In Ecuador trifft die Brenz Band aus Ludwigsburg auf ihr Gegenstück aus Quito, das Orquesta Sinamune. Beide Bands bestehen aus behinderten und nichtbehinderten Musikern. Ein Inklusions-Märchen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Quito - Wenn es so weitergeht, speit der Vulkan Feuer. Der Cotopaxi, mit 5897 Metern einer der höchsten aktiven Vulkane der Welt, hat schon einiges erlebt. Alexander von Humboldt zum Beispiel hat versucht, diesen Riesen in Ecuador zu bezwingen, und musste der Legende nach mit blutenden Füßen vor dem Gipfel aufgeben.

 

Zwei Dudelsäcke aus Ludwigsburg aber, die um die Wette heulen, und zwei Frontmänner, die beide die ganz großen Rock‘n‘Roll-Gesten beherrschen und das Publikum mit Urschreien, einer Tröte und einem Akkordeon zum Tanzen bringen, das, ja das, hat auch der Cotopaxi noch nicht gesehen.

Ehe der Vulkan ausbrechen kann, weil er noch nie eine Band gehört hat, die alles in Grund und Boden spielt, wird er von Ralf „Ralfi“ Dinter besänftigt. Ralfi begrüßt strahlend jeden Ton mit dem Zeigefinger, seinem Taktstock. Strahlt man zurück, bekommt man einen in die Höhe gereckten Daumen und ein noch kräftigeres Strahlen retour.

2006 bekam die Brenz Band den Titel „Botschafter für den Frieden“ verliehen

Ralfi ist ein Emotionenverstärker, die ganze Band ein unbeschreiblicher Glücklichmacher. Überall, wo die Band bisher in Ecuador gespielt hat, erntete sie erst Staunen, dann Lächeln und schließlich Begeisterung. Da wird selbst einem der höchsten Vulkane der Welt warm ums Herz.

2006 bekam die Brenz Band von der Unesco in Paris den Titel „Botschafter für den Frieden“ verliehen. Eine Schweizer Ministerin hatte die Gruppe für die Auszeichnung vorgeschlagen, selbst kann man sich nicht bewerben. „Wir wurden beauftragt, zu zeigen, was Behinderte bei geeigneter Förderung leisten können. Diesen Gedanken sollen wir in verschiedene Länder der Welt tragen“, sagt Horst Tögel, der die Band vor genau 40 Jahren in Ludwigsburg gegründet hat.

Die Gruppe um Salvatore Pugliese, Harald Schmid, Rudi Göttler, Ralf Dinter und Bernd Schwab hat schon im Libanon, in China und in der Ukraine gespielt. Jetzt also Ecuador. In einem Altersheim in Ambato verwandelt sie traurige alte Menschen in grauen Jogginganzügen in lebendige Wesen. Reaktionen von ähnlichen Ausmaßen kennt man sonst eigentlich nur aus der Bibel, denn etwas überspitzt gesagt, passiert hier gerade Folgendes: Blinde können wieder sehen, Lahme wieder laufen und sogar tanzen, als die Brenz Band „Rosamunde“spielt.

Die Brenz Band in ihrer besten Rolle als Lebensfreude-Spender

Die Tanzfläche im Altenheim ist brechend voll. Bernd Schwab, die Rhythmusmaschine, hält eisern den Takt. Wer keinen Tanzpartner findet, lässt den Krückstock kreisen. Die musikalisch mitreißendste Anarchie seit Erfindung der Chaostheorie entsteht, als sich die Musiker unter die Tanzenden mischen. „Einer flog übers Kuckucksnest“ in einer schwäbisch-ecuadorianischen Variante. Jürgen Dietl schiebt eine Dame im Rollstuhl über den Dancefloor: die Brenz Band in ihrer besten Rolle als Lebensfreude-Spender.

Wie in jeder guten Patchwork-Familie gibt es auch bei der Brenz Band zwei Väter, im Fall der Musiker ist das neben Horst Tögl Jürgen Dietl. Mit seiner tiefen Stimme und seiner riesenhaften Größe ist er für die Buben in der Band ein wichtiger Fixpunkt. Gemeinsam mit seiner Frau Gitte, die auch in der Band spielt, hat er die Reise organisiert.

In den vergangenen vier Monaten war das Ehepaar quasi Tag und Nacht mit den Vorbereitungen beschäftigt: Spenden einsammeln, Flüge buchen, gegen die Nervosität ankämpfen. Die Route auf dieser Reise stammt von Siegfried Rapp, Honorarkonsul der Republik Ecuador, der mit einer zweiten Delegation aus Ludwigsburg um Oberbürgermeister Werner Spec in Sachen Umweltschutz parallel zur Brenz Band durch Ecuador reist. Das Ziel: eine Klimapartnerschaft zwischen Ludwigsburg und Ambato zu initiieren.

Gestartet als Ludwigsburger Schulband, gelandet als Unesco-Botschafter

Nicht in Ambato, sondern in der Hauptstadt Quito erreicht das ecuadorianische Inklusionsmärchen der Brenz Band einen ihrer Höhepunkte, als die Musiker gemeinsam mit dem Orquesta Sinamune auftreten. Diese Gruppe besteht genau wie die Brenz Band aus behinderten und nicht behinderten Musikern. Wobei diese Feststellung zumindest auf die Ludwigsburger nicht ganz zutrifft, wie Bassist Gerhard Ruhl konkretisiert: „Die eine Hälfte von uns ist behindert, die andere behauptet, sie sei es nicht.“

Das Orquesta Sinamune, bei der Probe mittags noch wie der örtliche Fußballclub im Trainingslager kollektiv im Jogginganzug gekleidet, ist abends märchenhaft herausgeputzt. Zwei Paare, die Damen feengleich in wunderschönen Kleidern, tanzend. Dann: „My way“, anfangs in einer Downtempo-Bläser-Version, am Ende in der Breitbild-Orchester-Variante. Könnte auch der Soundtrack zu Horst Tögels Lebenswerk, zur Geschichte der Band sein, davon, wie man unbeirrt seinen Weg geht. Gestartet als Ludwigsburger Schulband, gelandet als Unesco-Botschafter.

Sinamune wurde 1994 ins Leben gerufen von Edgar Palacio, einem von nur drei Künstlern, die in Ecuador den Titel Staatsmusiker tragen. Palacio ist genau so alt wie Horst Tögel, beide wurden 1940 geboren. Das gemeinsame Konzert der beiden Gruppen in Quito ist, man kann es nicht weniger pathetisch sagen, ergreifend. Auch die Musiker der Brenz Band sind begeistert von ihren musikalischen Gastgebern. „Ich habe noch nie eine so gute Band wie Sinamune gehört“, sagt Horst Tögel zum Ende des Auftritts auf der Bühne, „deshalb habe ich der Unesco vorgeschlagen, dass ihr auch Botschafter für den Frieden werden sollt.“ Großer, großer Jubel. Wenn es so weitergeht, bricht der Cotopaxi vor Neid genau jetzt aus, weil er noch nie so viele Glückshormone in seiner Nähe erlebt hat.

Die Rolling Stones der Inklusion sind im Haus

Im weiteren Verlauf der Reise spielt die Band zwei Konzerte pro Tag, ein knüppelhartes Pensum. Nach dem vierten Konzert an einer Schule schmeißt Jürgen Dietl CDs ins Publikum, die Schüler antworten mit einem Kreischen in Orkanstärke. Es folgt „Freude schöner Götterfunken“ mit zwei Dudelsäcken. Die Rolling Stones der Inklusion sind im Haus.

Nach dem Konzert gibt es Saft und Gebäck in dem Klassenzimmer, in dem die Schüler sonst Deutsch pauken. Ein großer Teil der Reisegruppe hat mittlerweile länderspezifische Krankheiten und Wehwehchen, bedingt durch ein konstant niedriges Schlaflevel. Selbst Jürgen Dietl, dieser Riese, sehnt sich mittlerweile nach ein wenig Ruhe, nach einem Nachmittag zum Durchschnaufen. „Das ist die letzte große Reise der Brenz Band“, sagt Dietl, macht eine längere Pause, um dann doch noch ein wenig zurückzurudern: „Das haben wir aber nach China auch schon gesagt.“

Der Weg der Brenz Band ist eben noch lange nicht zu Ende.

Anmerkung: Fotograf Reiner Pfisterer und StZ-Titel-Autor Ingmar Volkmann haben die Brenz Band auf Einladung der Gruppe begleitet mit dem Ziel, die Tournee und 40 Jahre Band in einem Buch zu würdigen.