Seit 77 Jahren musizieren Bosch-Mitarbeiter in einem eigenen Orchester. Sie treten auch auf den diesjährigen Jubiläumsveranstaltungen auf.

Gerlingen - Ulrich Walddörfer ist nicht aus der Ruhe zu bringen. "Wir werden immer besser", lobt der Dirigent die Musiker des Bosch-Orchesters. Das Aber folgt auf der Stelle: "Wo wir noch besser werden können, ist bei den Sechzehntelnoten. Da haben wir unterschiedliche Vorstellungen von der Notenlänge." Die Drängler fühlen sich gleich angesprochen. Der zweite Versuch klappt. Es ist Freitagabend, 18 Uhr.

 

Auf der Schillerhöhe in Gerlingen, dem Firmensitz von Bosch, beginnt die wöchentliche Probe. Eine harte Arbeitswoche liegt hinter den Musikern, in der sie Software entwickelt oder sich mit rechtlichen Problemen beschäftigt haben. Jetzt packen sie Geigen, Bratschen, Celli Klarinetten, Hörner und Flöten aus.

An diesen Abend ist Generalprobe. Am nächsten Tag steht ein Konzert in Bamberg auf dem Programm. Gespielt werden unter anderem Werke des britischen Komponisten Edward Elgar ("Pomp and Circumstance") und des Österreichers Johann Strauß ("Tritsch-Tratsch-Polka"). Von Aufregung ist während der Probe wenig zu spüren, die Atmosphäre ist entspannt, es wird gelacht, dennoch geht es diszipliniert zu. Auch wenn Walddörfer, der unter anderem an der Hochschule der Künste in Berlin Dirigieren studiert hat, an der einen oder anderen Stelle krittelt, so ist der Dirigent doch sehr zufrieden mit den Leistungen seiner Musiker.

Repräsentatives Orchester

Kann er auch. 2011 ist zwar noch lange nicht vorüber, es wird dennoch als ein besonders erfolgreiches Jahr in die Geschichte des Orchesters eingehen. Und das hat vor allem mit dem Doppeljubiläum des weltgrößten Autozulieferers zu tun. Zwei Auftritte vor ganz großem Publikum liegen hinter dem Orchester - im Februar das Jubiläumskonzert in der Stuttgarter Liederhalle, drei Monate später die Gala mit 2000 geladenen Gästen - darunter Bundespräsident Christian Wulff und Ministerpräsident Winfried Kretschmann - in der neuen Messe in Stuttgart. Maßgeblich hat das Bosch-Orchester das Programm gestaltet - was Bosch-Chef Franz Fehrenbach von Beginn an unterstützt hat, was der Geschäftsführung aber dennoch die eine oder andere schlaflose Nacht bereitet haben dürfte. "Schafft ihr das auch" - solche besorgten Fragen seien im Vorfeld der Großereignisse schon mal an die Musiker herangetragen worden, ist zu hören. Und das hat nicht nur mit der Sinfonie zu tun, die speziell für das Jubiläum geschrieben wurde.

Dass ein Firmenchef vor einem solchen Großereignis unruhig werden kann, ist nachvollziehbar. Schließlich soll das Unternehmen glänzen - sich der Öffentlichkeit im besten Licht präsentieren. Und der Chef verlässt sich dabei auf ein Amateurorchester? Konzerne wie der Stuttgarter Autobauer Daimler und die Walldorfer Softwareschmiede SAP unterhalten natürlich auch eigene Orchester. Doch wenn es besonders wichtig wird, müssen Profis ran - oder die eigenen Orchesterreihen werden zumindest mit Profimusikern (auf)gefüllt.

Keine Profis im Orchester von Bosch

Bei Bosch ist es anders. Es war klar, dass das eigene Orchester auftritt - "weil man mit uns auch wirklich repräsentieren kann", sagt Uwe Schneider, der Sprecher des Bosch-Orchesters. "Das spricht für ein besonderes Verständnis innerhalb der Geschäftsführung", fügt Schneider, der Elektrotechnik studiert und heute in der Zentralabteilung Lizenzen für Elektro- und Hybridfahrzeuge verhandelt, hinzu. Das Besondere: bei Bosch spielen fast ausschließlich die eigenen Mitarbeiter, Angehörige und Freunde. Profis zu engagieren, wie dies andere Firmen tun, passe nicht zur Firmenkultur. Aber manchmal geht es auch bei Bosch nicht ohne professionelle Hilfe - etwa wenn der Schlagzeuger, ein quasisolistisches Instrument im Orchester - eine besonders schwierige Passage zu bewältigen hat. Das Bosch-Orchester mit seinen 70 Freizeitmusikern - der Älteste ist ein Bosch-Rentner, der schon 50 Jahre am Cello sitzt - hat viel Lob für seine Leistungen rund um das Doppeljubiläum eingeheimst. Es war nicht der erste große Auftritt. 77 Jahre ist das Bosch-Orchester alt. Vor 75 Jahren gab es auch einen großen Auftritt (gemeinsam mit dem firmeneigenen Chor) - anlässlich des damaligen 75-jährigen Geburtstages des Firmengründers Robert Bosch.

Seit seiner Gründung hat das Orchester Höhen und Tiefen erlebt. Es habe auch Zerwürfnisse gegeben, erzählt der Geiger Schneider. Ein Tiefpunkt liegt 20 Jahre zurück, damals sei das Orchester "ziemlich abgewirtschaftet" gewesen. Es spielten vielleicht noch 20 oder 30 Mitarbeiter. Dann kam Ulrich Walddörfer. "Das Niveau, auf dem wir jetzt spielen, haben wir vielleicht seit zehn Jahren", sagt Schneider stolz. "Gehobenes Amateurniveau" habe man, wertet Schneider, der auf 35 Jahre Orchestererfahrung zurückblicken kann.

Und seit sie so gut spielen, erhalten sie Einladungen von den Bosch-Standorten im In- und Ausland. Dort werden die Konzerte organisiert. Die Standorte machen daraus ein Event - und präsentieren sich selbst. Etwa zehn Auftritte absolvieren die Hobbymusiker pro Jahr - im In- und Ausland. Mehr sei nicht zu schaffen, so Schneider. Schließlich sollen die Musiker nicht nur musizieren, sondern ihrem Job nachgehen - die tägliche Arbeit, Besprechungen oder Dienstreisen hätten immer Vorrang. Deshalb sind auch nicht immer alle Musiker bei einer Probe anwesend. Und manchmal ist es einfach eine Frage der Wegstrecke. Einer der Tubaspieler reist aus Bamberg an.

"Wir spielen immer für einen guten Zweck"

Als Lohn für die Musiker locken vielversprechende Reiseziele: Österreich, Ungarn, England, Spanien, Italien, Tschechien - ja sogar Asien und Australien standen auf dem Programm. Und wer jetzt denkt, gespielt wird ausschließlich in leer geräumten Werkshallen oder Kantinen, der irrt. In Prag etwa war der Auftritt in einer schönen Kirche, im australischen Sydney war es sogar in dem weltberühmten Opernhaus, von der Unesco geadelt - und heute Wahrzeichen der Stadt.

Die Geschäftsführung sei stolz auf die Leistungen des Orchesters, ist zu hören. Dafür gibt es auch viele Belege. Der Sonderurlaub gehört etwa dazu. Bei den meist einwöchigen Auslandskonzertreisen werden dem Bosch-Mitarbeiter "nur" zwei Tage vom eigenen Urlaubskonto abgezogen; drei Tage spendiert das Unternehmen. Auch die finanzielle Unterstützung scheint großzügig.

Wie großzügig, sagt Schneider zwar nicht, aber das Geld aus der Konzernkasse reiche aus, um Noten, den Dirigenten und den einen oder anderen Profi zu finanzieren. Einen Teil der Kosten tragen zudem die Standorte, wo die Konzerte stattfinden. Die Hobbymusiker selbst kommen für die Anreise und ein Besichtigungsprogramm auf. Eintrittsgelder kann das Orchester auf der Habenseite nicht verbuchen. "Wir spielen immer für einen guten Zweck", so Schneider. Auch das sei eine Frage der Unternehmenskultur.

Das Orchester versteht sich als eine Art "Kulturbotschafter". Soll heißen: die Musiker bringen ein Stück Bosch-Kultur an die Standorte. Und manchmal werden sie gar zu wahren Türöffnern. Es ist schon vorgekommen, dass die Musik komplizierte Bürokratie entwirrt hat. Nach einem Konzert mit beschwingten Rhythmen hat der ein oder andere Kommunalpolitiker denn seine Unterschrift recht schwungvoll unter ein bis dahin umstrittenes Projekt gesetzt, ist zu hören.

400 Freizeitgruppen in Deutschland

Angebote Bosch-Mitarbeiter können auch ihre Freizeit quasi im Unternehmen verbringen. Rund 400 Freizeitgruppen, die insgesamt 7500 Mitglieder zählen, gibt es allein in Deutschland. Sie beschäftigen sich mit Kunst, Sport und Musik beschäftigen - mit (finanzieller) Unterstützung des Autozulieferers. Die gemeinsamen Aktivitäten sollen den Teamgedanken unter den Mitarbeitern fördern und die Identifikation und damit die Bindung an das Unternehmen erhöhen. Aber es geht dabei auch um gesundheitliche Aspekte. Bosch soll einen beachtlichen Betrag in diese Aktivitäten stecken.

Themen Bei den Freizeitgruppen dreht sich vieles um Musik. Das Sinfonieorchester ist dabei die älteste Musikgruppe. Es gibt zudem drei Big Bands, eine Dixieland Band, eine japanische Trommelgruppe, und die Streichersolisten. Zudem gibt es Theatergruppen und Sportgruppen. In Schwieberdingen hat sich eine Schachgruppe gebildet, die einmal im Jahr gegen Häftlinge der Justizvollzugsanstalt antritt.

Ausland Auch bei den Auslandsgesellschaften von Bosch gibt es Freizeitgruppen. In der Türkei ist etwa eine Theatergruppe und in Indien gibt es Musik- und Tanzgruppen. Wie viele Freizeitgruppen der Konzern weltweit fördert, wurde bisher aber nicht erfasst.

Bewerbung Mitarbeiter, die Ideen für Freizeitaktivitäten haben, können sich an die Bosch-Abteilung Kulturelle Aufgaben, Sport, Freizeit wenden. Dort erhalten sie möglicherweise eine finanzielle Unterstützung. Es werden auch Probenräume zur Verfügung gestellt. Oder es werden Aushänge an Schwarzen Brettern organisiert, um Gleichgesinnte zu finden. Aber nicht jede Idee ist fördernswert. Wer mit Risikosport liebäugelt - etwa Fallschirmspringen -, hat kaum Chancen, unterstützt zu werden.