Das Nördliche Breitmaulnashorn ist faktisch ausgestorben. Wissenschaftler wollen es noch retten. Sie setzen dabei auf die künstliche Befruchtung im Reagenzglas.

Stuttgart - Sudan, Najin und Fatu trotten gemütlich durch das Ol Pejeta Schutzgebiet im Herzen Kenias. Breitmaulnashörner sind eben keine Hektiker und in ihrem große Gehege haben die drei Dickhäuter keinen Grund, beunruhigt zu sein: Rund um die Uhr beschützen gut bewaffnete Ranger die Tiere vor Wilderern, die es auf ihr Horn abgesehen haben könnten. Zu fressen finden die Breitmaulnashörner genug und Konkurrenz müssen sie auch nicht fürchten: Der Bulle Sudan und die beiden Kühe Najin und Fatu sind die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner, alle anderen Vertreter dieser Unterart sind tot.

 

Da keiner der drei Überlebenden sich noch aus eigener Kraft fortpflanzen könnte, ist die von Biologen Ceratotherium simum cottoni genannte Unterart faktisch bereits ausgestorben. Die drei Tiere im Ol Pejeta Schutzgebiet sind also so etwas wie lebende Tote. Wissenschaftler wie der auf Fortpflanzungsbiologie spezialisierte Tierarzt Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin und der Genetiker Oliver Ryder vom San Diego Zoo Global in Kalifornien sind trotzdem zuversichtlich, dass die Unterart von den Toten wieder auferstehen wird. In der Fachzeitschrift Zoo Biology schildern die Forscher, dass sie nur zwei Zutaten für dieses Wunder des Artenschutzes benötigen: Geld und die modernsten Methoden der Fortpflanzungsbiologie einschließlich der Stammzellen-Technologie.

Damit wollen die Forscher eine Entwicklung umkehren, deren letzter Akt vor einem halben Jahrhundert begann. Bis 1984 hatten Wilderer die in den Grasländern im Herzen Afrikas lebenden Nördlichen Breitmaulnashörner auf 15 Tiere dezimiert, die im Garamba-Nationalpark im Kongo überlebt hatten. Zwar konnte sich der Bestand des Nördlichen Breitmaulnashorns dort noch einmal erholen, 2003 zählten Artenschützer immerhin 32 Tiere. Im Bürgerkrieg im Kongo aber blühte die Wilderei wieder auf und 2008 war die Unterart in der Natur ausgestorben.

2015 starb das letzte Tier in Gefangenschaft

Nur ein paar Tiere dieser nach den Elefanten größten Säugetiere auf dem Festland hatten in Zoos überlebt, stellten ihre ohnehin sehr seltene Vermehrung dort aber 2010 komplett ein. Im Dezember 2009 wurden vier dieser letzten Nördlichen Breitmaulnashörner vom tschechischen Zoo Dvur Králové in das Ol Pejeta Schutzgebiet in Kenia gebracht. Vermehrt haben sich die Tiere allerdings auch in der Nähe ihrer alten Heimat nicht. Einer der beiden Bullen dort starb im Oktober 2014 eines natürlichen Todes. Das letzte in Gefangenschaft gehaltene Tier verendete am 22. November 2015 im Zoo von San Diego in Kalifornien.

Damit schien das Schicksal der Unterart besiegelt. „Der letzte lebende Bulle Sudan produziert fast keine Spermien mehr und seine 1989 geborene Tochter Najin hat so starke Probleme mit beiden Hinterbeinen, dass sie das Gewicht eines Embryos in ihrem Leib nicht mehr tragen könnte“, erklärt der IZW-Fortpflanzungsbiologe Joseph Saragusty. „Im zweiten Weibchen Fatu sind die Geschlechtsorgane so stark verändert, dass sich dort keine Embryonen entwickeln könnten“.

Auch wenn noch drei mächtige Tiere durch das Schutzgebiet trotten, naht das Ende des Nördlichen Breitmaulnashorns. Wenn nicht Forscher wie Joseph Saragusty, Thomas Hildebrandt, Oliver Ryder und eine ganze Reihe weiterer Spezialisten noch nach einen Strohhalm greifen würden: der Befruchtung im Reagenzglas. Dazu braucht und neben geballtem Fachwissen zunächst einmal nur zwei Dinge: Samenzellen und Eizellen der hoch bedrohten Unterart. „Die Samen von vier Männchen bewahren wir in flüssigen Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius auf“, erklärt Joseph Saragusty. So bleiben die tiefgekühlten Zellen fit und der Forscher ist sehr zuversichtlich, dass sie nach dem Auftauen ihren Job tun werden. Bei Pferden klappt das jedenfalls hervorragend – und die gehören neben den Tapiren zur nächsten Verwandtschaft der Nashörner.

Eizellen werden mit einer Nadel entnommen

Leider gibt es keinen solchen Vorrat an Eizellen. In den kommenden Monaten wollen die IZW-Forscher daher nach Kenia fliegen und aus einem Blasrohr Pfeile mit einem Narkosemittel auf die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner schießen. Das weitere Vorgehen haben sie bereits acht Mal bei Südlichen Breitmaulnashörnern in europäischen Zoos angewendet: Über eine Nadel durch die Darmwand dringen sie mit einer speziellen Apparatur bis zum Eileiter der Nashornkühe vor und entnehmen dort Eizellen. Mit Ultraschallgeräten beobachten die Forscher dabei den gesamten Prozess. „Leider liegen die Geschlechtsorgane so weit im Körperinneren, dass wir nur mit dieser Methode eine Chance haben“, erklärt Saragusty.

Klappt alles, sollen die Eizellen in einem Brutschrank reifen und werden dann mit aufgetautem Samen befruchtet. In einer Nährlösung wächst die Leibesfrucht im Brutschrank einige Tage, bis sich die sogenannte Blastozyste, eine sehr frühe Form eines Embryos, gebildet hat. Diese Keimblase nistet sich normalerweise in der Gebärmutter-Schleimhaut ein.

Blastozysten können die Forscher in flüssigem Stickstoff einfrieren und später einer Ammenmutter implantieren. Allerdings wurde das mit einem Breitmaulnashorn-Embryo noch nie gemacht, die Überlebenschancen der Blastozysten wären daher ungewiss. Besser wäre es, das wachsende Leben gleich in eine Ammenmutter einzupflanzen. Dafür möchten die Forscher Weibchen des Südlichen Breitmaulnashorns einsetzen, die als nächste Verwandte gute Chancen haben sollten, den Embryo erfolgreich auszutragen. Diese Tiere müssen dann mit Hormonen genau in den Zustand gebracht werden, in dem sich die Blastozyste in der Gebärmutter einnistet. Um das wachsende Leben zu schützen, schließt sich in den Tieren allerdings der Gebärmutterhals. Thomas Hildebrandt hat daher eine weitere Methode entwickelt, mit der er die Blastozyste durch das Scheidendach in die Gebärmutter bringt.

Eine Ammenmutter soll das Kalb austragen

Geht alles gut, trägt die Ammenmutter ein Kalb ihrer Verwandten aus – und holt damit die faktisch bereits ausgestorbene Unterart noch einmal zurück. Allerdings vermutlich nicht lange: Bei zwei Weibchen, die Eizellen spenden können, und den eingefrorenen Samenzellen von vier Bullen, die teilweise miteinander verwandt sind, ist die genetische Vielfalt für ein langfristiges Überleben vermutlich zu klein.

„Zum Glück wurden in Berlin und San Diego vorausschauend Kulturen von Hautzellen von zwölf Nördlichen Breitmaulnashörnern eingefroren“, berichtet Thomas Hildebrandt. Aus solchen Zellen haben Forscher in den USA bereits pluripotente Stammzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns hergestellt, die sie dann mit Hilfe bestimmter Hormone zu Ei- oder Samenzellen weiter entwickeln wollen. Den Weg von solchen Stammzellen bis zu quicklebendigen Tieren haben japanische Forscher bereits beschritten, bisher aber nur bei Mäusen. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass diese Methode auch bei den Nashörnern Erfolg verspricht und die Forscher auch eine gewisse genetische Vielfalt in ihre Zucht bringen können.

Naturschutzorganisationen winken ab

„Ein Hindernis auf dem Weg dorthin ist das Geld“, erklärt Joseph Saragusty. Noch haben die Forscher keine Sponsoren für ihren Griff nach dem letzten Strohhalm für die Nördlichen Breitmaulnashörner gefunden. Vermutete Verbündete wie die großen Naturschutzorganisationen winken zum Beispiel ab: „Wir verstehen natürlich den Versuch, eine Unterart vor dem Verschwinden zu retten“, erklärt der Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) Christof Schenck. „Wir investieren allerdings unser Geld eher in den Schutz noch vorhandener Ökosysteme, in denen Arten wie das Spitzmaulnashorn leben, die ebenfalls stark gefährdet sind, aber deutlich bessere Chancen haben.“

Die ZGF hatte vor Jahrzehnten viel Geld in den Garamba-Nationalpark gesteckt, um die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner in der Natur zu retten. Geklappt hat das nicht. Viel besser laufen Projekte zum Schutz der Spitzmaulnashörner, die in Regionen wie Sambia zurück gebracht werden, in denen sie im 20. Jahrhundert ausgerottet wurden. Sollte aber die Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns gelingen, fänden die Naturschützer für diese Tiere sicher einen Platz in der Natur Afrikas.

Der Niedergang eines majestätischen Tieres

Art Das Nördliche Breitmaulnashorn gilt als Unterart der Breitmaulnashörner. Doch Colin Groves von der Australian National University in Canberra und zwei Kollegen halten Ceratotherium cottoni in der Online-Publikation „Plos One“ für eine eigene Art. In dem 2010 erschienen Artikel nennen die Forscher relativ große Unterschieden im Körperbau und auch im Erbgut als Grund für diese Einordnung. Seit mindestens einer Million Jahren würden nach ihrer Meinung das Südliche und das Nördliche Breitmaulnashorn eigene Wege gehen.

Größe Breitmaulnashörner können bis zu vier Meter lang werden. Ein Bulle misst von den Schultern bis zu seinen Sohlen leicht 190 Zentimeter. Mit seinen bis zu 3,6 Tonnen wiegt ein Männchen glatt drei Kleinwagen auf. Da die Beine relativ kurz und stämmig sind, wirken Breitmaulnashörner ein wenig plump. Die Weibchen sind allerdings erheblich kleiner und wiegen weniger als die Hälfte ihres Partners.

Lebensraum Die Tiere lebten vor 3500 Jahren noch im heutigen Marokko und Libyen und vor 2000 Jahren im Süden Ägyptens. Noch in der Kolonialzeit trotteten sie durch Teile Ugandas, des Tschad, Südsudans, der Zentralafrikanischen Republik der Demokratischen Republik Kongo.