Fassungslosigkeit im ganzen Land: Vierzehn Menschen sterben am Montag durch einen Brand in einer Behindertenwerkstatt der Caritas in Neustadt im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Titisee-Neustadt - Vierzehn Tote nach einem Brand – nicht in Bangladesch, sondern im sicherheitstechnisch erstklassigen Deutschland. Vierzehn Menschen sterben am Montag durch einen Brand in einer Behindertenwerkstatt der Caritas in Neustadt im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, nicht weit vom Feldberg entfernt. Um 13.58 Uhr wird die Freiwillige Feuerwehr durch die Brandmeldeanlage der Einrichtung alarmiert. Zahlreiche Nachbarn rufen zeitgleich den Notruf an und berichten von dichtem Rauch. Sechs Minuten später ist das erste Einsatzfahrzeug vor Ort. Als die Feuerwehrleute eintreffen, laufen ihnen schon viele Menschen in Panik entgegen.

 

Das Feuer breitet sich rasend schnell aus. Die meisten der 120 Menschen, die sich bei Ausbruch des Brandes im Gebäude aufhalten, haben sich bis zu diesem Zeitpunkt selber retten können, doch aus den Werkstätten muss die Feuerwehr 14 Personen herausholen. Es sind zum größten Teil Behinderte, darunter Rollstuhlfahrer, die nicht in der Lage sind, sich schnell aus der Gefahrenzone zu bringen. Die Rettungskräfte des Deutschen Roten Kreuzes versuchen, die Geborgenen wiederzubeleben, doch in 14 Fällen vergebens.

Die Helfer dringen mit schwerem Atemschutzgerät in das Gebäude vor, um die Bewusstlosen ins Freie zu bringen. Einige werden noch beim Heraustragen beatmet, berichtet eine Augenzeugin. Aber draußen müssen die Retter feststellen, dass die Menschen bereits tot sind.

„So viele Opfer bei einem Brand habe ich noch nie erlebt“

„Für eine Rauchgasvergiftung genügen zwei, drei kräftige Atemzüge“, erklärt DRK-Geschäftsführer Wolfgang Schäfer-Mai die besondere und weithin unterschätzte Tücke bei einem Brand. Nicht die Flammen, sondern das hochgiftige Rauchgas hat auch bei diesem Brand Opfer gefordert. Und in einer Dimension, die für die Region ziemlich einmalig ist. „So viele Opfer bei einem Brand, das habe ich noch nicht erlebt“, sagt Gotthard Benitz, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Titisee-Neustadt, einer Kleinstadt mit 11 900 Einwohnern. 120 Männer und Frauen von Wehren aus dem ganzen Hochschwarzwald sind im Einsatz, 80 Rettungskräfte müssen die Toten und Verletzten bergen. Zwei Rettungshubschrauber landen. Acht der Geborgenen sind schwer verletzt, aber keiner schwebt mehr in Lebensgefahr. Für die erschütterten Ersthelfer und natürlich in erster Linie für die Angehörigen stehen Psychologen und Notfallseelsorger bereit. Todesnachrichten werden in der nahegelegenen Sammelstelle der Feuerwehr, einer Speditionshalle, übermittelt, während draußen noch Verletzte versorgt werden. Dort hallen Schreie durch den großen Raum. Menschen brechen in Tränen aus.

Auch der Ministerpräsident des Landes und sein Innenminister fliegen per Hubschrauber an den Unglücksort, um den Angehörigen ihr Beileid auszudrücken. „Selbstverständlich“ sei das, betont Winfried Kretschmann. „Ich habe soeben mit der Bundeskanzlerin telefoniert. Sie ist tief erschüttert, sprachlos und fassungslos angesichts dieser schrecklichen Ereignisse“, sagt Kretschmann am Ort des Geschehens in Titisee-Neustadt. Der Brand mit 14 Toten sei „eine Katastrophe für die Betroffenen, für den Ort und ganz Baden-Württemberg“, fährt der Regierungschef fort. Kretschmann und Reinhold Gall machen sich ein Bild vom Unglücksort, sprechen mit den in der Freien Christengemeinde nebenan von den Medien abgeschirmten Angehörigen der Opfer und danken den Einsatzkräften von Feuerwehr, Polizei, THW und den Rettungsdiensten.

Die Ursache des Brandes bleibt unklar

Warum der Brand ausgebrochen ist, bleibt unklar. Ob es einen Knall gegeben hat oder nicht, wie einige Zeugen laut Medien berichten, ist nicht bestätigt. „Das Feuer muss sich im ersten Stock sehr schnell ausgebreitet haben. Warum, wissen wir noch nicht“, sagt Bezirksbrandmeister Thomas Finis. Dafür verantwortlich könnte das dort gelagerte und verwendete Material gewesen sein. Denn in der Werkstatt verpackten die dort arbeitenden mehr oder weniger behinderten Menschen unter anderem Ware aus Holz und anderen leicht brennbaren Materialien. Kartonagen oder Papier. Um zum Beispiel Geschenke für Weihnachten zu verpacken.

Auch am Abend ist jedoch weder der genau Ausbruchsort des Feuers lokalisiert, noch die Ursache mit Sicherheit aufgeklärt. Sachverständige der Polizei haben die Ermittlungen aufgenommen. Die Behindertenwerkstätte war mit einer automatischen Feuermeldeanlage ausgerüstet. Eine eigene Löschanlage gibt es indes nicht. „Dies ist in einem solchen Gebäuden nicht üblich“, so Finis.

Das Gebäude der Caritas ist 1979 gebaut und sicherheitstechnisch immer instand gehalten worden. „Der Brandschutz hat gehalten“, betont Feuerwehrkommandant Benitz. Das heißt, die Brandmauern und Schutzmaßnahmen haben ihre Aufgabe erfüllt, so dass sich das Feuer nicht weiter ausbreiten konnte. Doch es hat gereicht, um in der Werkstatt die verheerende Tragödie anzurichten. „Wir sind unendlich traurig“, sagt der schockierte Vorstand des Caritas-Kreisverbandes Freiburg, der die Einrichtung betreibt.

Die Helfer sind erschüttert

„Das, was wir hier gesehen haben, wird uns noch lange beschäftigen“, glaubt der Kommandant der örtlichen Feuerwehr, Gotthard Benitz. „Noch ist es zu früh, um über das Erlebte zu sprechen“, ergänzt eine nebenstehende Seelsorgerin. Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes findet Trost im Arm eines Kollegen. Selbst die Einsatzleiter von weiter her sagen, eine solche Katastrophe in den vergangenen Jahren nicht erlebt zu haben.

Egon Engler von der Caritas kämpft mit den Tränen, als er drei Stunden nach dem Brand vor die Presse tritt. Die Werkstatt bleibt vorerst geschlossen. Die Einrichtung war erst vor sechs Jahren saniert sowie um einen Neubau erweitert worden. In eben jenem Neubau brach das verheerende Feuer aus. An der Fassade des Gebäudes ist am frühen Abend keine Spur der Katastrophe zu sehen. Nur ein leichter Brandgeruch liegt in der Luft. Es regnet leicht. Blaulichter von Dutzenden Einsatzwagen tauchen die Szenerie in ein dramatisches Licht. Viele Betroffene haben den Unglücksort rasch verlassen. Eine weinende Frau hüllt sich in eine Wolldecke. Vor dem Eingang des Gebäudes steht noch ein Christbaum und das handgeschriebene Schild „Großer Advents- und Weihnachtsmarkt in der Behindertenwerkstätte“.