Die junge Bundesrepublik sah es keinesfalls als ihre Aufgabe an, Nazi-Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Erst der in Stuttgart geborene Staatsanwalt Fritz Bauer trieb Ende der Fünfziger die Ermittlungen voran. Der Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ erzählt, welche Schwierigkeiten man ihm dabei machte.

Stuttgart - Ein Nachtclub am Rand des Frankfurter Rotlichtbezirks gehört nicht eben zu den Orten, an denen sich ein junger, frisch verheirateter Staatsanwalt wie Karl Angermann blicken lassen sollte. In der gerade einmal acht Jahre alten Bundesrepublik Deutschland herrschen 1957 trotz Demokratie und Wirtschaftswunder-Optimismus noch altmodische Vorstellungen von Sitte und Anstand.

 

Doch Angermann (Ronald Zehrfeld) ist nicht nur neugierig, sondern auch höflich. Er folgt in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ der Einladung der ebenso hübschen wie geheimnisvollen Victoria (Lilith Stangenberg), die er erst wenige Stunden zuvor im Gericht kennengelernt hat, in ein Etablissement, dessen Inneres klassisch in rotes Schummerlicht getaucht ist.

Die Gäste unterhalten sich in konspirativem Flüsterton. In der Mitte des Raumes steht ein Flügel, auf dem sich Angermanns neue Bekanntschaft mit laszivem Schlafzimmerblick rekelt. „Komm, lass es uns auf die Spitze treiben“, haucht sie, „solange wir inkognito bleiben.“ Dieser frivole Schlager ist nicht bloß das unmoralische Angebot einer Frau mit zweifelhaftem Ruf. Er kommentiert in Lars Kraumes spannendem Film die bundesrepublikanische Doppelmoral der Adenauer-Ära.

Ein Emigrant jagt Nazis

Der eigentliche Protagonist des Films ist allerdings nicht die fiktive, im Kontext der Erzählung jedoch wichtige Figur des jungen Angermann, sondern die reale Person Fritz Bauer. Als Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main trieb der gebürtige Stuttgarter die Aufklärung von Naziverbrechen in den späten Fünfzigern maßgeblich voran und ebnete mit seiner Arbeit den Weg für die Frankfurter Auschwitz-Prozesse.

Bauer, der als jüdischer Sozialdemokrat selbst acht Monate in einem KZ hatte erdulden müssen und 1936 nach Dänemark emigriert war, wollte die deutsche Verdrängungspraxis nach dem Krieg nicht akzeptieren. Kraume schildert nahe an den Fakten, mit welch unkonventionellen Methoden Bauer nach Verbrechern wie dem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann oder dem Lagerarzt im KZ Auschwitz, Josef Mengele, fahndete, die inkognito im Ausland unbehelligt leben konnten.

Misstrauen gegen den Nestbeschmutzer

Der Schauspieler Burghart Klaußner kommt seinem historischen Vorbild in Mimik, Gestik und sogar im eigentümlichen Sprachduktus erstaunlich nahe und verkörpert Bauer als unermüdlichen, dabei oft erschöpft wirkenden Einzelkämpfer, der von seinen Kollegen als unbequemer Nestbeschmutzer misstrauisch beäugt wird. Bauer macht sich nicht nur dadurch angreifbar, dass er Kontakt zum israelischen Geheimdienst Mossad aufnimmt, von dem er sich Mithilfe bei der Ergreifung Eichmanns erhofft, sondern auch durch seine damals noch unter Strafe gestellte Homosexualität sowie durch linke Gesinnung.

Wie eng und repressiv es in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zuging, führt Lars Kraume eindrücklich vor Augen. Er taucht noch tiefer in die historische Realität ein als sein Regiekollege Giulio Ricciarelli, dessen Nazijägerfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ gerade als deutscher Beitrag in den Wettbewerb um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film geschickt worden ist.

Patronen in der Post

Während der vom bald darauf verstorbenen Gerd Voss gespielte Fritz Bauer in Ricciarellis Film als Randfigur vorkommt und das Hauptaugenmerk auf den Ermittlungsarbeiten im Vorfeld der Auschwitz-Prozesse liegt, widmet sich Kraume dem physischen und mentalen Kraftakt Bauers, der sich immer öfter mit handfesten Drohungen auseinandersetzen muss.

Einmal wird ihm ein Brief ins Büro geschickt; „Jude verrecke“ steht auf der Karte, eine einzelne, in eine Hakenkreuzfahne gewickelte Patrone liegt der Botschaft bei. Szenen wie diese wirken beunruhigend und lassen wenig Raum für Hoffnung, man könne die im Verborgenen vernetzten Nazis aufspüren und für alle Zeit hinter Schloss und Riegel bringen. In Anbetracht der schwierigen Aufarbeitung der NSU-Verbrechen in unserer Gegenwart wirkt dieser Gedanke beängstigend aktuell.

Ringen um Wahrheit

Bei aller historischen Genauigkeit, die sich noch in den kleinsten Ausstattungsdetails zeigt: Kraumes Film ist mehr als eine faktentreue Nacherzählung, er macht Bauers zähes, bis zur Selbstaufgabe reichendes Ringen um Wahrheit nachvollziehbar. Auch die von Lars Kraume und seinem Drehbuchautor Olivier Guez frei erfundene Episode um Bauers homosexuellen Mitarbeiter Karl Angermann fügt sich glaubwürdig in die Darstellung. Denn anhand dieser beiden Charaktere zeigen Kraume und Guez, wie wirksam unmenschliche Gesetze und vor allem Angst zwischenmenschliche Beziehungen in jener Zeit zerstören konnten.

Der Staat gegen Fritz Bauer. Deutschland 2015. Regie: Lars Kraume. Mit Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Lilith Stangenberg, Sebastian Blomberg, Laura Tonke, Dany Levy, Robert Atzorn. 105 Minuten. Ab 12 Jahren.

Termin: Zur Vorstellung am Samstag, 3. Oktober, um 15 Uhr sind Lars Kraume und Burghart Klaußner im Kino Atelier am Bollwerk anwesend.