Die Berliner Band Bonaparte spielt im LKA ein Konzert zwischen Punkrock und Deutschlandfunk. Aus dem zirkushaften Hauptstadtact sind stilsichere Teilnehmer des Popdiskurses geworden. Langweilig? Nee, weil Wodka und nackte Brüste gibt es trotzdem.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Als die Berliner Band Bonaparte anno 2008 zum ersten und ein Jahr später zum zweiten Mal nach Stuttgart kam, war sie eine Attraktion. Der Sound: völlig verroht. Die Bühnenshow: absolut gaga, stellenweise mit mehr „Tänzern“ als Musikern, die erst mit Tiermasken und am Ende des Konzerts nur mit Uralt-Unterhosen über die längst zerstörte Bühne hüpften.

 

2014 ist man dergleichen nicht nur dank pandamaskierter Rapper längst gewohnt. Und Bonaparte, die sich mit den Shows ihrer ersten Tourneen einen Ruf als besonders wilde Livetruppe erspielt haben, müssen ihren Besuch in Stuttgart anders rechtfertigen und bestreiten.

Im LKA tritt die Truppe um den Schweizer Tobias Jundt am Dienstagabend sozusagen in reduzierter Besetzung an: Neben dem Sänger, Schreihals und Gitarristen Jundt ein Schlagzeuger, ein Keyboarder (der auch die tiefen Frequenzen bedient) und zwei Tänzer in songweise wechselnden Kostümen. Das Chaos auf der Bühne hat einer perfekt choreografierten Rockshow Platz gemacht, der Sound ist glasklar. Also nur noch ein braver Abklatsch früherer Exzesse?

Grell wie ein Warhol-Gemälde

Von ihrer Ästhetik her sind Bonaparte natürlich immer noch Trash: die beiden Tänzerinnen tragen collagenhaft zusammengestückelte Kostüme, die Bühnenbeleuchtung lässt Tobias Jundts gelb gefärbte Haare so neongrell leuchten wie ein Warhol-Gemälde, die Musik ist grad dahingeworfen, wie sie aus dem Verzerrer herauskommt.

Aber es ist ein kohärentes Programm, das die Band bietet: den 2008 definierten Stil haben sie durchgehalten und verfeinert. Bonaparte trauen sich nackte expressionistische Songs, die fast an Techno erinnern: ein rauer Beat, dazu Tobias Jundts Gesang und reduzierte Harmonien. Mit der letzten Single „Into the Wild“ hat die Band das vorgemacht, aber es geht noch extremer, zum Beispiel im Song „Mañana forever“, der im LKA besonders reduziert vorgetragen wird. Das Publikum übt sich darauf im Crowdsurfing; Frontmann Jundt, der Profi-Crowdsurfer, macht mit und zeigt den Kids, wie man sich besonders elegant auf tausend Zuhörerhänden durch die Konzerthalle tragen lässt.

Wenigstens thematisiert das mal jemand

Mit ihren Songs greifen Bonaparte seit jeher gesellschaftliche Aktualia auf. Das war mit „Anti Anti“ schon so, wo – wenn auch wenig umstürzlerisch – eine „Dagegenhaltung“ jenes neuen urbanen Proletariats formuliert wurde, das sich ausgerechnet in Bonapartes Heimat Berlin in großer Menge findet. Die Band hat das bis heute durchgehalten, 2014 singt man eben ironisch über Selfies und stellt am Anfang und Ende des Konzerts halbtransparente Spiegel zwischen Band und Publikum, damit die Zuhörer sowohl sich sehen als auch Bonaparte.

Das ist nur halb subversiv und eine wirkliche, radikal-künstlerische Kritik der herrschenden Zustände sähe anders aus. Aber zumindest thematisiert das mal irgendjemand, zumal auf einleuchtend-originelle Weise: Willkommen im Selfieland, und, wie gefallen wir uns heute? Und eine schöne Videoaktion hat die Band auch gleich gestartet. Ja, der popmusikalische Beitrag zum kritischen Diskurs über gesellschaftliche Themen darf auch für Leute zugänglich sein, die sich das Gesamtwerk der Frankfurter Schule bislang nicht erschlossen haben. Und die Selfie-Nummer ist auch eine lustige Persiflage auf das unter Bands um sich greifende Phänomen, sich nach dem Konzert völlig verschwitzt und mit den selbstredend enthusiastischen Zuhörern im Hintergrund ablichten zu lassen.

Mit Wodka besprüht

Mit ihrem derart gelagerten Programm schaffen es Bonaparte in den Deutschlandfunk und andere Feuilletons. Das Stuttgarter LKA kriegen sie nur halb voll, dafür aber mit einem besonders angenehmen Publikum: altersmäßig gut durchmischt, Feuilleton-Hörer und solche, die sich gern von der Bühne herab mit Wodka und, ganz am Ende, Schaumwein besprühen lassen.

Denn, und das muss man sich als Zuhörer bei aller in den vergangenen Jahren antrainierten Abgeklärtheit schon vor Augen führen, es wird ja alles andere als ein Normalkonzert geboten. Tobias Jundt spielt und schreit hüpfend, liegend, mit dem Publikum schmusend; die Band säuft Wodka aus der Flasche und die Tänzerinnen tragen für alle sichtbar keinen BH unter ihren zerfetzten Leibchen.

Der Berlin-Export

In dieser charmanten Kaputtheit sind Bonaparte ein Kulturexport, und zwar einer aus jenem Berlin der Nullerjahre, das dieses Rohe, Demolierte, explizit Sexualisierte zum neuen Chic (und wiederum zum künstlerischen Ausdruck) erhoben hat.

Wenn das alles mal als Hauptstadt-Rockspektakel für die brave Provinzjugend gedacht war, ist es in der über Jahre durchgehaltenen, routinierten Exzesshaftigkeit schon wieder eine Kritik an diesem Immer-mehr, das auch Bands im Indie-Bereich bei ihrem Showprogramm zunehmend bieten oder meinen bieten zu müssen. Und natürlich vollziehen Bonaparte auch eine Absetzbewegung vom polierten Hochglanz-Poprock, der in den Achtzigern mal ironisch auf die Spitze getrieben wurde, der heute aber in Form eines neuen Schlagers als harmloses Entertainment für die breite Masse allgegenwärtig ist.

Das alles steckt in diesem sehenswerten Konzert, das am Ende irgendwo zwischen Deutschlandfunk und Punk einzuordnen ist. Oder ist das alles eh schon eins?

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