Bosch sieht im Silicon Valley mehr Chancen als Bedrohung durch Start-ups und Tech-Giganten. Der Autozulieferer macht deutlich, wie die Konzerne versuchen, die Bedrohung in Chancen zu verwandeln und nutzbar zu machen.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

San Francisco / Palo Alto - Die Zukunft sieht aus wie ein Landratsamt aus den Achtzigern: Braune Wände, flackerndes Neonlicht, schlappe Grünpflanzen, muffige Luft. Nur das Bild vom Besuch des Noch-Präsidenten Barack Obama an der Wand deutet darauf hin, dass dieser Ort in Sunnyvale im Silicon Valley nicht viel gemein hat mit einer Behörde. Es gibt tatsächlich kaum eine Insitution, die mehr Start-ups mit revolutionären Geschäftsmodellen von der Firmengründung bis zur Marktreife verhilft als Plug and Play. Und immer mehr deutsche Großkonzerne wie Bosch wollen Teil dieses sogenannten Start-up Accelerators werden, der Investoren und Gründer zusammenbringt und jungen Firmen auf dem Weg zum Markteintritt hilft.

 

Täglich wachsen im Silicon Valley neue Internetfirmen heran. Nirgends sonst auf der Welt fließt so viel Geld in junge Unternehmen, die im Zeitalter der Digitalisierung kontinuierlich die etablierten Geschäftsmodelle deutscher Großkonzerne angreifen. Das Beispiel Google zeigt, wohin das führen kann. Die Google-Mutter Alphabet bringt es mit ihren rund 60 000 Mitarbeitern auf einen Börsenwert von über 500 Milliarden Euro. Das ist sieben Mal mehr als der Börsenwert des Daimler-Konzerns, der mehr als 280 000 Menschen beschäftigt. Und die Tech-Giganten ruhen nicht. Alphabet steckt mit mehr als 12 Milliarden Euro so viel Geld in Forschung und Entwicklung wie Nordrhein-Westfalen.

Bosch macht deutlich, wie die Konzerne versuchen, die Bedrohung in Chancen zu verwandeln und nutzbar zu machen. Sie dringen ins Herz des Silicon Valleys vor und versuchen es zu verstehen: Durch Beteiligungen an und Übernahmen von Start-ups, durch Forschungszentren und Kooperationen mit Elite-Unis wie Stanford.

Das Silicon Valley gilt bei manchen als Ballermann der Tech-Branche

Candace Widdoes ist blond, jung, trägt eine Nerd-Brille und eine große Teetasse in der Hand. Als so genannter Chief Operating Officer (COO) ist die Mitgründerin des Accelerators heute zuständig für das operative Geschäft bei Plug and Play Tech Center. Routiniert führt sie durch das Gebäude im Landratsamtstil. Solche Führungen macht sie ständig. Nicht umsonst wird das Silicon Valley inzwischen scherzhaft als Ballermann der Tech-Branche bezeichnet: Täglich pilgern Politiker und Manager aus der ganzen Welt durchs Valley. Manche gehen wieder, viele bleiben. Der große Stundenplan, vor dem Candace Widdoes Halt macht, gibt einen Eindruck davon.

Am Montag hört sich Tengelmann die Vorstellung von Start-ups an, die für das Einzelhandelsunternehmen als Investitionsmöglichkeit oder Kooperationspartner interessant sein könnten. Am Dienstag ist der Konsumgüterhersteller Henkel dran, ist dem Plan zu entnehmen, und der Energiekonzern Eon am Mittwoch. Daimler hat gleich zwei Termine mit Start-ups: Am Mittwoch und am Donnerstag. Insgesamt sind mehr als 15 deutsche Firmen und rund 6000 Start-ups bei Plug and Play aktiv. In Deutschland ist der Acclerator an zweimal vetreten: Berlin und Stuttgart. Daimler arbeitet hier beim Innovationsprojekt Start-up Autobahn mit Plug and Play zusammen.

Auch Bosch ist mit seiner Gesellschaft für riskante Investitionen Mitglied bei Plug and Play. „Wir investieren nicht, wenn es sich finanziell nicht für uns lohnt“, sagt Luis Llovera, der Direktor von Robert Bosch Venture Capital (RBVC) in Nordamerika. „Vor allem aber wollen wir über unsere Investitionen Zugang zu den Technologien der Start-ups, deren Märkten und wir wollen ausloten, welche Geschäftsmöglichkeiten es dort für Bosch gibt.“ Um nicht den Anschluss zu verpassen, ist RBVC in Stuttgart, Tel Aviv und Palo Alto vertreten. „Ganz neu ist, dass wir auch einen Standort in China aufmachen wollen“, sagt Llovera.

Das Silicon Valley ist dabei Pflichtprogramm. Von einem Nachlassen der Innovationskraft kann Llovera nichts erkennen: „Das Silicon Valley ist ein einzigartiger Standort, der bislang an keinem Ort der Welt nachgemacht werden konnte.“ Nur dort gebe es dieses Ökosystem aus Gründern, Forschungszentren, Unis, Banken, Investoren und Beratern, das für Innovationen und die Entwicklung von Start-ups wie ein Katalysator wirkt.

Immer mehr Firmen aus Baden-Württemberg gründen Wagniskapitalgesellschaften

Nach Angaben des amerikanischen Forschungsunternehmen Pitch Book Data haben Risikokapitalgeber 2015 im Rahmen von fast 2000 Deals insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro ins Silicon Valley gesteckt. Zum Vergleich: Für Deutschland, die Schweiz und Österreich zusammen kommt die Studie auf lediglich 3,6 Milliarden Euro und 374 Deals. Überall strecken die Büros der Risikokapitalgesellschaft von Bosch die Fühler aus und holen die besten Ideen in den Konzern. Ein guter Fang ist das Start-up Aimotive, das neue, günstigere Lösungen für autonomes Fahren entwickelt, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Insgesamt hat Bosch über seine Venture-Capital-Gesellschaft bisher 420 Millionen Euro in junge Technologiefirmen gesteckt. Beteiligt ist das Unternehmen derzeit an 30 Start-ups, wobei Bosch keine Beteiligung von mehr als 25 Prozent anstrebt.

Das Durchschnittsinvestment liegt bei zwei bis drei Millionen Euro pro Start-up. „Wir investieren aber nicht nur in Start-ups, sondern auch in andere Wagniskapitalfonds wie etwa Sierra Ventures hier im Silicon Valley“, sagt Llovera. „Wir wollen Wissen darüber erlangen, welche Deals anderen Risikokapitalgebern angeboten werden und welche sie annehmen.“

Bosch, Mahle, Trumpf, EnBW – in den vergangenen Jahren haben immer mehr Unternehmen auch aus Baden-Württemberg solche Wagniskapitalgesellschaften gegründet – es sind eine Art Frühwarnsysteme für neue Modelle, welche das bisherige Geschäft radikal umkrempeln könnten.

Draußen auf der Straße ist der amerikanische Passant begeistert als er den Namen Bosch hört. „Mein Geschirrspüler ist von Bosch“, ruft er den Mitarbeitern des Technologiekonzerns aus Deutschland zu und rühmt sodann die lange Lebensdauer des Geräts. Falls die Bosch-Mitarbeiter denken, dass herkömmliche Geschirrspüler eigentlich von vorgestern sind und dass sie daran arbeiten, dass der Passant über sein Smartphone mit seinem Geschirrspüler kommunizieren kann, lassen sie es sich zumindest nicht anmerken. „Great“ und „fantastic“ sagen sie stattdessen. Das Beispiel zeigt das Dilemma von Bosch. Internetkonzerne? Das sind für die Menschen aus dem Silicon Valley die Firmen vor ihrer Haustür: Facebook, Google, Apple – aber Bosch?

Dabei hat Bosch-Chef Volkmar Denner längst den Wandel zu einem wendigen Digitalunternehmen eingeleitet. Seine Ingenieure haben die Ansage, kein Produkt mehr zu entwickeln, das nicht mit dem Internet verbunden werden kann. Internet der Dinge heißt die Zauberformel. Sie meint, dass künftig alle Geräte, die dem Menschen im Alltag begegnen, Daten sammeln über ihren Benutzer und sich über das Internet miteinander austauschen.

In einem Teil von San Francisco entsteht eine intelligente Stadt

In San Francisco Shipyard, einem ehemaligen Militärgelände in San Francisco, baut Bosch gerade als Technologiepartner an der Stadt der Zukunft. Insgesamt 12 000 Wohnungen und Häuser sollen dort entstehen, alle vernetzt – sodass die Bewohner über ihr Smartphone oder ihr Auto in der Zukunft von unterwegs den Postenboten ins Haus lassen und kurz vor Feierabend schon mal die Heizung aufdrehen können, über die besten Transportmöglichkeiten, freie Parkplätze potenzielle Sicherheitsrisiken informiert werden können. Die Daten, die sie senden, helfen der Stadtverwaltung den Verkehr, das Parkraummanagement oder die Energieversorgung zu optimieren.

Ein demoliertes Google-Auto kreuzt die Straße in San Francisco – und keiner dreht sich danach um. Im Silicon Valley sind die weißen Autos mit dem kuppelförmigen Radarsensor auf dem Dach nichts Besonderes. Argwöhnisch beäugt von der deutschen Autoindustrie hat Google eine Flotte selbstfahrender Autos zu Testzwecken auf die Straße gebracht. Vernetzt, autonom und elektrifiziert – so sehen die Autopioniere aus dem Silicon Valley die Mobilität der Zukunft. Und während Teile der deutschen Industrie sich noch mit dem Bedrohungspotenzial von Google, Tesla oder auch Apple auseinandersetzen, hat Bosch die sogenannten Frenemies (eine Mischung aus Freund und Feind) zu seinen Kunden gemacht. Radarsensoren, Elektromotoren und Leistungselektronik der Google-Flotte kommen von Bosch. Auch Tesla wird beliefert.

Die neue Version des Tesla-Autopiloten baut angeblich stark auf der Technik des Model S auf, das als Testfahrzeug in der Garage des Technologiezentrums von Bosch in Palo Alto steht. Dort arbeitet auch das Team des Bosch-Ingenieurs Sungbae Park an der wohl wichtigsten Zukunftsfrage für die Elektromobilität: Wie können Batterien bei weniger Gewicht, niedrigerer Ladezeit und geringeren Kosten höhere Reichweiten erzielen. Bosch hat sich vorgenommen bis 2020 die Energiedichte von Batterien zu verdoppeln und den Preis zu halbieren. Das wäre eine Revolution.

Und weil jede technische Revolution Menschen braucht, die sie ausführt, arbeitet Bosch mit der Stanford Universität zusammen – und hat sich somit an eine weitere Säule angedockt, von der die Innovationskraft des Valleys maßgeblich abhängt. Bosch kooperiert vielfach mit der Eliteuni: Derzeit laufen etwa Gemeinschaftprojekte in mehreren Bereichen der Sensorenentwicklung. Fast 16 000 junge Menschen studieren an der Uni derzeit. Jedes Jahr strömen neue Talente ins Silicon Valley und sorgen für Innovationen – und neue Bedrohungen für die etablierte Wirtschaft.