Um Hochprozentiges herzustellen, braucht es gute Technik und ein feines Näschen. In Eislingen baut die Firma Carl seit fast 150 Jahren Brennmaschinen. Hier kann man auch lernen, Obst in edle Tropfen zu verwandeln.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Eislilngen - Gesegnet sei die schwäbische Ingenieurskunst: Wer in Australien auf die Idee kommt, einen Gin zu brennen, wen es auf Island nach Whiskey dürstet oder wer in Holland schon immer mal einen ordentlichen Obstler destillieren wollte, den führt der Weg in ein an Bodenständigkeit kaum zu überbietendes Industriegebiet in Eislingen bei Göppingen. Von hier aus verschifft die Firma Carl Destillations- und Brauereitechnik Brennanlagen in die ganze Welt. Zusammen mit dem Unternehmen Arnold Holstein vom Bodensee gehört Carl zu den wichtigsten Herstellern von Maschinen für die anspruchsvolle Alkoholbranche weltweit. Seit 1869 macht die Familie in Schnaps.

 

In riesigen Hallen werden die Wunderwerke der Destillierkunst gefertigt. In der ersten Halle steht eine Telefonzelle zwischen großen Montageteilen. Meist ist es in der Halle so laut, dass der Anruf des Chefs nur in der postgelben Zelle entgegengenommen werden kann. Nach einer kleinen Werksbesichtigung führt Klaus Hagmann seinen Besucher in ein karg-nüchternes Besprechungszimmer. Teppichboden, in der Mitte ein Tisch und ein paar Stühle, an der Wand keine Kunst, stattdessen unzählige Flaschen Alkohol aus der ganzen Welt: allesamt Proben von Destillaten, die auf Carl-Anlagen hergestellt wurden. Klaus Hagmann ist bei Carl für den Verkauf zuständig. Er war gerade eine Woche im australischen Perth, wo er bei einem Gin-Produzenten die zweite Anlage aus Eislingen in Betrieb genommen hat.

Wenn Hagmann nicht gerade als Handlungsreisender des Hochprozentigen in der ganzen Welt unterwegs ist, kommen künftige Schnapsproduzenten zu ihm. Vor allem im Sommer veranstaltet er Brennkurse, die nicht nur der Sinnesverfeinerung, sondern auch der Verkaufsförderung dienen. Bei einem dieser Seminare sind ein Australier und zwei Holländer mit von der Partie: Sie wollen lernen, die feinen Unterschiede zwischen Vor-, Mittel- und Nachlauf herauszuschmecken. Als Klaus Hagmann die Maische seiner handgepflückten Kirschen in die Brennanlage füllt, dampft es beachtlich. Es duftet fruchtig, ein wenig nach Mandeln. Zehn Tage hatte das Obst Zeit zu gären. Hagmann will an diesem Tag nicht nur ein vernünftiges Kirschwasser brennen, er will seine Besucher in die Magie des Destillierens einführen.

Die Brenne im Schweinestall

Der Brennkurs findet im Hofgut Aglishardt hinter Bad Urach statt. Diesen Flecken Erde mit idyllisch zu umschreiben wäre schamlos untertrieben. Der Hof gehört Christa Freifrau von Tessin, die aber selten in Aglishardt anzutreffen ist, da sie lieber im Schloss Kilchberg zu Tübingen residiert oder die Villa Gemmingen an der Stuttgarter Karlshöhe für gesellschaftliche Anlässe vermietet. Im ehemaligen Schweinestall steht eine Brenne von 2005, die kaum mehr genutzt wird, weil der Pächter der Domäne, Hans Gerhard Fink, mittlerweile an anderer Stelle mit einer größeren Anlage schwäbischen Whiskey produziert. Whiskey passt ganz gut in diese Ecke der Schwäbischen Alb, in der man keinen Handy-Empfang hat, sich dafür aber nicht wunderte, wenn auf einmal eine Herde Bisons vorbeigaloppieren würde.

Für ein gepflegtes Rodeo ist keine Zeit. Klaus Hagmann ist ein strenger Lehrer mit einem fantastischen Schwäbisch, das kurz oberhalb des Zwerchfells gebildet wird. Ein linguistischer Studienkreis hätte seine helle Freude am Aufeinandertreffen der weichen Konsonanten Hagmanns und des lustigen Rudi-Carrell-Deutsch der Holländer.

„Eine Brennerei zu betreiben bedeutet immer putzen“, sagt Hagmann. Für die Besucher heißt das in Deckung gehen, während Hagmann mit einem Schlauch den Bereich vor der Brenne sauberspritzt. Das Herzstück der kleinen Anlage ist die Brennblase. Hagmann doziert über die unterschiedlichen Siedepunkte von Alkohol und Wasser und changiert dabei zwischen hartem Schwäbisch („deschdilieren“) und überbetontem Hochdeutsch, damit auch die Holländer etwas kapieren. An der Wand der Scheune hängen 40 Urkunden von der Destillata, der internationalen Leistungsschau der Schnapsbrenner.

Die Destille sieht wegen all der runden Fensterchen aus wie eine Mischung aus einer antiquierten Ausrüstung zum Tiefseetauchen und einem Hexenkessel. Im Kessel schäumt und blubbert es, während Hagmann die Funktionsweise eines Dephlegmators erklärt. Verkürzt gesagt, ist ein Dephlegmator ein Kondensator, der Dämpfe kondensieren lässt und eine höhere Trennleistung gewährleistet: Er erzeugt eine bessere Qualität des Endprodukts. Hagmann geht es derweil ein bisschen zu schnell. „Dieses scheiß Pneumatikventil, der hoizt mir viel zu arg“, sagt der promovierte Ingenieur und reguliert die Dampfzufuhr neu. Er doziert über Vorlaufkomponenten sowie die sensorische Überprüfung der köstlichen Kirschflüssigkeit. Die alles entscheidende Frage: Wie lange riecht es nach Klebstoff, und wann kommt der Mittellauf mit einem konstanten Alkoholgehalt, der dem Gaumen schmeichelt?

Wer die Maische versaut, kriegt Ärger

Auf die Theorie folgt die Praxis. Nach der ersten Vorführung durch den Daniel Düsentrieb des Schnapsbrennens muss jeder der Kursteilnehmer einmal selber ran. „Wenn ihr meine Maische versaut, gibt es Ärger“, sagt Hagmann. Die Flucht erscheint als sinnvolle Option, der strenge Hagmann lässt aber keinen seiner Schüler aus den Augen. Also Selbstversuch: wie war das noch gleich, welches Ventil muss wo geöffnet, welcher Knopf als Nächstes gedrückt werden? Der Alkohol läuft schon mal ordentlich hinten raus, wir haben eine geringe Vorlaufmenge, gerade mal einen Bodensatz voll. „Den Unterschied zwischen Mittellauf und Nachlauf musst du in der Nase erkennen, das ist der Unterschied, der darüber entscheidet, ob ein Schnaps zehn oder 50 Euro kostet.“

Hagmann lässt den Probanden keine Sekunde aus den Augen: „Deine Fließgeschwindigkeit sollte langsamer sein.“ Plötzlich stechen intensive Fuselnoten in der Nase, es ist faszinierend, wie schlierig-schmierig der Nachlauf auf einmal wird, nachdem der Mittellauf ein Feuerwerk im Riechorgan gezündet hatte. Schade, dass man Gerüche in einem Text nicht transportieren kann. Mit der Schokomandelnote im Glas ist Hagmann am Ende tatsächlich zufrieden. „Die Arbeit hat sich gelohnt.“ So hört sich ein tonlos vorgetragener schwäbischer Begeisterungssturm an.

Eine Karriere als Schnapsbrenner scheint plötzlich eine greifbare Alternative zum Journalistenberuf, ehe Hagmann die eigene Kirschwasser-Euphorie im Keim erstickt: „Die ganze Arbeit wurde schon vor dem Brennen erledigt, das Bäumeschneiden, das Rasenmähen, das Ernten, das Einlagern. Unser Job heute stellt nur die Kür da. Und jetzt pfeif mal die Holländer rein.“

Das Meditative am Destillieren

Die schwäbisch-holländische Völkerverständigung an der Brenne funktioniert tadellos. Hagmann erklärt („ein guter Schnaps bleibt angenehm im Mund zurück“) oder befiehlt („halten Sie hier mal das Nasenloch drüber, das ist eine Generalkaminreinigung“), die Holländer staunen und schaffen. Das Duo aus Limburg arbeitet an einem riesigen Hotelprojekt, der redseligere der beiden ist ein Geschäftsmann, der verschiedene Sternerestaurants betrieben hat, sein Kompagnon ein Braumeister im Ruhestand, der sich im Rentenalter vom Bier zum Schnaps hin entwickelt. Zum teuren Hotelkomplex soll eine eigene Destille gehören, konstruiert von der Firma Carl.

Beim dritten Brennvorgang herrscht schließlich Stille, die Teilnehmer werden Zeuge einer Destilliermeditation. Als nach den Kirschen die Johannisbeeren dran sind, ruft ein weiterer Kunde aus Holland an und bestellt eine 2000-Liter-Brennblase, um Whiskey zu destillieren. Am Nachmittag fragt Hagmann seine Schnaps-Schäflein noch einmal ab: Wie funktioniert die Brenne, welche Komponenten hat man? Auf was kommt es an? „Brennen ist physikalische Chemie und hängt nur von den Siedepunkten ab“, doziert er zum Abschied. So viel Spaß hat praktischer Chemieunterricht noch nie gemacht.