Der rechtsextrem motivierte Brandanschlag in Winterbach hat das Leben der Opfer bis heute grundlegend verändert. Im Januar beginnt der Prozess.

Winterbach  - An dem Abend, an dem das Leben seiner Familie aus den Fugen geraten ist, hat Duran Tecer gemütlich zu Hause vor dem Fernseher gesessen. Seine Söhne Fikret, Fatih und Ali hatten sich mit Freunden auf dem Gartengrundstück verabredet, das die türkischstämmige Familie vor Jahren in der Nähe ihres Heimatorts Winterbach (Rems-Murr-Kreis) gekauft hatte. Der 9. April war ein sonniger, milder Samstag, das Thermometer zeigte mehr als 20 Grad. Ein guter Tag, um die Grillsaison zu eröffnen und von der Terrasse aus den Blick zwischen den Obstbäumen hindurch ins Remstal zu genießen.

 

Einige der Bäume hat Duran Tecer selbst gepflanzt. "Ich habe immer gedacht, Deutschland ist meine Heimat", sagt der 52-Jährige. Als Bub ist er 1971 mit seinen Eltern aus der Türkei ins Remstal gekommen, hat zunächst in Schorndorf gewohnt und ist dann 1987 nach Winterbach gezogen. Sein Lebenslauf klingt wie der eines Musterschwaben. Er hat eine Lehre als Kfz-Mechaniker gemacht, stets gearbeitet, mit seiner Frau drei Söhne und eine Tochter bekommen und ein älteres Haus mitten in Winterbach zu einem schmucken Heim umgebaut. Im Jahr 1996 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen: "Ich dachte, ich will hier alt werden."

Noch in derselben Nacht begannen die Verhöre

Seit dem Anschlag ist er sich nicht mehr so sicher. "Ich habe 40 Jahre ganz normal hier gelebt, und im 41.Jahr ist meine Familie fast ausgelöscht worden." In der Nacht zum 10.April, als der Vater von vier Kindern vor dem Fernseher saß, hat gegen 2 Uhr morgens das Telefon geklingelt. Es waren die Söhne in heller Aufregung. Neonazis, die auf einem Nachbargrundstück gefeiert hatten, hatten die jungen Männer und ihre Freunde bedroht. Fünf von ihnen haben sich deshalb in einem Gartenhaus verschanzt, das wenig später in Flammen aufging.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart geht in ihrer Anklage davon aus, dass ein rechtsgesinnter junger Mann aus dem Kreis Ludwigsburg einen brennenden Ast aus dem Lagerfeuer genommen und eine am Haus rankende Kletterpflanze entzündet hatte, wodurch das Holzhaus in Brand geraten ist. Nur mit knapper Not konnten sich die fünf jungen Männer aus dem Gartenhaus retten. "Ich bin sofort hingefahren und habe die Jungs eingesammelt", sagt Duran Tecer. Noch in derselben Nacht begannen die Verhöre im Schorndorfer Polizeirevier .

Seitdem ist alles anders. Es ist, als hätte man ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Der 29-jährige Fikret, der als selbstständiger Reifenhändler arbeitet und von sich sagt, er habe mehr deutsche als ausländische Freunde, kann nicht mehr alleine in seiner Werkstatt sein. "Diese Sache hat mein ganzes Leben umgedreht. Eigentlich wollte ich demnächst heiraten, aber gerade geht alles den Bach runter", sagt er resigniert. Und er erzählt von dem alten Mann, der regelmäßig an seiner Werkstatt vorbeikommt und ihm von der guten alten Zeit erzählt, in der Hitler allen Arbeit verschafft habe. "Ich lasse ihn reden", sagt Fikret. Bei dem Attentat hat er wie die anderen im Gartenhaus eine Rauchvergiftung erlitten, Prellungen und einen gebrochenen Arm. Nachts wacht er häufig schweißgebadet auf, die Angst macht sich mit Albträumen bemerkbar. "Alle Kinder können nicht schlafen", sagt die Mutter, der es wohl nicht viel anders geht.

Angst, Enttäuschung, Resignation

Der jüngste Sohn Ali hat einen Milzriss davongetragen und mehrere Tage im Krankenhaus verbracht. Seit dem Anschlag, über den er nicht sprechen möchte, habe er 14 Kilo abgenommen, sagt seine Mutter besorgt. Seine Ausbildung als Kfz-Mechaniker hat er abgebrochen. Auch die Freunde sind traumatisiert: Enzo, Fabrizio, Sercan.

"Es hat sich vieles verändert", sagt der 27 Jahre alte Fatih. Was vor dem Anschlag selbstverständlich war, ist inzwischen fast undenkbar. "Früher bin ich gerne weggegangen, war fast jedes Wochenende in Stuttgart unterwegs." Heute ist er froh, wenn er nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus muss. Doch selbst dort fühlt sich die Familie nicht richtig sicher. Schon gar nicht, seit täglich neue Meldungen über die rechte Szene und die Rolle des Verfassungsschutzes bekannt werden. "Ich kann mich doch auf niemanden mehr verlassen", sagt Duran Tecer - und fragt: "Kann ich mich auf den Staat verlassen, dass er mir hilft?"

Nach dem Anschlag hat es in Winterbach eine Mahnwache gegeben, der Gemeinderat hat eine Erklärung verfasst, in der er jegliche Gewalt ablehnte, und kurz darauf folgte eine Demonstration. "Da kamen auch Leute, die ich gar nicht kannte", sagt Duran Tecer. Solidarität ist wichtig. "Wenn man fühlt, dass man alleine ist, bekommt man panische Angst."

Im kommenden Januar beginnt der Prozess

Angst, Enttäuschung, Resignation - diese Gefühle sind seit dem Vorfall im April ein fester Bestandteil des Familienlebens geworden. Da sind die Nachbarn, von denen keiner vorbeigeschaut hat - bis auf einen. Da ist der Arbeitskollege, der die Mahnwache aus sicherer Entfernung, von der anderen Straßenseite aus, beobachtet hat. Und da ist dieser Gemeinderat, der folgenden Satz gesagt hat: "Ihr müsst euch halt mehr integrieren."

Die Herkunft erscheint als ein Makel, den man trotz aller Bemühungen nicht loswerden kann. Oda Ferber von der Winterbacher Agendagruppe Kultur und Gesellschaft spricht von einem "latenten Rassismus, der in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet ist". Sie sagt, es müsse mehr praktische Hilfe für die Migranten geben, und rät den Opfern, sich an den Verein Weißer Ring zu wenden, der Kriminalitätsopfer unterstützt.

Im kommenden Januar beginnt der Prozess gegen zwei der rechtsextremen Angreifer, die Anklage lautet auf versuchten Mord und schwere Brandstiftung. Die Opfer erwarten den Prozess mit gemischten Gefühlen, einige würden am liebsten nicht hingehen. "Aber", sagt Fikret Tecer, "was sein muss, muss sein."