Nicht nur in England, auch hierzulande könnten Dämmungen für Brandschutzprobleme sorgen. So dienen brennbare Styroporplatten häufig zur Wärmedämmung an Fassaden von Mehrfamilienhäusern.

Stuttgart - Der verheerende Brand des Grenfell-Towers in London mit nach derzeitigem Stand 80 Toten lässt auch in Deutschland die Alarmglocken klingeln. Dabei geht es vor allem um Gebäude, die weniger als 22 Meter hoch sind. So hoch reichen die Rettungsleitern der Feuerwehren. Bei höheren Hochhäusern darf hierzulande überhaupt nichts Brennbares an der Fassade angebracht sein, damit sich Brände nicht ausbreiten können. Die entsprechenden Vorschriften dürften nach bisherigen Erkenntnissen bei deutschen Hochhäusern eingehalten worden sein.

 

Schwieriger wird es jedoch bei höheren Mehrfamilienhäusern, die unter der 22-Meter-Grenze liegen. Gemäß der geltenden Bauordnungen müssen die zur Dämmung von Fassaden eingesetzten Baustoffe bei Gebäuden bis zu sieben Meter Höhe „mindestens normalentflammbar“ sein, bei Höhen bis 22 Meter „mindestens schwerentflammbar“. Solche Baustoffe dürfen auch nicht brennend abfallen und damit zur Gefahr werden. Dies soll der Feuerwehr die notwendige Zeit für lebensrettende Hilfe und effektive Brandbekämpfung geben.

Vor dem Hintergrund dieser Vorschriften können auch in Deutschland Fassadendämmungen an Gebäuden bis 22 Meter Höhe womöglich für Probleme beim Brandschutz sorgen. Dies hat kürzlich zur Räumung eines elfstöckigen Hochhauses in Wuppertal geführt: Dort hatten die Behörden den Eigentümer offenbar vergeblich aufgefordert, den Brandschutz zu verbessern. Wie es von Behördenseite heißt, seien zur Dämmung der Fassade brennbares, holzwolleähnliches Isoliermaterial, eine Unterkonstruktion aus Holz sowie eine Kunststoffverkleidung montiert worden. Weitere Gefahrenmomente wie enge Flure und eine fehlende Brandmeldeanlage seien hinzugekommen – was bei älteren Häusern womöglich gar nicht so selten ist.

Drei Brandszenarien

Im Hinblick auf den Brandschutz von Fassaden gehen die Experten im Wesentlichen von drei unterschiedlichen Brandszenarien aus: Zum einen kann ein brennendes Nachbargebäude ein Haus gefährden. Zum anderen kann ein Brand am Gebäudesockel, der etwa von in Brand gesteckten Müllbehältern ausgeht, die Fassade in Brand setzen – was zunehmend häufiger der Fall ist. Und drittens kann ein Brand in einer Wohnung die Fenster bersten lassen, worauf die Flammen an der Fassade emporzüngeln – der häufigste Fall, der auch beim Londoner Grenfell-Tower zur Katastrophe geführt hat.

Wenn heute ein mehr als sieben Meter hohes Mehrfamilienhaus gedämmt werden soll, dann gelten in Deutschland strenge Brandschutzvorschriften. Dazu zählt vor allem das Anbringen von Brandriegeln. Zu dieser Maßnahme hatten sich die Bauminister der Länder 2014 entschlossen, und zwar nach einer Reihe von Fassadenbränden sowie verschiedenen Brandversuchen mit dem am weitesten verbreiteten Dämmstoff Polystyrol – genauer: expandiertem Polystyrol (EPS).

Seit dem 1. Januar 2016 soll nun mithilfe von Brandriegeln das Gefahrenrisiko vor allem von Bränden unmittelbar vor der Fassade, etwa durch Fahrzeuge oder Müllcontainer, verringert werden. Erreicht wird dies durch einen ersten Brandriegel an der Unterkante der Fassadendämmung, im Fachjargon Wärmedämmverbundsystem (WDVS) genannt.

Nicht brennbare Brandriegel

Ein zweiter Brandriegel ist in der Höhe der Decke des ersten Geschosses anzubringen, ein dritter an der Oberkante des dritten Geschosses und ein abschließender Riegel am oberen Abschluss des WDVS unter dem Dach. Falls erforderlich, sind weitere Riegel einzubauen. Der Gefahr, dass Zimmerbrände auf die Fassade übergreifen, wird durch die umlaufenden Brandriegel oder durch einzelne Brandriegel über den Fenstern vorgebeugt.

Die Brandriegel selbst sollen aus nichtbrennbarem Material bestehen und mindestens 20 Zentimeter hoch sein. Wichtig ist, dass sie mit mineralischem Klebemörtel auf mineralischem Untergrund – also beispielsweise keine Holzplatten – verklebt werden. Zusätzlich müssen sie mit speziellen Dübeln befestigt werden.

Diese weitergehenden Maßnahmen zum Fassaden-Brandschutz haben die Kritik am Polystyrol aber nicht verstummen lassen. Bereits direkt nach dem Londoner Brand haben sich auch hierzulande vor allem die Feuerwehrchefs von Berlin und Frankfurt zu Wort gemeldet und einen Verzicht auf brennbare Materialien bei der Fassadendämmung gefordert. Zudem wurde verstärkt bei Bestandsgebäuden nach bestehenden Brandrisiken gefahndet – was unter anderem zu der Räumung des Wuppertaler Hochhauses geführt hat.

Widerstand gegen Polystyrol

Fragt man bei Experten zur Gebäudedämmung und zum Brandschutz nach, dann werden die nach wie vor bestehenden Risiken schnell deutlich: Weil Polystyrol nun einmal trotz feuerhemmender Materialien brennt und außerdem bei Bränden in Form brennender Tropfen für zusätzliche Gefahren sorgt, ist dieser Dämmstoff mit gewissen Risiken behaftet. Diese werden zwar prinzipiell für vertretbar gehalten, und auch die Politik hält bisher daran fest, dass fachgerecht erstellte Dämmsysteme gegenüber Raumbränden hinreichend sicher sind. Gleichwohl regt sich Widerstand: So hat der Deutsche Feuerwehrverband zusammen mit anderen Brandschutz-Institutionen dieser Tage eine höhere Sicherheit von WDVS-Fassaden gefordert.

Dazu zählen Brandriegel in jedem Geschoss und weitergehende Schutzvorschriften, um Müllcontainer und ähnliche Brandrisiken zu begrenzen. Weiterhin sollten bestehende Fassaden im Erdgeschossbereich mit nichtbrennbaren Dämmmaterialien ertüchtig sowie beschädigte Fassaden „zeitnah“ ausgebessert werden.

Steinwolle als Alternative

Als nicht brennbare Alternativen zu Polystyrol stehen mineralische Dämmstoffe zur Verfügung, zu denen Platten aus Steinwolle oder Mineralschaum zählen, die aus Kalzium- und Siliziumoxid hergestellt werden. Allerdings dämmen sie nicht ganz so gut wie Polystyrol und sind zudem teurer: „Statt 120 Euro pro Quadratmeter fertiger Fassade für Polystyrol muss man bei mineralische Dämmung mit rund 150 Euro rechnen“, beziffert Ulrich König, der Leiter des Stuttgarter Energieberatungszentrum (EBZ), den Unterschied. Er macht aber auch aus seinen Erfahrungen mit den Kunden des EBZ keinen Hehl: „Die Leute wollen Polystyrol nicht mehr.“

Kommentar: Auslaufmodell Polystyrol?

Um es klar zu sagen: Dass es hierzulande einen Hochhausbrand wie in London gibt, ist äußerst unwahrscheinlich. Gleichwohl geraten auch in Deutschland trotz der hier geltenden strengen Brandschutzvorschriften immer wieder Fassaden in Brand. Nicht wenige Feuerwehrleute geben dem weitverbreiteten Dämmstoff Polystyrol die Schuld – trotz feuerhemmender Zusätze, die wiederum die Umweltschützer auf den Plan rufen und bereits zu Entsorgungsproblemen von Polystyrol-Dämmplatten geführt haben.

Es wird also zunehmend enger um den vergleichsweise preiswerten und deshalb bei kostenbewussten Bauträgern so beliebten Dämmstoff. Das soll aber nicht heißen, dass generell die Dämmung von Gebäuden in Frage zu stellen ist: In Zeiten des Klimawandels gibt es dazu keine vernünftige Alternative, weil sich mit keiner anderen Maßnahme der Energiebedarf zum Heizen und – was künftig noch viel wichtiger wird – zum Kühlen so effektiv senken lässt.

Beruhigend ist, dass es nichtbrennbare Alternativ-Dämmstoffe gibt, etwa Steinwolle oder Mineralfaserlatten. In Sachen Brandschutz sind sie nicht nur Polystyrol überlegen, sondern auch den von umweltbewussten Bauherrn favorisierten Öko-Dämmstoffen auf Hanf- oder Holzbasis. Doch die erhöhte Sicherheit vor Bränden hat nun mal ihren Preis: Mineralische Dämmstoffe sind teurer, was vor allem bei großflächigen Fassaden ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor ist. Doch der Druck und der Wunsch vieler Menschen wächst, auf Polystyrol ganz zu verzichten.