Geschichte. Bekannt dürfte auch historisch weniger Interessierten sein, dass 1782 der junge Schiller durchs Esslinger Tor aus Stuttgart floh, weil ihm Herzog Carl Eugen das Schreiben verboten, nebenbei mutmaßlich auch, weil Schiller mit 23 Jahren umgerechnet 60 000 Euro Zechschulden angehäuft hatte.

Dass der heutige Schellenturm einst ein Behördenzentrum war und 1811 gleichsam ersatzweise umbenannt wurde, nachdem der tatsächliche Schellenturm abgerissen worden war, fällt schon unter Spezialistentum, genauso wie die Tatsache, dass die griechische Gemeinde ursprünglich im Bohnenviertel beheimatet war und auch das Gewerkschaftshaus einst im Quartier stand. Derlei Fakten hat die Autorin in mehr als 80 Quellen recherchiert, die im Buchanhang genannt sind.

Nach 125 Seiten hechtet Lange-Tetzlaff in die Gegenwart

Nach jenen 125 Seiten über die Vergangenheit hechtet Lange-Tetzlaff in die Gegenwart. So zerfällt ihr Buch in zwei Teile und ein Bruchstück. Letzteres ist neun Seiten lang. Auf ihnen erzählen drei Bewohner des Bohnenviertels, wie es sich dort heute lebt. Zusammengefasst: ausgezeichnet, vor allem wegen des familiären Charakters als Dorf in der Stadt – wenn der illegale Straßenstrich, der Müll und die unangenehmen Jugendgangs nicht wären. Bemerkenswerterweise wollte niemand derlei namentlich erzählen. Die Interviewten kürzeln mit Frau F. oder Herr D.

Weit mehr Platz widmet die Autorin einer Vorstellung aktueller Geschäfte und ihrer Inhaber, die – als Handels- und Gewerbeverein – das Erscheinen des Buches finanziell förderten. Die Selbstständigen stellt Lange-Tetzlaff einschließlich Lebenslauf vor und allesamt als gute Geister des Quartiers. Ihre Geschäfte beschreibt sie in Inhalt und Sprache, als entstammten die Passagen Werbeprospekten.

Am Beispiel der Cantina Toscana von Günter Sulz liest sich dieser Abschnitt des Buches so: „Und der Erfolg gab ihm recht. Seit 22 Jahren ist das Lokal eine gute Adresse für Liebhaber mediterraner Spezialitäten, begleitet von einem Angebot hervorragender Weine zu einem vernünftigen Preis.“ Diese Sätze dürfen beispielhaft zitiert werden, ohne den Neid der Konkurrenz zu wecken. Sulz hat sein Lokal Anfang 2014 altershalber geschlossen.