Kontra Kevin-Spacey-Boykott (Thomas Klingenmaier): Zunächst einmal zur Kleinigkeit an der Affäre: Kevin Spacey zu ersetzen, ist auch wirtschaftlicher Wahnsinn. Der Aufwand, der jetzt betrieben werden muss, ist enorm, dazu bleibt das Risiko, dass der hastig zusammengestoppelte Ersatzfilm schlechter aussehen wird als das, was man bereits hat. Keine Filmversicherung der Welt wird für diese Kapriole einspringen.

 

Ein kulturhistorischer Aberwitz

Der große Wahnsinn aber ist ein anderer: die Vorstellung nämlich, der offenbar haltlos übergriffige Kevin Spacey sei ein Aussätziger, dessen charakterliche Mängel als infektiöse Seuche nicht nur sein Werk besudeln, sondern alle, die damit in Kontakt kommen, Zuschauer, Festivals und TV-Sender zum Beispiel. Der Regisseur Ridley Scott und das Studio Sony haben diese Idee gar nicht aufgebracht. Sie setzen nur fort, was Netflix mit dem Hinauswurf von Spacey aus der 6. Staffel von „House of Cards“ und der Verschrottung des in Postproduktion befindlichen Spacey-Spielfilms „Gore“ begonnen hat.

Der moralische Furor, der sich da im Tarnmäntelchen liberalen Werteschutzes aus finsteren Tagen zurückmeldet, ist kulturhistorischer Aberwitz. Würden alle Werke verbannt, deren Urheber kriminell, asozial oder schlicht Charakterschweine durch und durch waren, dann bliebe nicht viel übrig: dann stünden Bibliotheksregale ziemlich leer da, die Wände in Museen würden kahl, die Schallarchive klassischer und moderner Musik schrumpften drastisch, und auch auf viele Filme müsste man verzichten.

In den sozialen Netzwerken wirbelt der Schlamm schon jetzt

Individuell, wohlgemerkt, darf sich jeder gern entscheiden, Spacey so unappetitlich zu finden, dass er keinen Film oder keine Serienfolge mit ihm mehr schauen will. Eine gesamtgesellschaftliche Ausradierentscheidung gegen das Werk aber ist inakzeptabel. Und jede neue wohlfeile vorschnelle Entscheidung der Spacey-Verbannung erhöht den Druck auf andere, Spaceys Werke ebenfalls in den Giftschrank zu schließen. Der anrollende Auslöschungseifer bezüglich Spaceys Werk trägt auch homophobe Züge, und man darf sich jetzt schon gruseln, was da alles aufgewühlt wird. In den sozialen Netzwerken wirbelt der Schlamm schon jetzt.

Mit Spacey hätte das Werk wohl keine Chancen auf Academy Awards

Warum also setzen Scott und Sony den Nachdreh ins Werk? „All the Money …“ soll am 22. Dezember im US-Kino starten, gerade noch rechtzeitig, um für die kommenden Oscars berücksichtigbar zu sein. Solche erwachsenen Hollywood-Filme laufen mittlerweile fast nur noch mit Oscar-Hilfe halbwegs akzeptabel. Mit Spacey hätte das Werk wohl keine Chancen auf Academy Awards gehabt. Der teure Nachdreh könnte also auf das Kalkül weisen, ein um Spacey bereinigter Film werde gerade deshalb besonders viele Nominierungen und Oscars einheimsen, werde zum willkommenen Fokus einer symbolischen Selbstreinigungsorgie Hollywoods werden.

Empathisch und solidarisch mit den Schwächeren

Zum amerikanischen Selbstverständnis von Anstand und Moral gehört auch die Vorstellung von Schuld und Sühne, von Vergeltung und Strafe. Auge um Auge, Zahn um Zahn – in einem Land, in dem die Todesstrafe existiert, gilt dies als selbstverständliche Maxime. Daher ist es nur logisch, dass die Filmcrew rund um Regisseur Ridley Scott einstimmig für einen Ersatz für Kevin Spaceys Rolle plädiert. Erstens muss Strafe sein, zweitens gilt die höchste Pietäts-Stufe vor den Opfern (einmal ganz abgesehen von wirtschaftlichen Erwägungen). Neben moralisch kann der Amerikaner nämlich eines auch besonders gut: empathisch und solidarisch mit den Schwächeren. Dazu gehört die Rache als fest etablierte Maßnahme zur Widerherstellung der gesellschaftlichen Ordnung. Und so wie George W. Bush damals den „War on Terror“ ausrief, rufen jetzt eben Kulturschaffende den „War on Sexists“ aus. Und mal ehrlich: wem würden im Kinosessel beim Anblick von Spaceys Visage nicht irgendwelche Bilder vor dem inneren Auge erscheinen, die nichts mit den Bildern auf der Leinwand zu tun haben?! Will man das haben? Nicht wirklich.

Ruhig mal ein bisschen sensibel sein

Die Entscheidung, Kevin Spacey durch Christopher Plummer zu ersetzen, ist mit den Augen der Amerikaner gesehen, absolut richtig und verständlich. Man darf ruhig erst mal ein bisschen sensibel sein und in einer derart aufgeheizten Stimmungslage Haltung zeigen. Auch wenn es mit europäischen Augen gesehen eine widersinnige, doppelmoralische Haltung ist. Schließlich kann einem im Streaming-Zeitalter jederzeit auf allen möglichen Kanälen ein Kevin-Spacey-Streifen entgegen flimmern.

Keine Filmversicherung der Welt wird für diese Kapriole einspringen.

Kontra Kevin-Spacey-Boykott (Thomas Klingenmaier): Zunächst einmal zur Kleinigkeit an der Affäre: Kevin Spacey zu ersetzen, ist auch wirtschaftlicher Wahnsinn. Der Aufwand, der jetzt betrieben werden muss, ist enorm, dazu bleibt das Risiko, dass der hastig zusammengestoppelte Ersatzfilm schlechter aussehen wird als das, was man bereits hat. Keine Filmversicherung der Welt wird für diese Kapriole einspringen.

Ein kulturhistorischer Aberwitz

Der große Wahnsinn aber ist ein anderer: die Vorstellung nämlich, der offenbar haltlos übergriffige Kevin Spacey sei ein Aussätziger, dessen charakterliche Mängel als infektiöse Seuche nicht nur sein Werk besudeln, sondern alle, die damit in Kontakt kommen, Zuschauer, Festivals und TV-Sender zum Beispiel. Der Regisseur Ridley Scott und das Studio Sony haben diese Idee gar nicht aufgebracht. Sie setzen nur fort, was Netflix mit dem Hinauswurf von Spacey aus der 6. Staffel von „House of Cards“ und der Verschrottung des in Postproduktion befindlichen Spacey-Spielfilms „Gore“ begonnen hat.

Der moralische Furor, der sich da im Tarnmäntelchen liberalen Werteschutzes aus finsteren Tagen zurückmeldet, ist kulturhistorischer Aberwitz. Würden alle Werke verbannt, deren Urheber kriminell, asozial oder schlicht Charakterschweine durch und durch waren, dann bliebe nicht viel übrig: dann stünden Bibliotheksregale ziemlich leer da, die Wände in Museen würden kahl, die Schallarchive klassischer und moderner Musik schrumpften drastisch, und auch auf viele Filme müsste man verzichten.

In den sozialen Netzwerken wirbelt der Schlamm schon jetzt

Individuell, wohlgemerkt, darf sich jeder gern entscheiden, Spacey so unappetitlich zu finden, dass er keinen Film oder keine Serienfolge mit ihm mehr schauen will. Eine gesamtgesellschaftliche Ausradierentscheidung gegen das Werk aber ist inakzeptabel. Und jede neue wohlfeile vorschnelle Entscheidung der Spacey-Verbannung erhöht den Druck auf andere, Spaceys Werke ebenfalls in den Giftschrank zu schließen. Der anrollende Auslöschungseifer bezüglich Spaceys Werk trägt auch homophobe Züge, und man darf sich jetzt schon gruseln, was da alles aufgewühlt wird. In den sozialen Netzwerken wirbelt der Schlamm schon jetzt.

Mit Spacey hätte das Werk wohl keine Chancen auf Academy Awards

Warum also setzen Scott und Sony den Nachdreh ins Werk? „All the Money …“ soll am 22. Dezember im US-Kino starten, gerade noch rechtzeitig, um für die kommenden Oscars berücksichtigbar zu sein. Solche erwachsenen Hollywood-Filme laufen mittlerweile fast nur noch mit Oscar-Hilfe halbwegs akzeptabel. Mit Spacey hätte das Werk wohl keine Chancen auf Academy Awards gehabt. Der teure Nachdreh könnte also auf das Kalkül weisen, ein um Spacey bereinigter Film werde gerade deshalb besonders viele Nominierungen und Oscars einheimsen, werde zum willkommenen Fokus einer symbolischen Selbstreinigungsorgie Hollywoods werden.

Es ist nicht auszuschließen, dass es so kommen wird. Das wäre dann aber ein Putsch der Heuchelei, Bigotterie und Willfährigkeit mit gravierenden Folgen nicht nur für Hollywood. Eine neue Welle des Druckausübens auf Künstler, Institutionen und Medienfirmen wegen unliebsamer Köpfe würde gewiss nicht bei sexuellen Beutegreifern Halt machen.