Während in London noch immer nicht klar ist, wie viele Menschen bei dem tödlichen Hochhausbrand ums Leben gekommen sind, wird in Deutschland die Debatte um eine feuerfeste Fassadendämmung schärfer. Nun werden auch Fassaden von deutschen Hochhäusern auf ihre Sicherheit geprüft.

Stuttgart/Wuppertal - Sind Hochhäuser in Deutschland brandgefährlich? Zumindest scheinen nicht alle sehr sicher: So zeigte sich, dass die Räumung des Wuppertaler Hochhauses am Dienstagabend durchaus gerechtfertigt war: Laut Behördenangaben wurden brennbares Isoliermaterial und eine Unterkonstruktion aus Holz moniert. Die Flure seien eng, die Balkone kurz, außerdem fehle eine Brandmeldeanlage. Die 70 Mieter dürfen bis auf weiteres nicht mehr nach Hause zurückkehren. Habseligkeiten können sie unter Aufsicht noch herausholen. Nun sollen auch die übrigen 69 Hochhäuser der Stadt auf Brandschutzmängel überprüft werden. Die Eigentümer seien schon angeschrieben worden.

 

In Baden-Württemberg sollen „Problemfälle“ ausfindig gemacht werden

Nicht nur in Wuppertal kommen Hochhäuser auf den Prüfstand. Inzwischen lässt das Bundesbauministerium in Berlin überprüfen, ob in ganz Deutschland andere Gebäude einem ähnlichen Brandrisiko ausgesetzt sind. Die entsprechenden Ministerien in den Bundesländern seien informiert: Denn das Baurecht fällt in Deutschland in die Zuständigkeit der Länder.

In Baden-Württemberg will das Wirtschaftsministerium auf die unteren Baubehörden zugehen, um eventuell vorhandene Problemfälle unter die Lupe zu nehmen, wie die Sprecherin Silke Walter gegenüber unserer Zeitung mitteilte. Bislang hat das für Wohnungsbau zuständige Ministerium allerdings keine Hinweise auf ähnlich gelagerte Fälle im Land. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat nach eigenen Angaben erste Schritte zur Überprüfung eingeleitet. In Nordrhein-Westfalen ist man da schon weiter. Dort werden bereits Listen mit infrage kommenden Gebäuden erstellt. Ziel ist eine bundesweite Datenbank, in denen Häuser vermerkt werden, die ein ähnliches Gefährdungspotenzial haben wie das Hochhaus in Wuppertal, heißt es seitens des Bundesbauministeriums. „Wir gehen derzeit davon aus, dass es ein Einzelfall ist.“

Im Südwesten waren Fassadenbrände bislang selten

Besonderer Augenmerk soll bei der Prüfung der Gebäude auf den Fassaden liegen. Zu groß ist die Sorge, dass sich die Brandkatastrophe des Grenfell-Towers in London auch in Deutschland wiederholen könnte. Vor zwei Wochen waren bei der Feuerkatastrophe nach neuesten Behördenangaben mindestens 80 Menschen gestorben. Die Londoner Polizei teilte am Mittwoch mit, die genaue Zahl der Toten stehe aber nicht vor Ende des Jahres fest.

Zumindest in Baden-Württemberg sind Fassadenbrände bislang nicht sehr häufig vorgekommen, sagt der Brandschutzexperte des Regierungspräsidiums Stuttgart, Jürgen Lang. Häufiger sind Brände, die in der Wohnung passieren. „Die Gefahr, dass sich ein Feuer über eine gesamte Fassade ausbreitet, ist eigentlich durch das sogenannte Wärmeverbundsystem gering gehalten“, sagt Lang, also dem vorschriftsmäßigen Aufbau und dem Anbringen der Dämmung. So orientiert sich das Baurecht für Hochhäuser der 16 Bundesländer an der Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR).

Bei kleineren Häusern sind brennbare Materialien als Dämmung nicht verboten

Die Regelungen sehen vor, dass brennbare Dämmplatten an Hochhäusern nicht verbaut werden dürfen. Zumindest müssen brennbare Bau- oder Dämmstoffe mit nicht brennbaren Materialien umschlossen sein. „Allerdings ist die MHHR zumindest in Baden-Württemberg nicht im Landesbaurecht verankert“, sagt Lang. Es sei nur eine Muster-Richtlinie, von der je nach Gebäudeart und -nutzung auch abgewichen werden könne. So könnten sich Mängel beim Brandschutz ergeben.

Grundsätzlich können Fassadenbrände aber auch bei Häusern zum gefährlichen Problem werden, die niedriger als 22 Meter sind: Denn hier sind brennbare Stoffe im Prinzip zur Wärmedämmung zugelassen. Wird hier die Thermohaut nicht richtig verbaut, kann es ebenfalls brandgefährlich werden. Eine andere Gefahrenquelle sind auch Müllcontainer an der Hauswand, die in Flammen aufgehen: Durch solche sogenannten Stützfeuer kann es auch zu Fassadenbränden kommen, sagt Lang.

Feuerwehren fordern besseren Brandschutz

Deshalb haben Feuerwehrfachleute grundsätzlich einen besseren Brandschutz für Gebäude gefordert. Dabei gehe es explizit um Häuser unterhalb der Hochhausgrenze, also Häuser zwischen sieben und 22 Metern, sagte der Leitende Branddirektor der Frankfurter Feuerwehr, Reinhard Ries. „Wir können nur hoffen, dass der Warnschuss aus London endlich ernstgenommen wird.“ Ries zufolge hat eine Fassadenkonstruktion im Jahr 2012 in Frankfurt und 2016 in Duisburg zu ähnlichen Vorfällen wie in London geführt, nur mit deutlich geringerem Schaden. „Unsere Forderung lautet: Das Erdgeschoss muss so verkleidet sein, dass es nicht brennbar ausgestaltet ist und dass es nach jedem Geschoss einen Brandriegel gibt.“