Schon Robert Bosch hat nach Geschäftsfeldern jenseits des Autogeschäfts gesucht - nicht nur mit Erfolg. Auch heute schaut man über den Tellerrand.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Was tut Bosch, um seine Abhängigkeit vom Auto zu verringern?" So oder so ähnlich lautet eine Standardfrage bei den Bilanzpressekonferenzen des weltgrößten Automobilzulieferers. Denn die Autoindustrie spürt Konjunkturschwankungen schneller und stärker als viele andere Branchen. Wie heftig es in diesem Geschäft auf und ab gehen kann, hat die zurückliegende Krise in aller Deutlichkeit gezeigt. Es gibt also viele Argumente, die dafür sprechen, nicht nur auf den Automobilsektor zu setzen. Bosch hat deshalb schon früh nach anderen Geschäftsfeldern gesucht. Trotzdem entfielen auch 2010 wieder fast 60 Prozent des Konzernumsatzes auf diese Sparte.

 

Eines der neueren Beispiel für die Strategie der "fokussierten Diversifizierung" (Konzernchef Franz Fehrenbach) sind die dunkelblau schimmernden Fotovoltaikmodule, die in der Bosch-Forschungsabteilung in Gerlingen an der Wand hängen. Dort arbeiten Wissenschaftler wie Jochen Feichtinger heute schon an der übernächsten Generation von Solarzellen. "Klar ist, dass die Kosten pro Kilowattstunde weiter sinken müssen", sagt der Projektleiter Fotovoltaik. Erreicht werden könnte dieses Ziel beispielsweise durch sogenannte Dünnschicht-Solarzellen, die zwar einen etwas niedrigeren Wirkungsgrad haben, aber dafür erheblich kostengünstiger produziert werden können.

Siliziumschicht

Dazu muss auf Glasplatten eine zwei Millionstelmeter dünne Siliziumschicht aufgetragen werden. Die Schicht ist etwa 30 mal dünner als ein menschliches Haar und 100 mal dünner als bei den heute üblichen monokristallinen Zellen. Für Bosch kein Problem, meint Feichtinger. Beschichtungstechnik sei schon lange eine Kernkompetenz des Unternehmens. So werden etwa in Einspritzpumpen und Injektoren für Dieselmotoren dünne Verschleißschutzschichten aus diamantähnlichen Kohlenstoffen eingesetzt. Sie bewirken, dass stark beanspruchte Bauteile trotz der enormen Drücke von 2000 bar und mehr nicht so schnell den Geist aufgeben. Natürlich denke man bei Bosch auch darüber nach, nicht nur Hausdächer, sondern auch Elektroautos mit Solarmodulen zu bestücken, um ihre Reichweite zu verbessern, sagt der Entwickler. Mehr als 20 Extrakilometer seien aber so kaum rauszuholen, schätzt Feichtinger. Schwerpunkt dürfte daher die Solarstromproduktion in und an Gebäuden bleiben.

Dass Bosch diesen Markt bereits vor der offiziell verkündeten Energiewende für aussichtsreich gehalten hat, belegt auch die Übernahme der ostdeutschen Firma Ersol im Jahr 2008, die heute unter Bosch Solar Energy firmiert. Am Firmensitz in Erfurt wurde kürzlich eine neue Produktionsanlage für eine halbe Milliarde Euro in Betrieb genommen.

Automobilgeschäft im Vordergrund

Wie sich verschiedene Geschäftsfelder wechselseitig befruchten können, zeigt auch die Halbleitersparte von Bosch. Auch hier stand zunächst das Automobilgeschäft im Vordergrund. Für moderne Motorsteuerungen oder elektronische Fahrhilfen wie das Antiblockiersystem ABS und das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP braucht es immer komplexere elektronische Bauteile, wie sie seit 1971 im Bosch-Werk Reutlingen produziert werden. Dazu gehören Sensoren auf Halbleiterbasis, die in Sekundenbruchteilen registrieren, ob ein Fahrzeug ins Schleudern zu geraten droht. Die Messdaten werden in Echtzeit an die ESP-Steuerung gemeldet, die dem drohenden Malheur durch gezieltes Abbremsen einzelner Räder entgegenwirkt.

Die Hightechmessgeräte - die unter dem Mikroskop den Sinneszellen im menschlichen Gleichgewichtsorgan ähneln - eignen sich aber auch für ein ganz anderes Einsatzgebiet: Sie registrieren, wie herum der Besitzer eines Smartphones das Gerät hält und passen die Darstellung auf dem Bildschirm entsprechend an. Sie schaffen es auch, die Festplatte eines Notebooks, das vom Tisch fällt, noch vor dem Aufprall auf dem Boden zu arretieren, um sie vor Beschädigungen zu schützen.

Die Unterhaltungselektronik wächst

Dabei wächst der Anteil der Bauteile für die Unterhaltungselektronik überproportional, wie Matthias Müller, Bereichsleiter im Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung erläutert. Die Abnehmer sitzen meist in Asien, wo große Hersteller wie Apple produzieren. Bei sogenannten MEMS-Sensoren (die Abkürzung steht für Micro Electro Mechanical System) ist Bosch nach eigenen Angaben Marktführer und hat bisher gut 1,6 Milliarden Bauelemente produziert. Jährlich sind das derzeit rund 400 Millionen Stück.

Auch in der Batterietechnik, die Bosch im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens mit Samsung vorantreibt, ergeben sich Berührungspunkte zwischen den Geschäftsfeldern. Ulrich Alkemade hält in der Gerlinger Forschungsabteilung eine gut daumengroße, hellrosa Batteriezelle in die Höhe. "Das ist eine 2-Amperestunden-Lithium-Inonen-Zelle", erklärt der Projektleiter. Eine davon reicht beispielsweise, um den kleinsten Bosch-Akkuschrauber anzutreiben. Für ein Elektrofahrrad sind 40 und für den Tesla-Roadster knapp 7000 solcher Zellen erforderlich. Und auch die intelligente Steuerung der entsprechenden Antriebe wirft trotz der unterschiedlichen Einsatzgebiete ganz ähnliche Fragen auf.

Neue Geschäftsfelder

Die Suche nach neuen Geschäftsfeldern trieb bereits den Unternehmensgründer Robert Bosch um. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts lag der Umsatzanteil des Autogeschäfts sogar fast bei 100 Prozent. Wesentlich dazu beigetragen hatten der Hochspannungsmagnetzünder und die Zündkerze, die den bisherigen Zündsystemen für Verbrennungsmotoren haushoch überlegen waren. Trotz der internationalen Erfolge als Autozulieferer - das Sortiment wurde nach und nach um Hupen, Batterien, Bremsen, Scheibenwischer, Winker und weiteres Zubehör erweitert - habe sich Robert Bosch bereits damals die Frage gestellt: "Was mache ich mit meinen Leuten, wenn dieses Geschäft mal nicht mehr so gut läuft?", erzählt ein Konzernsprecher.

Tatsächlich gab es Mitte der 1920er Jahre eine weltweite Autokrise. Die Bosch-Chronik berichtet von einem Umsatzeinbruch um 35 Prozent, von Entlassungen und Kurzarbeit. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung schrieb Robert Bosch im Jahr 1927: "Wir selber suchen möglichst von den Automobilsachen wegzukommen oder, genauer gesagt, noch andere Eisen ins Feuer zu kriegen". Ein Gedanke, der mit Firmenübernahmen und neuen Produkten rasch in die Tat umgesetzt wurde.

Haarschneidemaschine Forfex

Eines von vielen Ergebnissen dieser strategischen Überlegungen war die elektrische Haarschneidemaschine Forfex, die 1928 auf den Markt kam und damals das erste Elektrowerkzeug mit dem Motor im Handgriff war. Dieses vorteilhafte Konstruktionsprinzip ist heute noch Stand der Technik - vom kleinen Akkuschrauber über Bohrmaschinen und Bohrhämmer bis hin zu elektrischen Heckenscheren. Zur Verbreiterung des Sortiments trugen auch die Übernahme des Gasthermenspezialisten Junkers (1932) oder der erste Bosch-Kühlschrank bei, der 1933 auf den Markt kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Not bisweilen recht kuriose Bosch-Produkte hervor. Im Werk Feuerbach seien aus Stahlhelmen Kochtöpfe gefertigt worden, dazu Taschenschirme, Elektrorasierer und sogar Spätzlespressen, berichten die unternehmensinternen Geschichtsschreiber.

Bei der Diversifizierung ging und gehe es in erster Linie um die Frage, auf welchen neuen Feldern sich Bosch-Technologien sinnvoll einsetzen lassen, erläutert Entwickler Müller. "Wir werden sicher nicht in die Nahrungsmittelproduktion einsteigen." Grundsätzlich interessant seien dagegen alle Anwendungsgebiete, die mit "Messen, Steuern und Regeln" zu tun haben, heißt es bei Bosch. Dabei spielt Software als Querschnittstechnologie eine immer wichtigere Rolle - ganz gleich, ob es darum geht, Motoren sauberer, Waschmaschinen energieeffizienter oder öffentliche Plätze per Videokamera zu überwachen. Lösungen für solche Probleme entwickelt das konzerneigene Systemhaus Bosch Software Innovations mit Sitz in Waiblingen und Immenstaad, dessen Mitarbeiterzahl durch die Übernahme der Berliner Softwarefirma Inubit kürzlich auf rund 440 gewachsen ist.

Vernetzung von Haus und Auto

Neue Geschäfte erhofft sich Bosch auch von der fortschreitenden Vernetzung von Haus und Auto - im Fachjargon auch das "Internet der Dinge" genannt. So soll Software aus dem Hause Bosch künftig etwa dabei helfen, den Strom abzurechnen, den Elektroautos künftig an einer beliebigen Stromtankstelle aus dem Netz ziehen. Auch in der Telemedizin will Bosch weiter wachsen. So betreibt der Konzern in den USA bereits heute ein Gesundheitsnetz, das die Fernbetreuung von mehr als 30 000 Patienten via Internet erlaubt - inklusive der täglichen Übertragung wichtiger Daten wie Gewicht, Blutdruck oder Pulsfrequenz. Rund 200 Millionen Euro Umsatz dürften derzeit auf solche digitalen Dienstleistungen entfallen, schätzt ein Bosch-Sprecher. Gemessen am Gesamtumsatz ist das nicht viel, aber in einigen Jahren könnte das schon ganz anders aussehen.

"Wir bei Bosch denken langfristig und versuchen heute schon die Entwicklungen von morgen vorherzusehen", sagt ein Mitarbeiter. In einem Stiftungsunternehmen, das nicht an Quartalsberichten gemessen wird, fällt das naturgemäß leichter. Um Ideen aus den unzähligen Abteilungen des weit verzweigten Unternehmens zusammenzutragen, gibt es interdisziplinäre Treffen, konzernweite Ideenbörsen und Intranet-Foren. Wer Neues versucht, kann natürlich auch mal danebenliegen. So entpuppte sich der Ausflug von Bosch in die Mobilfunk- und Nachrichtentechnik als wenig erfolgreich. Ende der 1990er Jahre stieg der Konzern deshalb aus diesem Geschäft aus.

Für die Zukunft haben die Bosch-Oberen vier sogenannte Megatrends identifiziert. Erstens: Energie - mit dem Schwerpunkt auf regenerativen Energiequellen. Zweitens: Sicherheit. Drittens: Komfort - hierzu zählen beispielsweise neue Technologien zur digitalen Vernetzung des Alltags und - viertens - Mobilität. Mit anderen Worten: auch 69 Jahre nach dem Tod des Firmengründers sieht es nicht so aus, als ob Bosch so leicht von den "Automobilsachen" wegkäme.