Wie haben Braunsbacher Bürger die Sturzflut erlebt? Wie ging es danach weiter? Wie geht es ihnen ein Jahr nach dem Unglück? Eine Bäuerin, eine Kindergartenleiterin und der Bürgermeister erzählen.

Braunsbach - Das Programm steht. Am Jahrestag der Sturzflut von 2016 treffen sich die Braunsbacher am Abend in der Kirche zu einem Gottesdienst und danken Gott, dass in jener schicksalhaften Nacht kein Mensch umgekommen ist. Anschließend wird in der Burgenlandhalle erstmals der Dokumentarfilm des Crailsheimer Amateurfilmers Waldemar Jauch gezeigt. Die schwer beschädigte Halle muss zuvor provisorisch gesichert, Stromleitungen müssen gelegt, Toiletten aufgestellt werden. Denn ein Jahr nach der Flutkatastrophe ist in Braunsbach (Kreis Schwäbisch Hall) zwar vieles geschafft, der Wiederaufbau wird aber noch Jahre dauern.

 

Sehen Sie im Video die Situation in Braunsbach einen Tag nach der Katastrophe.

Die Kindergartenleiterin

Nach nur vier Tagen hat Jasmin Wedenig, 50, damals den Leonhard-Prosi-Kindergarten wieder geöffnet. Die erhöht liegenden Gebäude waren zum Glück verschont geblieben, erzählt die Frau, die betroffenen Familien froh, ihre Kinder in Sicherheit zu wissen. Im sie umgebenden Chaos war die „heile Welt des Kindergartens“ für die verunsicherten Mädchen und Jungen ein Ankerpunkt. „Wir haben vermittelt: Hier ist alles in Ordnung.“ Die Leiterin und ihr Team ließen die Kinder erzählen, was sie gesehen und erlebt hatten. „Diejenigen, die wenig mitbekommen haben, haben die Fragen gestellt“, erinnert sie sich, „wir haben nur moderiert.“

Ihre Erfahrung: Nur wer über seine Ängste sprechen kann, überwindet sie. Gemeinsame Ausflüge zu und Gespräche mit den Feuerwehrleuten oder den Rotkreuzmitarbeitern vermittelten ein Gefühl der Sicherheit. Die Hilfsbereitschaft war enorm, sagt Wedenig. Gefühle von Angst und Panik, so die Einschätzung von Jasmin Wedenig, seien bei ihren Schützlingen nicht zurückgeblieben. Wenn es aber stark regnet, suchten die Kleinen doch die Nähe zu den Erzieherinnen. „Dann sagen sie, das ist so wie damals.“

Der Bürgermeister

Damals ist Frank Harsch, 45, vom Bürgermeister eines 1000-Einwohner-Ortes zum Krisenmanager geworden. Seit einem Jahr ist Harsch praktisch pausenlos im Einsatz. Urlaub? Gestrichen, mal war er drei Tage in Berlin. Und doch sagt Harsch: „Zum Optimismus gibt es keine Alternative.“ www.flut-chancen.de hat er die Webseite genannt, auf der die Gemeinde alle Informationen rund um den Wiederaufbau veröffentlicht. „Jetzt sind Dinge möglich, die es vorher nicht waren“, die Elektrotankstelle zum Beispiel. Mit einer Apfelsaftschorle schlängelt sich der hagere Mann im neu eröffneten „D’ Schwarz“ – Dorfladen, Bäckerei, Café und Treffpunkt in einem – an einer Kundenschlange vorbei nach hinten ins Café. „Der Laden läuft“, stellt er zufrieden fest, „auch die Wirtschaft.“ Familie Philipp hat den traditionsreichen Gasthof zum Löwen gegenüber, wie der Dorfladen bei der Katastrophe schwer beschädigt, nach aufwendiger Renovierung im Mai wieder aufgemacht. Vor dem Hotel stehen Autos mit Stuttgarter Kennzeichen und Fahrradträgern. Die Biker steuern den Kochertal-Jagst-Radweg wieder an.

Den Tourismus etwas ankurbeln – Kanufahren kann man hier, und es gibt einen schönen Campingplatz am Kocher –, das ist die einzige Möglichkeit, Geld in die Gemeindekasse zu bekommen. Denn Braunsbach ist, sagt Harsch, kein „0815-Dorf“. Soll heißen: Kein Industriegebiet verschandelt die hübsche Kulisse, keine Gewerbesteuern bessern die Bilanz auf. Harsch, der jetzt „auf Jahre hinaus denken“ muss, plant daher ein innerkommunales Gewerbegebiet, will Teile des verwüsteten Grimmbachtals vor Braunsbach zum Naturschutzgebiet deklarieren und träumt von einer ökologischen Flurneuordnung in Orlach, jenem über Braunsbach gelegenen Weiler, von dem aus der gleichnamige Bach die verheerende Schuttlawine in das Städtchen gespült hat. Der Bürgermeister will die Bürger mitnehmen bei seinen Plänen. Wie soll das „neue“ Braunsbach aussehen?, hat er gefragt, eine Bürgerbeteiligung in Gang gesetzt, einen Gestaltungsausschuss gegründet. Ganz Diplomat stellt er seufzend fest: „Die Menschen ändern sich nicht.“

Die Teilzeitbäuerin

Diese Erfahrung haben auch Ulrike Frick, 49, und ihr Mann Eduard, 55, gemacht. Sie sind die letzten noch verbliebenen (Nebenerwerbs-)Landwirte in Braunsbach; früher gab es mal 35. Das schöne alte Bauernhaus der Fricks war frisch renoviert, als die Lawine in jener Nacht das Erdgeschoss komplett zerstörte. Der Stall nebenan ist einsturzgefährdet und wird abgerissen, die fünf Kühe waren den Winter über provisorisch in der Werkstatt hinter dem Haus untergebracht. „Wir haben eine Anzeige kassiert, unsere Tiere würden nicht artgerecht gehalten!“ Man kann Ulrike Fricks Empörung verstehen.

„Einen Tag haben wir damals gebraucht, alles zu begreifen“, erzählt Ulrike Frick. Am nächsten Tag haben sie die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt. „Als der Schotter weggeräumt war, schien das Haus zu schweben.“ Nur noch die tragenden Holzbalken standen, die Mauersteine dazwischen hatte die Lawine mitgerissen. Den alten Türstock mit der Jahreszahl 1865 haben die Fricks zur Erinnerung neben der Eingangstüre einmauern lassen. Sie zeigt darauf und muss sich in die Höhe strecken: „Bis hierhin reichte der Schuttberg.“

Ulrike Frick, die im Brotberuf in der Gemeindeverwaltung im Nachbardorf arbeitet, hat sich unverzüglich mit ihrem Versicherungsordner ans Telefon gesetzt. 150 000 Euro Schaden lautete die erste Einschätzung, heute sind es 414 000 Euro – „und das sind nur die Gebäudeschäden, die ersetzt werden“. Versichert waren Fricks gegen Sturm und Hagel. Wer konnte schon vorhersehen, dass eine Gerölllawine niedergehen würde.

Unterschlupf fand das Paar damals beim Schwager. „Jeder hat in diesen Tagen jedem geholfen.“ Alles musste raus, damit die Mauern trocknen konnten. In der Zwischenzeit hat man beim Nachbarn mit angepackt. „Wir in der Straße sind richtig zusammengewachsen“, die Katastrophe habe auch ihre gute Seite, meint sie. Man trifft sich am Abend zum Grillen, sitzt zusammen. Was sie von jenen Tagen mitgenommen hat? Das gute Gefühl der Solidarität. Und die Erkenntnis: „Ich bin zutiefst demütig geworden gegenüber der Natur.“

Daten und Fakten

Gesamtschaden

Gesamtschaden
Der Schaden an privatem und öffentlichem Eigentum in Braunsbach und den Teilorten wird auf insgesamt 80 bis 100 Millionen Euro geschätzt. Rund 100 Bauwerke in der Gemeinde wurden beschädigt (mehr als 1000 Euro Schaden). Zehn bis 15 Gebäude sind so stark beschädigt, dass sie abgerissen werden mussten oder noch müssen.

Hilfe

Hilfe
Das Land hat pro Person 500 Euro, maximal 2500 Euro pro Familie und maximal 5000 Euro pro betroffener Betrieb ausbezahlt. Der Gesamtbetrag wurde noch nicht ermittelt. Für die unmittelbare Gefahrenabwehr und die Eigenanteile im Rahmen der Fachförderprogramme hat das Land 10,6 Millionen Euro bewilligt, die zum Teil bereits geflossen sind.

Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum

Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum
Bewilligt wurden rund 750 000 Euro für Maßnahmen im Teilort Steinkirchen (kommunale Förderung) und im Rahmen der ELR-Hochwasserrichtlinie 2 Millionen Euro für 50 Privat- und Gewerbemaßnahmen in der Gesamtgemeinde.
Die schriftliche Bewilligung über 3 Millionen Euro für Städtebaumaßnahmen in Braunsbach liegt vor.

Spenden

1,6 Millionen Euro gingen auf den Spendenkonten der Gemeinde ein. Gut eine Million Euro, so schätzt Bürgermeister Frank Harsch, wurde direkt an Betroffene gespendet. 138 Betroffene haben bisher Anträge auf Spendengeld gestellt. Rund 950 000 Euro wurden bereits ausbezahlt.