Zwischen Tradition und Kommerz: der Bollenhut verkörpert den Schwarzwald schlechthin - und ist damit weltweit zum Aushängeschild geworden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Gutach - Bollenhut – der Name klingt irgendwie grob und ungeschlacht. So gar nicht filigran und schon gar nicht anmutig. Bollenhut. Das Wort möchte man immer nur laut vor sich hinsagen, sich die Bollen vor dem Hut dabei durch den Gaumen purzeln lassen – und als Städter vom Land träumen, wo die Wiese noch grün und die Luft rein ist. So wie es auf den ersten Blick bei Gabriele Aberle in Gutach ist, wo vor der Tür des Lehmbauernhofes ein Brunnen plätschert und das Grün der Natur nur darauf wartet, endlich zu explodieren. „Dort, wo das Windrad steht“, erklärt Gabriele Aberle, treffen die drei Täler zusammen, in denen die Gemeinden liegen, in denen der Bollenhut getragen wird: die Schwarzwalddörfchen Gutach, Kirnbach und Reichenbach. Der erste Blick trügt also. Das Landleben hat hier also sehr wohl den modernen Technologien zugewandte Züge.

 

Gabriele Aberle ist dennoch eine dem Althergebrachten verpflichtete Frau. Zumindest, was das Brauchtum angeht. Sie ist eine der letzten Bollenhutmacherinnen im Schwarzwald. Die 58-Jährige wohnt heute auf einem mehr als 400 Jahre alten Hof, wo das Heu auf dem Dachboden lagert, und sie weiß alles über die Tracht ihrer Heimat. Als sie als junges Mädchen selbst ihre erste Tracht samt Kopfschmuck bekommen sollte, runzelten die alten Gutacher freilich die Stirn. Der Teenager kam von keinem Hof, der Vater war Buchhalter. Sollte so eine eine Tracht tragen dürfen? Das ist längst vergessen. Denn heute ist die quirlige Frau eine der letzten Wissensträgerinnen. Sie selbst hat dieses Wissen von ihrer Mutter anvertraut bekommen, die das Handwerk wiederum von ihrer Mutter gelernt hat. Die war Modistin und hat sich die Kunst des Bollenhutmachens selbst angeeignet, in dem sie die Fertigkeiten, die man dafür braucht, erfragt hat. Wohl wissend, dass es eine tun muss, da sonst ein Handwerk und eine Kunst für immer verloren gegangen wären.

Nicht jedes Geheimnis der Fertigung wird verraten

Und weil das Anfertigen eines Bollenhuts immer auch eine Sache kundiger Frauen ist, mag die Enkelin auch nicht jedes Geheimnis seines Werdens verraten. So erfahren wir auch nicht, wie es im Atelier der Hutmacherin zugeht, wenn sie die Tür zur Welt verschließt. Nur so viel sei verraten: dass das Werden eines Bollenhutes eine ziemlich fusslige Veranstaltung ist, das merkt, wer der flinken Frau über die Schulter schaut. Überall setzen sie sich fest, die roten Flusen. Und gut Ding will Weile haben. Manchmal dürfen die Wollbollen auch ausruhen, bis die Künstlerin ihnen mit einer scharfen Friseurschere einen weiteren Formschnitt verpasst. Eine perfekte Rundung wächst ganz allmählich.

Ein Bollenhut, das ist schließlich nicht irgendeine Kopfbedeckung. Nein, das ist ein Hut, den nicht jede so einfach erwerben darf. Der Preis, 245 Euro, ist dabei jedoch nicht die entscheidende Kaufhürde. Er steht ohnehin in keinem Verhältnis zu den unendlich vielen Arbeitsstunden, die in ihm stecken. Deshalb muss die Trägerin den Hut wirklich wertschätzen. Gabriele Aberle stellt durchaus Ansprüche an ihre Kundinnen. Wer den Hut als Scherz zur Fasnet tragen will, ist chancenlos.

Nach der Heirat hat der Hut schwarze Bollen

Eine Tracht ist eine ernste Angelegenheit. Die Bollenhuttracht aus Gutach ist eine evangelische Kirchentracht. Junge Frauen bekommen sie auch heute noch zur Konfirmation und tragen sie dann im Kirchenjahr am Ostersonntag und zu Erntedank. Bis sie heiraten. Dann muss Frau einen Hut mit schwarzen Bollen tragen. Wie jede Tracht signalisiert auch der Bollenhut, ob seine Trägerin noch zu haben ist.

Aber dieser Hut mit den 14 unterschiedlich großen Wollkugeln, die in Kreuzform auf einen weiß gekalkten Strohhut genäht werden, ist längst viel mehr als nur eine Anhäufung von gekonnt drapierten leuchtenden Farbflecken. Dieser Hut steht für eine deutsche Landschaft – den Schwarzwald. Er ziert Weinetiketten. Im Tourismus ist dieser Hut eine echte Marke. Seit 1993 ist das Gebilde mit den „14 Wollrosen“, wie es poetisch in der Festschrift zum 100. Geburtstag des Schwarzwaldtourismus heißt, in stilisierter Form das Logo des Schwarzwald-Tourismus-Verbandes.

Das Schwarzwaldmädel mehrte den Ruhm der Kopfbedeckung

Ohne dass er selbst viel dazu beigetragen hätte, trat er seinen Siegeszug um die Welt an. Er ist wohl einfach zu markant. Und zu rot. Das Titelbild einer Werbebroschüre für die Region zeigt 1939 eine Frau mit Bollenhut. Nach dem Krieg betörte Sonja Ziemann als Schwarzwaldmädel im gleichnamigen Film die Herzen des Kinopublikums. Und natürlich durfte der Bollenhut auch bei Dr. Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“ nicht fehlen. Der Hut prangt auf Ferienkatalogen und Unterkunftsverzeichnissen. Die Ungenauigkeit, dass er nur in drei kleinen Gemeinden getragen wird, nimmt man offenbar gerne in Kauf – im Tausch gegen seine enorme Popularität. Die bekam 1974 auch Gabriele Aberle in den USA zu spüren. Dort wusste man genau, dass sie aus Deutschland kam, als sie den Hut ihrer Heimat erwähnte.

Die Frauen müssen mit dem Hut laufen lernen

Bleibt noch, mit einem Irrtum aufzuräumen. Der Name führt in die Irre. Der Verwandte des Strohhuts ist nämlich kein bisschen ungeschlacht. Er erzwingt von seiner Trägerin vielmehr eine Anmut, wie sie sonst nur afrikanische Frauen beim Jonglieren eines Wasserkrugs an den Tag legen. „Die Konfirmandinnen müssen erst das Laufen mit ihm lernen“, sagt Aberle.

Knapp zwei Kilo Hut fordern ihren Tribut. „Weil die Bollen immer größer geworden sind, musste auch der Hut größer und stabiler werden“, erklärt seine Schöpferin. Den Bauern im Schwarzwald ging es Anfang des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich besser. Da mussten auch die Hüte der Töchter und Gattinnen größer und schwerer werden, um von der Prosperität ihrer Trägerinnen zu künden. Der Preis für die Angeberei der Männer: fällt der Hut seiner Trägerin vom Kopf, zerbricht er. Man muss also sorgsam mit ihm umgehen. Auch wenn sein Name das nicht vermuten lässt. Das Tragen eines Bollenhutes ist eine durchaus filigrane Angelegenheit. Eigentlich.