Der gewaltsame Tod eines jungen Tänzers hat die Bewohner einer Favela aufgebracht: Mit der Polizei lieferten sie sich sieben Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft Straßenschlachten in Rio de Janeiro.

Rio - Sieben Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft hat die Welle der Gewalt in Rio de Janeiro die Favelas verlassen und bürgerliche Viertel ergriffen, in denen sich Touristen bewegen. Ganze Straßenzüge in Copacabana verwandelten sich in der Nacht zum Mittwoch zu Kampfzonen, nachdem Bewohner nahe gelegener Favelas gewalttätig gegen den Tod eines jungen Mannes demonstrierten, wobei ein weiterer Mann, offenbar durch einen Querschläger, ums Leben kam.

 

Den Favela-Bewohnern zufolge hat die Polizei den 26-Jährigen zu Tode geprügelt. Die Polizei bestreitet diese Darstellung. Der Tod von Douglas Rafael da Silva Pereira sprach sich am Dienstag in der Favela Pavão-Pavãozinho schnell herum. Der junge Mann war im Treppenhaus einer Kinderkrippe gefunden worden – ohne Schusswunden. Die spätere Untersuchung der Leiche ergab, dass er an einer Lungenblutung gestorben war, die durch „Stich- und Schlag-Tätigkeit“ auf seinen Brustkorb ausgelöst wurde. Mehrere Rippen waren gebrochen. Die Mutter des Getöteten, eine Krankenschwester, sagte der Presse, die Leiche ihres Sohnes sei voller Stiefelabdrücke gewesen. Die Favela liegt an den Hängen und Bergen oberhalb der Viertel Copacabana und Ipanema.

Aus Empörung über den – vermeintlichen oder tatsächlichen – Übergriff der Polizei kamen Bewohner den Berg herunter und errichteten an der Auffahrt Barrikaden aus Reifen, Einkaufswagen und Verkaufsbuden. Müll brannte, ein Auto wurde angezündet, mit Eisenrohren versperrten Demonstranten die Auffahrt zur Favela, in deren Höhen sich, während unten die Straßenschlacht tobte, Polizei und Drogenhändler eine Schießerei lieferten. An Wohnhäusern und einem Krankenhaus gingen Fenster zu Bruch.

Tod auf dem Weg ins Krankenhaus

Noch unklar sind die Umstände, unter denen der vermutlich von einem Querschläger getroffene Mann ums Leben kam. Der 27-Jährige starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Tumult am frühen Abend bereitete Aufregung in Copacabana und Ipanema. Ein U-Bahn-Zugang wurde geschlossen, die wichtigste Verkehrsader Copacabanas war bis spät in die Nacht für fünf Stunden gesperrt, was lange Staus nach sich zog. Favela-Bewohner, die von der Arbeit kamen, trauten sich nicht den Berg hinauf. Nach Ansicht vieler Favela-Bewohner trägt die Polizei die Schuld am Tod des in der Favela bekannten und beliebten Mannes, der als DG bekannt war und als Tänzer in der populären Fernsehshow „Esquenta!“ aufgetreten war. Freunde sagten, Douglas sei mit der Polizei in Streit geraten, nachdem das Motorrad eines Kollegen – DG arbeitete normalerweise als Mototaxifahrer – verschwunden war.

Einem der Anwohner zufolge hat die Polizei von Rio das Motorrad beschlagnahmt und behauptet, es sei geklaut. Douglas hätte darüber mit den Beamten einen Streit angefangen, er sei deshalb festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Eine andere Version besagt, der 26-Jährige sei in der Nacht vorher in der Favela geflohen, um einem Schusswechsel zwischen Polizisten und Drogenhändlern aus dem Weg zu gehen. Er habe sich in einer Kinderkrippe versteckt, sei dort von der Polizei gestellt und totgeprügelt worden.

Die Favela galt als befriedet – ein Irrglaube

Douglas Rafael da Silva Pereira, der eine Karriere als Tänzer begonnen hatte, pflegte auf seiner Facebook-Seite Fotos von sich und Prominenten zu posten, an deren Seite er im Fernsehen auftrat. Sein letzter Eintrag stammt vom 8. April und lautet: „Friede und Liebe für alle Favelas von Rio de Janeiro – Schluss mit der Gewalt!“

Pavão-Pavãozinho war eine der ersten sogenannten befriedeten Favelas in Brasilien. Im Jahr 2009 rückte eine Polizeitruppe mit dem Versprechen ein, dort zu bleiben und sich wie eine Art von Bürgerpolizei zu verhalten – eine ganz andere Strategie als die Ramboauftritte und Strafexpeditionen, die die Polizei früher gegen die Drogenbosse unternahm, bei denen die Favela-Bewohner meist wie potenzielle Unterstützer der Verbrecher behandelt und misshandelt wurden.

Das neue Konzept hatte zunächst Erfolg, die Favela mit dem traumhaften Blick wurde, auch wegen ihrer Nähe zu den Touristenvierteln, ein beliebter Sightseeing-Punkt. Aber die Drogenhändler sind trotz der Polizeipräsenz noch da – oder wieder. In jüngster Zeit, so lauten die Erkenntnisse der Polizei, befehle in Pavão-Pavãozinho ein Dealer mit dem Spitznamen Pitbull. Auf ihn sollen die in den letzten Monaten wieder häufigen Schusswechsel in der Favela zurückgehen.